Gewaltexzesse hinterlassen Scherben und Ärger in Barcelona
Meterhohe Flammen mitten auf Barcelonas Nobelstraße Paseo de Gracia, den Champs Elysée der katalanischen Hauptstadt. Und nicht nur dort brannten Müllcontainer und Autos. Drei Tage lang wurde die Stadt in der Nacht von gewaltbereiten Jugendlichen heimgesucht, die Barrikaden aufstellten, anzündeten und sich mit der Polizei Schlägereien lieferten.
„Demonstrationen sind in Barcelona ja nichts neues, aber dass Molotowcocktails geworfen werden, ist schon ungewöhnlich“, sagt ein Anrainer des betroffenen Viertels Eixample zum KURIER.
Am Montag verkündete der Oberste Gerichtshof Spaniens Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren für sieben katalanische Politiker sowie zwei ehemalige Chefs zivilgesellschaftlicher Organisationen. Seit Monaten kündigte die katalanische Regionalregierung an, eine Verurteilung nicht zu akzeptieren und rief die Bevölkerung zu zivilem Ungehorsam auf. Unter dem Motto „ Tsunami Democratic“ mobilisieren sich seit Montag Unabhängigkeitsbefürworter aus der gesamten Region.
Erstes Ziel war schon am Montagvormittag der Flughafen, der regelrecht in einer Menschenflut versank, was den Flugverkehr für einige Stunden zum Erliegen brachte. Auch am Freitag war der Flugverkehr erneut eingeschränkt, da zu einem Generalstreik aufgerufen wurde. Der Streik fiel mit der Ankunft endloser Menschenzüge aus allen Teilen Kataloniens in Barcelona zusammen, die einen dreitägigen „Fußmarsch für die Freiheit“ hinter sich hatten. Am Abend stand die Stadt still, lahmgelegt vom diesmal weitgehend friedlichen Aufmarsch Hunderttausender.
Lärm für Separatismus
Es geht den Organisatoren darum, Lärm zu machen und internationale Aufmerksamkeit für den Konflikt zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung zu bekommen. Denn bislang winkt die EU-Kommission stets ab, Stellung zu beziehen: Das sei eine interne Angelegenheit Spaniens.
Selbst die Fußballwelt bleibt vom Konflikt nicht verschont: Der für 26. Oktober angesetzte „El Clasico“ zwischen Barcelona und Real Madrid wurde verschoben.
Nur zwischen Dienstag und Donnerstag war die Situation tagsüber in Barcelona normal und ruhig. Im Zentrum bummelten Touristen wie gewohnt auf der Rambla neben Einheimischen, die ihrem Alltag nachgingen. Nur hin und wieder wurde der Alltagstrott von spontanen, aber friedlichen Demonstrationen für kurze Zeit aufgehalten, die von neugierigen Touristen fotografiert wurden.
Einige Straßenabschnitte blieben gesperrt, weil der Asphalt von den nächtlichen Schlachten beschädigt war. Laut Regionalpolizei Mossos d’Esquadra bestehe ohnehin keine Gefahr: „Gewaltausschreitungen finden nur vereinzelt statt und sollten Touristen nicht betreffen“, heißt es dort auf Anfrage des KURIER.
Die Anwohner indes sind von den Ausschreitungen sichtlich genervt. Als Mittwochnacht radikale Jugendliche erneut Container anzündeten, gingen sie mit Kochlöffeln und Töpfen zu ihren Fenstern oder auf die Straße, um ihren Unmut lautstark kund zu tun.
Polizeigewerkschaften beklagen die schlechte Organisation der Einsätze und die mangelnde Ausrüstung der Beamten. An den Einsätzen nehmen sowohl die Regionalpolizei Mossos d’Esquadra, die dem katalanischen Innenministerium untersteht, als auch die Policia Nacional teil, die dem spanischen Innenminister untersteht.
Polizei-Widerspruch
Die Mossos sind in einer widersprüchlichen Lage: Während die katalanische Regierung und besonders Präsident Quim Torra zu Protesten animiert, muss die Regionalpolizei für öffentliche Ordnung sorgen. Dabei kommen Knüppel und Geschoße namens „Foam“ zum Einsatz, was unter den Unabhängigkeitsbefürwortern für heftige Kritik sorgt.
„Ich war am Flughafen, als ich am Kopf von diesem Foam-Geschoß getroffen wurde“ erzählt Xavier, Anfang 40, im Büro der NGO Irídia, wie es zur seiner Verletzung an der Schläfe kam. „Vier Stiche habe ich bekommen“, so Xavier, dessen rechtes Auge noch blau ist vom Aufprall. Das Geschoß zieht er demonstrativ aus der Tasche.
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