Einigung im Schuldenstreit rückt näher

Alexis Tsipras machte Zugeständnisse. Eine finale Einigung und Geldzusagen dürfte es Ende der Woche geben.

In die Gespräche zwischen Griechenland und seinen Geldgebern ist – endlich – Bewegung gekommen. Es gibt begründete Hoffnung für eine Einigung in den kommenden Tagen – doch für einen Deal schon beim Euro-Sondergipfel am Montag in Brüssel hat es noch nicht gereicht. Zu spät sind die jüngsten Vorschläge aus Athen bei den Geldgebern eingelangt.

"Das Unangenehme ist, dass die Bewertung der Vorschläge durch die Institutionen morgen kommen wird, wir einander aber heute getroffen haben", sagte Bundeskanzler Werner Faymann nach den vierstündigen Beratungen der Staats- und Regierungschefs.

Schon die Euro-Finanzminister standen Montagmittag vor dem Problem, dass sie noch nicht im Detail über die griechischen Reformpläne verhandeln konnten: "Uns hat die Zeit gefehlt, um die Zahlen einer detaillierten Prüfung unterziehen zu können", sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem nach einem Treffen der Euro-Finanzminister. Das Athener Papier sei aber "ein Schritt in die richtige Richtung". Was Dijsselbloem allerdings verschwieg war ein veritabler Streit im Kreis der Euro-Finanzminister. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble holte zum Rundumschlag aus, sowohl gegen die Griechen als auch gegen die EU-Kommission, der er vorwarf gemeinsame Sache mit Tsipras zu machen. Süffisant erklärte er, dass es die Euro-Gruppe sei, die letztendlich die Entscheidung über weitere Hilfe treffe – und nicht die Kommission. "Hier findet ein Match zwischen Finanzministern, Regierungschefs und der Kommission statt", erklärte ein hochrangiger Beamter.

Telefon-Diplomatie

Am Dienstag wollen die Experten der Geldgeber-Institutionen (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) ihre Bewertung abgeben, was von den Reformplänen aus Athen zu halten ist. Auf zwölf Seiten hat die Regierung "eine Zusammenfassung aller Reformen und gesetzlichen Projekte" übermittelt. Mit einigen Staats- und Regierungschefs hat Alexis Tsipras zusätzlich persönlich telefoniert, um ihnen die Pläne zu erläutern – neben Angela Merkel, François Hollande, Jean-Claude Juncker auch mit Kanzler Faymann. Dessen Resümee: "Wir sind auf dem richtigen Weg, aber es ist nicht klar, wie weit es noch zum Ziel ist." Mittwochabend sollen die Euro-Finanzminister erneut tagen; am Rande des EU-Gipfels Donnerstag und Freitag soll dann endgültig eine Einigung beschlossen werden.

Für Kommissionspräsident Juncker gibt es "Fortschritte" in dem Papier. Ein Brüsseler Finanzexperte bewertet die Einsparungen in Höhe von rund acht Milliarden Euro positiv: "Ich sehe den Grexit nicht mehr. Tsipras hat nachgegeben. Die Zahlen entsprechen im Wesentlichen den Vorgaben der Geldgeber", sagte er zum KURIER. "Tsipras hat die Hosen runtergelassen", zürnen hingegen linke Syriza-Kreise. In der Tat legt e er Maßnahmen vor, die Einschnitte bedeuten:

Erhöhung der Mehrwertsteuer-Sätze Für Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl, Brot und Nudeln wird der Mehrwertsteuersatz von 13 auf 23 Prozent angehoben. Für Hotels galten bisher elf Prozent, jetzt sind es 13. Energie soll ebenfalls mit 13 Prozent besteuert werden. Für alle anderen Bereiche und Produkte gilt der Höchstsatz von 23 Prozent. Eine Ausnahme soll es mit sechs Prozent für Medizin und Bücher geben. Insgesamt ergeben die höheren Mehrwertsteuer-Einnahmen 1,4 Milliarden Euro.

Pensionsreform Laut Tsipras-Papier werden die Frühpensionen abgeschafft. Generell sollen ab 1,05 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung bei den Pensionen eingespart werden (ab 2016). Die Krankenversicherungsbeiträge bei Pensionisten werden im Schnitt um fünf Prozent erhöht, eine Staffelung ist vorgesehen. Bis 2025 soll das Pensionsantrittsalter auf 67 Jahre steigen. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die Pensions- und Krankenkasse sollen um zwei Prozent erhöht werden. Bringen soll das alles rund zwei Milliarden.

Arbeitsmarkt Die Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohnes nimmt Tsipras zurück.

Sondereinnahmen Neu eingeführt werden soll eine Sondersteuer auf Einkommen von 30.000 Euro jährlich, die von ein Prozent stufenweise bis sieben Prozent steigen könnte. Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinn hatten, sollen bis zu sieben Prozent Sonder-Gewinnsteuer zahlen. Bleiben soll die Immobiliensteuer, die Syriza abschaffen wollte. Diese Abgabe soll bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr bringen. Inhaber von Jachten, Luxusautos und Schwimmbäder müssen tiefer in die Tasche greifen.

Korruptionsbekämpfung Im Juli will die Regierung ein gesetzliches Maßnahmenpaket vorlegen, wie Steuerbetrug und Steuerhinterziehung bekämpft werden können.

Verteidigung Einsparungen von jährlich 200 Millionen.

