"Grexit" als Option: Krisentreffen in Brüssel

Harte Verhandlungen in Brüssel über ein neues Hilfspaket für das hoch verschuldete Griechenland.

Die Tage der Entscheidung haben für Griechenland begonnen: Mittwochabend berieten die Finanzminister der Eurozone, am Donnerstag werden die griechischen Schulden Thema am Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs sein.

Die neue griechische Regierung ist bei diesem Verhandlungspoker zuerst am Zug: Finanzminister Yanis Varoufakis will seinen Euro-Kollegen am Donnerstag in Brüssel einen Zehn-Punkte-Plan für Griechenland vorlegen.

Das Ziel: Ein "Übergangsprogramm" soll der Syriza-Regierung Zeit verschaffen bis September, erst dann will man mit den Geldgebern ein größeres neues Hilfsprogramm abschließen – zu neuen Konditionen. Das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland läuft mit Ende Februar aus – ganz ohne Programm dürfte es für Griechenland sehr schwer werden, sich finanziell über Wasser zu halten. Einige Euro-Staaten pochen darauf, dass Athen die ausständigen Hilfsgelder aus diesem Programm nur dann erhält, wenn auch die Reformzusagen auf Punkt und Beistrich erfüllt werden.

Der Plan, den Varoufakis präsentieren sollte, sieht dem Vernehmen nach Überbrückungskredite vor – ganz ohne Konditionen wird es die aber wohl nicht geben. Dem Vernehmen will die neue Regierung auch zusagen, 70 Prozent der Reformversprechen der Vorgängeradministration einzuhalten; 30 Prozent sollen demnach "aus sozialen Gründen" gestrichen werden. Details sind noch nicht bekannt, Premier Alexis Tsipras hat aber zuletzt u. a. bekräftigt, vorgesehene Kürzungen bei den Pensionen nicht durchzuführen.

Vonseiten der Geldgeber hieß es zuletzt, man könne Athen etwas Spielraum bei den Sparmaßnahmen lassen – solange die Gesamt-Sparziele im Großen und Ganzen eingehalten werden.

"Grexit" als Option: Krisentreffen in Brüssel
Eurogroup president Jeroen Dijsselbloem arrives for an extraordinary euro zone finance ministers meeting to discuss Athens' plans to reverse austerity measures agreed as part of its bailout, in Brussels February 11, 2015. Greece's new leftist Finance Minister Yanis Varoufakis will spell out a plan to drop his country's bailout and end austerity at the meeting in Brussels, and seek a temporary agreement to buy time until June for a properly negotiated settlement. REUTERS/Yves Herman (BELGIUM - Tags: POLITICS)
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem gab sich vor der Sitzung am Mittwochabend zurückhaltend: "Wir werden uns jetzt erst einmal die Pläne der Griechen anhören und dann sehen, auf welcher Basis wir ihnen helfen können." Entscheidend sei, so Dijsselbloem, "dass das Land auf dem eingeschlagenen Reformpfad bleibt – unter welchen Bedingungen, das werden die Gespräche zeigen". Er glaubt nicht, dass eine rasche Einigung möglich ist.

Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling pochte darauf, dass die getroffenen Vereinbarungen einzuhalten sind: "Wir können nicht aufgrund eines Wahlergebnisses die Regeln über Bord werfen. Man kann für die Zukunft Wünsche äußern, aber jetzt gibt es Regeln, die bestehen – auch wenn manche glauben, das nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen."

Wie wahrscheinlich ist der Grexit?

Stefan Ederer vom Wirtschaftsforschungsinstitut hält einen Grexit noch immer für sehr unwahrscheinlich, weil es sich um ein gegenseitiges Muskelspiel handle. "Es wollen ihn eigentlich beide Seiten nicht. Aber alle spielen ein bisschen mit dem Feuer." RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek beziffert die Wahrscheinlichkeit mit 20 bis 25 Prozent. Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer sagt, es spreche vieles dafür, dass es nicht zu einem Grexit komme. Er glaubt, dass ein Kompromiss gefunden wird, der für beide Seiten akzeptabel ist. Brezinschek schlägt Ko-Finanzierungen über den EU-Strukturfonds für zukunftsträchtige Branchen vor.

