Druck- und Bestechungsvorwürfe: Massenproteste nach Georgien-Wahl erwartet
von Raphael Bossniak
Hupende Autos rasen die zentrale Rustaweli-Straße in der georgischen Hauptstadt Tiflis entlang. Im Siegestaumel wehen Flaggen der nationalkonservativen Regierungspartei „Georgischer Traum“ (GT). Das Feiern der Partei begann, noch bevor das offizielle Wahlergebnis vorlag. Der GT sah sich in einer ersten Hochrechnung als Sieger der am Samstag abgehaltenen Parlamentswahlen. Georgiens Wahlkommission bestätigte den Sieg einige Stunden später.
Ein Referendum „EU vs. Russland“, hätte die Wahl laut Opposition, die mittlerweile von Wahlbetrug spricht, sein sollen. „Die Regierung bringt uns immer weiter weg von Europa“, sagt die Aktivistin Ana Tavadze von der oppositionsnahen, proeuropäischen NGO „Schande“. In den vergangenen drei Jahren zerstritt sich der GT, der bis heute eigentlich eine Annäherung an die EU verspricht, mit Brüssel. Auch zwei Gesetze, gegen NGOs und Georgiens Homosexuelle, torpedierten die EU-Bestreben.
„Wir brauchen Europa“, meinte Wählerin Sopo am Wahltag. Sie hat die libertäre Kleinpartei Girchi gewählt. In den großen Städten rasselten die Ergebnisse des GT nach unten. Ein weiterer Wähler, Giorgi, berichtete von einer immensen Polarisierung im Land, die die Wahl gebracht habe: „Manche Studienkollegen reden nicht mehr mit dir, wenn du die für sie falsche Partei wählst“, sagt er. Besonders auf dem Land ist die Regierungspartei omnipräsent.
GT in den Dörfern besonders stark
„In entlegenen Dörfern war fast nur der GT sichtbar“, erzählt Reinhold Lopatka (ÖVP), der für das Europäische Parlament die Wahl beobachtete.
Besonders die Mahnung der Regierung, nur sie könne einen erneuten Krieg mit Russland verhindern, fiel auf fruchtbaren Boden. In den südlichen Grenzregionen zu Armenien und Aserbaidschan setzt sich die Regierungspartei nahezu ohne Gegenwehr durch: Über 80 Prozent fuhr sie in manchen Gemeinden ein.
Eine gestohlene Wahl?
Zwei Männer stopfen trotz lauten Protests von Wahlhelfern einen Stapel Wahlstimmen in eine Wahlurne - Aufnahmen aus der südlichen Gemeinde Marneuli, die am Wahltag viral gingen. Die Wahlkommission schloss das Wahlbüro.
Bestechungen, manipulierte Wahlzettel und angedrohte Kündigungen, sollten Beamte nicht für die Regierungspartei stimmen: Die Vorwürfe sind lang. Wahlbeobachter der EU und der Parlamentarischen Versammlungen der OSZE, NATO und des Europarates sprachen in einer Pressekonferenz von einem „Rückfall“ der georgischen Demokratie.
Der Urnengang sei durch „Ungleichheiten, Druck und Spannungen“ gestört worden. Regierungschef Irakli Kobachidse wies die Vorwürfe einer Wahlfälschung zurück. „Die Beeinflussungen waren vermutlich nicht wahlentscheidend. Jedoch hat der GT eine Atmosphäre des Drucks und der Angst aufgebaut“, sagt Lopatka.
In der Opposition glaubt man den GT-Rekordzahlen auf dem Land nicht: Die vier größten Parteien wappnen sich für große Demonstrationen am Montag. „Wenn die Wahlen nicht zu 100 Prozent fair sind, wird es Massenproteste geben“, vermutete Aktivistin Ana Tavadze bereits am Tag vor der Wahl.
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