Zumindest von einer Mini-Einigung wussten Diplomaten am späten Abend zu berichten: Eine Verständigung auf die griechischen Haushaltsziele konnte offenbar bereits erreicht werden. Der sogenannte Primärüberschuss, bei dem Zinszahlungen und Tilgungen ausgeblendet werden, solle 2015 ein Prozent des BIP betragen und 2016 zwei Prozent. Der Primärüberschuss ist eine wichtige Größe bei der Sanierung des Budgets und war lange zwischen Griechenland und den Geldgebern umstritten. Auch für die griechischen Banken gibt es eine Verschnaufpause. EZB-Chef Mario Draghi versicherte, das Bankensystem sei geschützt, solange sich das Land an das Hilfsprogramm halte.

Skepsis im Parlament

Die Reformvorschläge müssen allerdings noch das griechische Parlament passieren. Vize-Parlamentspräsident Alexis Metropoulos sieht die Verabschiedung des aktuellen Reformangebots der griechischen Regierung durch das Athener Parlament aber kritisch. Die Abgeordneten könnten dagegen stimmen, sagt der Politiker der linken Regierungspartei Syriza im Fernsehen. "Ich glaube, dieses Programm (...) wird Schwierigkeiten haben, bei uns durchzukommen." Ihm zufolge könnten viele Abgeordnete der Vorschlagsliste von Regierungschef Alexis Tsipras die Unterstützung verweigern.

Ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone wäre vor allem "ein Drama für die griechische Bevölkerung". Jean Claude Trichet, Ex-Präsident der Europäische Zentralbank (EZB), gab sich am Montag bei einem Vortrag in Wien überzeugt, dass ein Verbleib in der Eurozone mit einem "geordneten Anpassungsprozess" die bessere Option für die Griechen sei.

Die EZB habe schon 2010 gesehen, dass der Zustand Griechenlands der schlimmste unter den hoch verschuldeten Euroländern sei. "15 Prozent Defizit in der Leistungsbilanz und 15 Prozent Budgetdefizit. Das war der ’worst case’", sagte Trichet. Denn dieses Defizit mussten die ausländischen Gläubiger finanzieren. Schuld daran seien jene, die Griechenland früher regiert haben. Trotzdem müsse die jetzige Regierung einen Plan vorlegen, wie sie aus der Überschuldung kommen wolle. Denn Philanthropen, die dieses Loch stopfen, gebe es auf der ganzen Welt nicht.

Trichet persönlich würde Griechenland zum Anlass nehmen, um einen neuen EU-Pakt zu schließen. Kernpunkt: Das "demokratisch gewählte EU-Parlament sollte als Schiedsrichter zwischen den Ländern und der Kommission" eingesetzt werden. So ein Pakt hätte drei Vorteile. Er wäre leicht umsetzbar, demokratisch und speziell auf Notfälle gerichtet.

Experten in EU und Griechenland sind sich einig: Die Faktoren, die zur größten Krise Griechenlands seit dem Zweiten Weltkrieg geführt haben, sind eine nicht wettbewerbsfähige Wirtschaft, ausufernde Verschuldung, mangelhafte Verwaltung, Korruption und Steuerbetrug. Fehlende Reformen, rigorose Sparprogramme und kaum Investitionen haben die Konjunktur abstürzen lassen.

STRUKTURSCHWÄCHEN: Die Wirtschaft krankt vor allem an der mangelnden Exportkraft. Griechenland hat kaum eigene Industrie. Die Agrarwirtschaft kann den Bedarf der Bevölkerung an Lebensmitteln nicht decken. Als größter Wirtschaftszweig läuft nur der Tourismus noch gut. Das Rentensystem gilt als extrem reformbedürftig.

DEFIZIT: Das Haushaltsdefizit lag 2009 auf dem extrem hohen Niveau von 15,4 Prozent. Es soll nun auf etwa zwei Prozent gedrückt werden. Sparmaßnahmen trafen vor allem die sozial Schwachen. Im Durchschnitt haben die Griechen nach Gewerkschaftsschätzungen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens verloren. Weil der Gürtel immer enger geschnallt wird, wird immer weniger konsumiert. Der Wirtschaftsabsturz führte zu Entlassungen und einer Arbeitslosigkeit um die 26 Prozent. Jeder zweite junge Mensch ist ohne Job.

SCHULDEN: Aktuell liegt die Schuldenquote Griechenlands bei etwa 180 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit höher als in irgendeinem anderen Euroland. Am Kapitalmarkt kann Griechenland praktisch keine Kredite mehr aufnehmen, weil die Investoren das Vertrauen verloren haben, dass Athen seine Schulden überhaupt zurückzahlen kann. Deshalb ist das Land auf eine Einigung mit der EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) angewiesen.

STEUERHINTERZIEHUNG: Dem Staat entgeht viel Geld wegen Korruption, Freunderlwirtschaft und Steuerbetrug. Experten haben ausgerechnet, dass Griechenland binnen zehn Jahren schuldenfrei sein würde, wenn es Steuerhinterziehung erfassen und Abgaben - vor allem die Mehrwertsteuer - eintreiben könnte.

DYNASTIEN: Etwa Tausend Familien und wenige Politikerdynastien beherrschen den Staat und besitzen große Teile des Landes und der Wirtschaft.

MISSTRAUEN: Die Griechen haben wenig Vertrauen in die politischen Institutionen. Die Traditionsparteien der Konservativen und Sozialisten haben es verspielt. Im Jänner wählten die Griechen erstmals eine linke Regierung. Ministerpräsident Alexis Tsipras holte als Koalitionspartner die Rechtspopulisten. Nur wenige Minister der Links-Rechts-Regierung haben Regierungserfahrung.

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