Wie kann dieser Kompromiss ausschauen?

Griechenland könnte frisches Geld unter weniger strikten Sparauflagen als bisher bekommen. Damit könnten die griechischen Politiker sagen, sie hätten in Verhandlungen etwas herausgeholt und die EU könnte behaupten, sie sei Athen entgegengekommen. Bis zu dieser Einigung sollte es eine Überbrückungsfinanzierung geben.

Wo liegen die Unterschiede zur letzten Griechen-Krise 2011?

Seit damals gab es in der Eurozone viele Reformen: Euro-Rettungsschirm und Europäische Zentralbank würden im Fall eines Euro-Austritts von Griechenland sehr rasch in den Markt eingreifen und beruhigen. Außerdem hat auch Griechenland einiges verbessert.

Wie groß sind dieses Mal Ansteckungsgefahren für andere Krisenländer wie Spanien oder Portugal?

"Die Ansteckungsgefahr ist nicht so groß", sagt Moritz Krämer von der Ratingagentur S&P. Griechenland sei von der Wirtschaftskraft her schwach, die Verflechtungen mit dem Rest der Eurozone sind sogar noch geringer als es die Wertschöpfung nahelege. Bruckbauer glaubt, dass die Zustände in Griechenland nach einem Euro-Austritt für andere Länder derart abschreckend wirkten, dass sie ein Verlassen der Eurozone gar nicht in Erwägung ziehen würden.

Was würde bei einem Grexit passieren?

Was konkret geschehen würde, ist schwer abschätzbar. Bruckbauer hält es für wahrscheinlich, dass ein Grexis Chaos auslösen würde: Die Banken könnten keine Euro mehr auszahlen, Menschen würden vor den Filialen Schlange stehen. Einen Wechselkurs von Euro in die neue griechische Währung würde es zunächst gar nicht geben können, weil niemand die Währung kaufen würde. In weiterer Folge würde die neue Währung wohl 30 bis 40 Prozent weniger wert sein als der Euro.

Was würde das für die Griechen bedeuten?

Die Griechen würden versuchen, Euro-Barbestände in Sicherheit zu bringen. Ein Indiz dafür ist, dass seit Dezember schon 15 Milliarden Euro aus dem Land abgezogen wurden. Importgüter würden sich massiv verteuern, es droht eine hohe Inflation. Die Griechen könnten sich mit der neuen Währung noch weniger leisten als jetzt. Für Ausländer würde der Urlaub in Griechenland billiger, ebenso griechische Immobilien.

Was passiert bei einem Grexit mit den griechischen Schulden?

Für Griechenland würden die Auslands-Schulden in Euro bleiben und sich somit vervielfachen. Das Land wäre pleite, die Gläubiger würden um ihr Geld umfallen. Aber auch derzeit zahlt Griechenland nur wenig zurück, weil es Fristverlängerungen und Zinsreduktionen gab.

Wer sind die größten Gläubiger?

Von den 325 Milliarden Euro Auslandsschulden entfallen rund drei Viertel auf öffentliche Gläubiger – IWF, EZB und Euro-Rettungsschirm. Österreichs Beitrag beträgt 7,5 Milliarden Euro. Den Rest halten großteils griechische Banken. Die ausländischen Finanzinstitute haben schon bei den vergangenen Schuldenschnitt geblutet.

Was wären die Vorteile eines Grexit?

