Griechenland: Eurogruppe vertagt auf Donnerstag

Blutende Hände: Graffiti in Athen.
Brüssel: Tsipras muss mit Geldgebern über Reform-Details feilschen. Treffen am Mittwoch ohne Lösung.

In Brüssel hört man zwischen den hektischen Verhandlungen über die Euro-Rettung Griechenlands nur noch zwei Worte: „Wir kämpfen.“ Das Ringen um eine Lösung dauert an.

Die Beratungen der Euro-Finanzminister waren Mittwoch Abend schon nach einer Stunde wieder zu Ende: Obwohl der griechische Premier Alexis Tsipras den ganzen Nachmittag mit den Chefs von EZB, IWF und EU-Kommission verhandelt hatte, gab es offenbar keinen konkreten Vorschlag, der in der Eurogruppe diskutiert werden hätte können.

Das Verfahren wiederholt sich: Tsipras und sein Team sollten bis in die Nacht sowie am Donnerstagmorgen weiter mit den Geldgeber-Institutionen verhandeln. Für den frühen Nachmittag ist eine neuerliche Sondersitzung der Eurogruppe anberaumt, bevor am Abend die Staats- und Regierungschefs zu ihrem (routinemäßigen) Gipfel nach Brüssel kommen. Eine mögliche Einigung mit Athen soll am Rande des Treffens auf Chef-Ebene finalisiert werden.

Halten die Zahlen?

Auf der Zielgeraden gibt es noch Hürden. Unzufrieden zeigten sich manche Minister darüber, dass Griechenland Einsparungen in erster Linie über Steuererhöhungen, vor allem bei der Unternehmenssteuer, erzielen wolle und nicht über eine Reduktion der Ausgaben. Dazu gibt es Skepsis, ob die prognostizierten Zusatz-Einnahmen durch die höheren Steuern realistisch sind.

Sehr skeptisch ist in diesem Punkt auch der Internationale Währungsfonds, der darüber hinaus eine generelle Kürzung der Pensionen verlangt. Bevor Tsipras Mittwoch Mittag nach Brüssel reiste, bezog er sich auf diese Bedenken und meldete über Twitter: „Nie zuvor sind die Maßnahmen gleicher Wirkung zurückgewiesen worden: weder im Fall von Irland noch im Fall von Portugal. Diese unverständliche Haltung könnte darauf hinweisen, dass man entweder an keiner Einigung interessiert ist, oder dass bestimmte Interessen unterstützt werden.“

Tsipras’ Botschaft: Auf die Budgetziele habe man sich im Groben ja schon verständigt – wie man sie erreicht, sei jetzt alleine Sache der Griechen.
Nachhaltige Strukturreformen und ein verlässlicher Zeitplan für die legistische Umsetzung sind die wesentlichen Forderungen der EU-Geldgeber an Griechenland. Diese Garantie muss Tsipras den EU-Partnern abgeben, sonst könnte die Griechenland-Rettung auch noch scheitern.

Kein Spielraum mehr

Die Zeit drängt: Spätestens am Montag muss das Parlament in Athen über die Pläne abstimmen; erst wenn eine vorher vereinbarte Liste an Reformen auch tatsächlich beschlossen wurde, hat die griechische Seite ihren Teil des Deals erfüllt. Danach müssen noch mehrere nationale Parlamente – in Deutschland, Finnland, Estland und den Niederlanden – ihren Segen geben. Erst dann ist die Verlängerung des laufenden Hilfspakets unter Dach und Fach und die Auszahlung der ausständigen 7,2 Milliarden Euro an Hilfsgeldern kann beginnen. Spielraum für Verzögerungen gibt es keinen: Das Hilfspaket läuft planmäßig mit Ende Juni aus – sobald Griechenland sich nicht mehr in einem laufenden Rettungsprogramm befindet, könnte die EZB die Versorgung der hellenischen Banken durch Notfallkredite kappen.

Außerdem muss noch vor dem 1. Juli eine Sammel-Überweisung an den IWF erfolgen, die alle im Juni fällig gewordenen Raten der Griechen umfasst. Dass Athen die 1,6 Milliarden ohne neue Hilfsgelder pünktlich zahlen kann, gilt als ausgeschlossen.

Noch hat sich der griechische Premier Alexis Tsipras nicht mit den internationalen Gläubigern über ein neues Reformpaket geeinigt, schon rollt zu Hause die Welle des Widerstands an. Unternehmer und die eigenen Parteigenossen von der radikalen linken Partei Syriza wollen den Deal nicht.

„Ein modifiziertes Rezessionsprogramm, das die Periode der wirtschaftlichen Schrumpfung verlängern und die Produktionskapazität des Landes schwächen wird“, klagte der Verband der kleinen Herstellerbetriebe GSEVEE. Laut dem neuen Athener Vorschlag soll die Staatskasse hauptsächlich durch höhere Steuern auf Firmengewinne, Mehrwertsteuern und Pensionsbeiträge gefüllt werden.

Zudem beschuldigte der Vizepräsident des griechischen Parlaments, Syriza-Politiker Alexis Mitropoulos, die Regierung, in den Verhandlungen mit den Gläubigern versagt zu haben. Er warnte, es würde für die Partei schwer sein, einem Abkommen zuzustimmen, weil es „nicht im Einklang mit den linken Prinzipien ist“.

