Blutiger Alltag: Palästinenser-Aufstand mit Messern

Blutiger Alltag: Palästinenser-Aufstand mit Messern
"Intifada der Einzelnen". Israel geht mit aller Härte gegen die wachsende, aber unorganisierte Gewaltwelle palästinensischer Jugendlicher vor.

Das Leben in Jerusalem geht weiter wie bisher. Kurz ist man geschockt, überall im ganzen Land. Und doch regiert der Alltag schnell wieder. Es ist nur eine Messerattacke. Eine von vielen. Diesmal nicht tödlich, zum Glück. In Israel ist man gewohnt, mit Bedrohungen zu leben.

Die jüngste Attacke passierte Montagabend beim Lions Gate, einem der sieben Tore zur Altstadt. Viel war um diese Zeit im historischen Zentrum Jerusalems nicht mehr los. Vereinzelt waren noch Besitzer kleiner Shops da, Restaurantpersonal oder die Männer von der Müllabfuhr. Der Attentäter traf einen rund 60-jährigen Mann im Brustbereich. Er wurde erstversorgt und ins rund 45 Minuten entfernte Tel Aviv ins Spital gebracht.

18-Jähriger geständig

Der Attentäter, ein 18-jähriger Palästinenser, wurde nach kurzer Flucht verhaftet und ist geständig.

"Intifada der Einzelnen" wird die jüngste Gewaltwelle genannt, die seit Oktober bereits mehr als 200 Menschenleben forderte. 30 der Toten sind (meist jüdische) Opfer der Attentate, der Rest Palästinenser – Täter, potenzielle Täter, Verdächtige.

Die meisten Angreifer sind auffallend jung. Auch einige Frauen sind unter ihnen. "Nationale Diskriminierung" nannte Israels Inlandsgeheimdienst Shin Bet als einen der Gründe für die Attentate, ökonomische, persönliche und psychologische Motive, alles subsumiert unter "Hoffnungslosigkeit". Eine Organisation oder Sympathien mit Terrororganisationen scheinen nicht dahinterzustehen.

Die Palästinenserführung spricht von "Märtyrern", was ihr den Vorwurf einbringt, den Terror so zu schüren. Die israelische Besatzung, das sagt fast jeder Palästinenser, mit dem man dieser Tage etwa in Ramallah spricht, ist schuld, dass junge Menschen zum Messer greifen. Laut einer Umfrage von Ende April können 51 Prozent der jungen Menschen im Westjordanland den Messerattacken etwas abgewinnen, 79 Prozent im Gaza-Streifen.

Null-Toleranz

Die israelische Politik scheint den Shin-Bet-Bericht zu ignorieren. Von Premier Benjamin Netanyahu hört man das Übliche: Die Armee ist gestärkt, Zivilisten müssten sich in höchste Alarmbereitschaft bringen. 290 Anschläge habe man seit Anfang 2015 vereitelt. Der Terror gehe zurück.

Die Null-Toleranz mit den Anschlägen der "einsamen Wölfe" zeigt sich auch im Fall rund um einen 19-jährigen israelischen Soldaten. Er hat im März bei Hebron einen verletzt am Boden liegenden palästinensischen Attentäter mit einem Kopfschuss getötet. "Er hat verdient, zu sterben", soll der Soldat gesagt haben. Der Palästinenser hatte einen anderen Soldaten mit dem Messer angegriffen.

Der 19-jährige Israeli muss sich nun vor einem Militärgericht verantworten. Wegen Totschlags.

45 Jahre Haft für jüdischen Extremisten

In einem anderen Aufsehen erregenden Fall wurde am Dienstag von einem Gericht in Jerusalem das Urteil gesprochen: Wie das israelische Radio berichtete, muss ein jüdischer Extremist (30) wegen der brutalen Ermordung eines jungen Palästinensers 45 Jahre ins Gefängnis. Seine beiden israelischen Mittäter waren bereits im Februar zu 21 bzw. 25 Jahren Haft verurteilt worden. Das Trio hatte im Juli 2014 den 16-jährigen Palästinenser Mohammed Abu Chedair aus dem arabischen Teil von Ostjerusalem bei lebendigem Leib verbrannt – als Rache für den Mord an drei israelischen Teenagern. Die Morde an den jüdischen Jugendlichen und auch an Abu Chedair gelten als Mitauslöser des Gaza-Krieges im Sommer 2014.

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