Bruckbauer antwortet sarkastisch: "Das wäre gut für viele Politiker in der EU. Denn die Menschen könnten im TV die Zustände in Griechenland verfolgen und sehen, wie es einem geht, wenn man aus der Eurozone austritt." Ederer glaubt, dass die Griechen mittel- und langfristig eine eigenständige Politik machen könnten und über Abwertungen Vorteile für ihre Wirtschaft herausholen. Das könne aber keine endgültige Lösung sein. Das Problem Griechenlands ist allerdings, dass es kaum Exportgüter produziert, die von einer Abwertung profitieren würden. Seit 2009 hat es keine Steigerung bei den Exporten gegeben, im Gegensatz zu anderen Krisenländern wie Spanien oder Italien.

Was wären die Nachteile eines Grexit?

Griechen, die ihr Geld nicht rechtzeitig ins Ausland gebracht haben, werden mit einem Schlag viel ärmer. Europas Steuerzahler würden viel Geld verlieren, weil die Staaten über den Euro-Rettungsschirm und die EZB die Griechenland-Kredite vergeben haben. Griechenlands Banken würden pleitegehen, in Folge droht eine Konkurswelle im Land.

Wie würden die anderen Schuldnerländer auf einen neuerlichen Schuldenerlass reagieren?

Nicht nur Deutschland fordert von den Griechen Pakttreue. Portugal hat vergangene Woche darauf gepocht, dass die Griechen ihre Vereinbarungen einhalten. Immerhin haben sie dafür vor drei Jahren auch ein 230 Milliarden Euro schweres Hilfspaket erhalten. So wie Spanien und Italien würde auch Portugal neuerliche Hilfen an Griechenland bei gleichzeitigem Stopp der schmerzhaften Reformen nicht akzeptieren, zumal sie selbst viele EU-Auflagen unter großer Anstrengung erfüllt haben. "Die Griechen sollen sich nicht spielen, sondern die Chance ergreifen", meint Brezinschek.

Hier gibt es ein Interview mit Martin Schulz über Grexit, Ukraine und die Außenpolitik der Europäischen Union.

"Auf die Felsen zusteuern“ würde Griechenland unter der neuen Linksregierung, warnte Ex-Premier und Oppositionschef Samaras Dienstagnacht im Athener Parlament. Eine Drohung, die eine Mehrheit der Griechen kaum noch schrecken kann. Das Land solle für seine Interessen kämpfen, wenn es sein müsse, auch gegen den Rest Europas, das ist die Stimmung, die aktuelle Meinungsumfragen ausloten. „Der wirkliche Schrecken ist, was wir jetzt haben“, macht ein Athener Geschäftsmann gegenüber der BBC diese Haltung noch deutlicher: „Derzeit ist jeder Tag der bisher schlimmste – es kann also nur aufwärts gehen.“

Mit dem Grexit, dem tatsächlichen Austritt aus dem Euro will die Regierung in Athen dennoch – zumindest offiziell – nicht rechnen. „Was wir vorschlagen“, erläutert Wirtschaftsminister Euclid Tsakalotos, „ist einfach, dass wir ein bisschen mehr Spielraum bekommen. Man kann keine Reformen machen, wenn die Leute Angst haben und sich unsicher fühlen. Wir brauchen zuerst eine gewisse Stabilität.“

Das stärkste Argument in der Hand der Athener Regierung ist die soziale Katastrophe im Land. Mehr als ein Drittel der griechischen Haushalte, so die Statistiken, ist unter die Armutsgrenze gerutscht. Für Premier Tsipras der Beweis, dass die bisherige Sparpolitik nach den Regeln der Troika gescheitert ist. Jetzt will man nach eigenen Regeln vorgehen, oder, wie Tsipras es formuliert, wieder selbst über das eigene Schicksal bestimmen.

Etwa 30 Prozent der bisherigen Hilfskredite, so die Forderung Athens, müssten gestrichen werden. Doch das sei, so betont man, natürlich nur eine Verhandlungsgrundlage. Die Taktik, wie sie ein Kommentator der Zeitung Ekathirimini erläutert, sei, „die Verhandlungen bis an die Grenze des Scheiterns zu bringen, bis man schließlich in einen goldenen Kompromiss einwilligt, der das Land retten kann.“

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