„Wir alle haben unsere ideologischen Bedenken, auch Premier Tsipras, aber wir sind jetzt nicht nur eine Partei, sondern auch eine Regierungspartei und müssen Griechenland aus der Krise bringen“, sagt Giorgos Kyritsis, Chefredakteur der regierungsnahen Tageszeitung Avgi, zum KURIER. Der Journalist gehört auch dem engeren Freundeskreis von Tsipras an.

Sobald die Verhandlungen heute in Brüssel abgeschlossen sind, will man ab Freitag über das Abkommen drei Tage lang im griechischen Parlament debattieren. Eine Abstimmung darüber ist für kommenden Montag geplant. Auch wenn einige der Syriza-Abgeordneten tatsächlich rebellieren sollten, kann Tsipras trotzdem mit einer Bewilligung rechnen. Unterstützung dürfte er auch von der rechten Opposition bekommen. Sollten sich aber viele Syriza-Abgeordnete abspalten, fürchten Politologen, dass Koalitionspartner ANEL die Regierung verlassen könnte. Um das neue Abkommen dann auch umzusetzen, müsste es Tsipras entweder mit einer Minderheitsregierung versuchen oder Neuwahlen ausrufen.

Ob Athen nach der Parlamentsabstimmung genug Zeit bleibt, um die 1,6 Milliarden Euro Schulden an den IWF fristgerecht zu zahlen, könne man noch nicht abschätzen, sagte eine Quelle aus dem IWF dem KURIER. „Das Wichtigste ist, ein Abkommen über den Inhalt des Programms zu erzielen, dann kann man auch die zeitliche Frage lösen – vielleicht durch Teilzahlungen.“

Die griechische Regierung will bei den Verhandlungen mit den Geldgebern durch Einsparungen und zusätzliche Einnahmen um Kürzungen bei Pensionen und Löhnen herumkommen. Zudem hofft Athen auf eine Umstrukturierung der Schulden und ein Investitionsprogramm. Die griechische Presse listete Maßnahmen zur Budgetsanierung auf. Danach müssten die Griechen knapp 8 Mrd. Euro sparen oder zusätzlich einnehmen.

BUDGET: Athen soll 2015 einen Primärüberschuss im Haushalt (Zinszahlungen und Tilgungen von Schulden werden dabei ausgeblendet) von 1 Prozent und 2016 von zwei Prozent erzielen. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone mit Athen laut Diplomatenkreisen bereits beim Sondergipfel geeinigt.

MEHRWERTSTEUER: Künftig soll es drei Mehrwertsteuersätze geben: 6, 13 und 23 Prozent. Welche Produkte mit dem höheren Satz besteuert werden, ließ die Regierung offen. Im Gespräch sind höhere Mehrwertsteuern für Hotels, Restaurants, Tavernen sowie Bars. Laut griechischen Medien sollen so 2015 680 Mio. Euro und 2016 rund 1,36 Mrd. Euro eingenommen werden.

SONDERSTEUER/REICHENSTEUER: Athen will die Einkommen von 12.000 bis 20.000 Euro mit 0,7 Prozent Sonder-Solidaritätssteuer belasten. Wer 20.001 bis 30.000 Euro (brutto) jährlich bezieht, soll 1,4 Prozent "Soli" zahlen. Das geht stufenweise weiter bis zu 8 Prozent für Einkommen über 500.000 Euro im Jahr.

IMMOBILIEN: Die Besitzer von Immobilien sollen weiter eine Sondersteuer zahlen, die dem Staat bis zu 2,7 Mrd. Euro bringen soll. Ursprünglich wollte die Regierung sie abschaffen.

LUXUSSTEUER: Besitzer von Luxusautos, Privatflugzeugen und Jachten müssen mehr an den Fiskus zahlen.

UNTERNEHMEN: 2016 sollen Unternehmen mehr Steuern zahlen. Statt bisher 26 Prozent sollen 29 Prozent Unternehmensbesteuerung fällig werden. 12 Prozent Sondersteuer müssen alle Betriebe zahlen, die mehr als 500.000 Euro Gewinn machen.

MEDIEN: Für Fernsehwerbung soll eine Sondersteuer erhoben werden. Private TV- und Radiosender sollen eine neue Lizenzsteuer zahlen. Zudem sollen elektronische Wetten besteuert werden.

MILITÄR: Rüstungsausgaben sollen um 200 Mio. Euro gekürzt werden.

PENSIONEN: Die meisten Frühpensionen sollen stufenweise abgeschafft werden. Pensionskürzungen soll es nicht geben. Offen blieb, ob und wann die Regierung das Pensionsalter auf 67 Jahre anheben wird.

SOZIALABGABEN: Die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen erhöht werden. Das soll in den kommenden 18 Monaten knapp 1,2 Mrd. Euro in die Pensionskassen spülen. Versicherte sollen beim Kauf von Medikamenten stärker zur Kasse gebeten werden.

PRIVATISIERUNGEN: Die Regierung stimme begrenzten Privatisierungen zu, hieß es.

SCHULDEN: Athen schlägt den Angaben zufolge eine Umschichtung der Schulden im Volumen von 27 Mrd. Euro von der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den Euro-Rettungsfonds ESM vor.

INVESTITIONEN: Athen hofft auf ein Investitionsprogramm der EU-Kommission und der Europäischen Investitionsbank (EIB).

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