Behördenversagen
„Man hat versucht, die Schwere des Ausbruchs herunterzuspielen“, urteilt CNN nach der Befragung mehrerer Experten über das 117-Seiten-Dokument des Hubei Provincial Center for Disease Control and Prevention, das dem Sender von einem Whistleblower der Behörde zugespielt worden sei. Den chinesischen Offiziellen sei jede Möglichkeit gegeben worden, ein Bild nach ihren Vorstellungen zu zeichnen, so Andrew Mertha, Direktor des China-Studienprogramms der John Hopkins University.
Das ist ein Vorwurf, der nicht neu ist; allein: In diesem Maße belegt wurde er noch nie.
Allerdings, so konstatiert CNN, sei in den Unterlagen nirgends ein Hinweis auf bewusste Verschleierung zu finden – zumindest zu Beginn der Pandemie. Vielmehr habe es sich um Behördenversagen gehandelt: An mehreren kritischen Punkten der Pandemieentwicklung seien klare Fehltritte sichtbar – das ergebe in Summe ein Bild von institutionellem Versagen.
23 Tage bis zur Diagnose
Das hat China freilich immer anders dargestellt. Schon am 10. Februar, eben jenem Tag, an dem es eigentlich doppelt so viele Fälle gab wie offiziell kommuniziert, lobte Präsident Xi sich selbst dafür, wie gut China die Pandemie im Griff habe, wie rasch alle Stellen reagiert hätten. Auch jetzt ist dies das offizielle Narrativ Pekings.
Allein, von rasch kann keine Rede sein. Noch im März – als das Virus schon längst auf beinahe allen Erdteilen grassierte und China sich rühmte, die Zahlen eingedämmt zu haben – brauchten die Behörden im Schnitt 23,3 Tage (!), um eine Corona-Infektion per Test nachzuweisen.
Und auch ein anderer Faktor wurde damals verschwiegen: Im Dezember – also just zu jener Zeit, als das Coronavirus erstmals auftauchte – wurden in Wuhan und zwei angrenzenden Städten eine enorme Zahl an Grippefällen registriert; 20 Mal so viele wie im Jahr zuvor. Zwar gibt es in den inoffiziellen Dokumenten keinen direkten Hinweis darauf, dass dies möglicherweise schon Corona-Fälle waren – nach außen kommuniziert wurde der seltsame Grippeausbruch allerdings nie.
Ablenkungsmanöver
Dass China just vor einigen Tagen versucht hat, den Ursprungsort des Virus in Italien oder Indien zu verorten, mag Zufall sein – oder ein Ablenkungsmanöver. Chinas Führung wollte den Whistleblower-Bericht jedenfalls nicht kommentieren. Ihr mag bewusst sein, dass er belegt, was auch Experten untermauern: Pekings Verhalten hatte „Auswirkungen auf die ganze Welt“, sagt Yanzhong Huang, Gesundheitsexperte beim Council on Foreign Relations. „Es ist klar, dass Fehler passiert sind. Aber nicht nur Fehler, wie sie einen im Umgang mit einem neuen Virus einfach unterlaufen, sondern auch behördliche und politisch motivierte Fehltritte.“
Allein, aufhalten können hätte man die Pandemie wohl mit mehr Transparenz auch nicht, sagt Huang – dafür sei das Behördenversagen zu massiv gewesen.
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