Was genau wird in dem Bericht vorgeworfen? Gibt es Indizien, die darauf hindeuten, dass die USA hinter der Sabotage stecken? Und wie weit sind die Ermittlungen fortgeschritten? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zur Pipeline-Sprengung:
Was wirft Hersh der US-Regierung vor?
In seinem Blog-Artikel beruft sich der Journalist auf eine einzige anonyme Quelle „mit direkten Kenntnissen über die operative Planung“ des Sabotage-Akts. Demnach sollen die Geheimdienste Norwegens und der USA die Sprengungen monatelang gemeinsam geplant haben. Schon im Juni hätten dann Taucher der US-Marine eine gemeinsame NATO-Übung in der Ostsee dazu genutzt, Sprengladungen an den Pipelines anzubringen.
Die Planung der Aktion habe schon im Herbst 2021 begonnen und sei von US-Präsident Biden persönlich angeordnet worden. Das Einsatzkommando soll demnach Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan geleitet haben.
Auf telefonische Anfrage des KURIER lehnte Seymour Hersh am Mittwochabend ein Interview mit folgenden Worten ab: „Ich habe drei Monate an der Geschichte gearbeitet. Journalisten können sie glauben oder nicht.“
Wie reagierte die Politik auf den Artikel?
US-Präsident Biden äußerte sich bisher nicht zu den Vorwürfen, seine Sprecherin tat sie als „vollkommene Erfindung“ ab. John Sipher, einst Leiter der Russland-Operationen in der CIA, nannte die Vorwürfe sogar „einfach nur traurig“. Es sei unvorstellbar, „dass eine so lächerliche Idee ihren Weg durch die notwendige Bürokratie und Aufsicht finden würde“.
Aus Russland, das selbst im Verdacht steht, die Sprengungen durchgeführt zu haben, kamen dagegen ganz andere Töne. Die russische Botschaft in Washington forderte am Donnerstag sogar formell einen Unschuldsbeweis der US-Regierung. Man werde nicht zulassen, dass dieser „terroristische Akt“ unter den Teppich gekehrt wird.
Was spricht für eine Sprengung durch die USA?
Hersh zufolge wollte die US-Regierung mit der Sprengung verhindern, dass Russland während des Krieges in der Ukraine Milliarden durch den Gasexport nach Europa verdienen könnte.
In den (sozialen) Medien verbreitete sich zudem eine Aussage Bidens aus dem Februar 2022, als der US-Präsident bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt hatte, er würde Nord Stream 2 „ein Ende bereiten“, sollte Russland in der Ukraine einmarschieren. Auf Nachfrage, wie er das denn erzwingen wolle, sagte Biden: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sein werden, das zu tun.“
Allerdings war es später die deutsche Bundesregierung, die Nord Stream 2 kurz vor Russlands Invasion von sich aus auf Eis legte.
Was spricht für eine russische Sabotage-Aktion?
Schon unmittelbar nach den Explosionen stand die russische Regierung im Verdacht, dahinter zu stecken. Während die meisten europäischen Verantwortlichen schwiegen, mutmaßte Polens Außenminister Zbigniew Rau damals öffentlich: „Vielleicht ist das eine hybride Kriegsführung Russlands gegen die NATO.“
In den Wochen vor der Sprengung hatte die russische Nord Stream AG bereits aufgrund von Wartungsarbeiten (die vom Westen angezweifelt wurden) den Betrieb der Pipeline Nord Stream 1 eingestellt. Und damit mehrere europäische Staaten, vor allem Deutschland, im Bezug auf ihre Gasversorgung massiv unter Druck gesetzt.
Durch die Explosionen war Nord Stream 1 anschließend irreparabel beschädigt, wie die russische Firma mitteilte. Nord Stream 2 sei dagegen trotz des Lecks weiterhin funktionsfähig. Wäre Deutschland ohne russisches Gas nicht durch den Winter gekommen, hätte die Regierung in Berlin also sein Wort brechen und auf die Pipeline zurückgreifen müssen – und Moskau in dem Streit einen politischen Sieg geliefert.
Was ist der aktuelle Stand der Ermittlungen?
Die deutsche Bundesanwaltschaft hat ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Peter Frank, der die Ermittlungen leitet, erklärte am Wochenende gegenüber der Welt am Sonntag, es sei nach derzeitigem Stand „nicht belegbar“, dass ein staatlicher Akteur hinter den Sprengungen stecken könnte.
Die deutschen Ermittler entnehmen mithilfe zweier Forschungsschiffe Bodenproben. Auch Dänemark und Schweden entsandten Ermittlerteams, alle drei Nationen stehen miteinander in Kontakt. Einen Zeithorizont bis zu einem ersten Ergebnis gibt es nicht.
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