Erste Hilfslieferungen in Gaza: "Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“

Gaza
Zum ersten Mal seit zweieinhalb Monaten sind am Donnerstag Hilfslieferungen bei der Bevölkerung im Gazastreifen angekommen. „Ein Hoffnungsschimmer“, sagt ein Katastrophenmanager – das sei aber viel zu wenig.

Mehl, Babynahrung, Medikamente – die Lkw am Grenzübergang Kerem Shalom zum Süden des Gazastreifens waren gefüllt. Auf der anderen Seite warteten Helfer, um sie sofort entgegenzunehmen. Doch die rund zwei Millionen Bewohner des umkämpften Gebiets mussten auf die von Israel ab Montag in Aussicht gestellten Güter warten.

Knapp drei Tage lang standen sie im Niemandsland herum, wegen rigoroser Kontrollen durch die israelischen Behörden und weil diese die Entladungen nur in einem Bereich zuließen, der laut UNO nicht sicher genug war. Tage, die angesichts zweieinhalb Monate völliger Blockade sowie der Mitte Mai gestarteten israelischen Großoffensive mehr denn je von Überlebenskämpfen geprägt waren.

Noch in der Nacht mit der Verteilung begonnen

Erst am Donnerstag kamen dann die ersten  Hilfsgüter bei der Bevölkerung an, die UNO hatte noch in der Nacht mit der Verteilung begonnen. Es habe sich um rund 90 Lastwagenlieferungen gehandelt, ließ ein Sprecher der Vereinten Nationen wissen. Israel teilte am Donnerstag mit, dass rund 100 weitere Lastwagen eingetroffen seien. Hilfsorganisationen berichten weiter von einigen zurückgehaltenen Lieferungen.

„Das ist ein Beginn, ein Hoffnungsschimmer. Gleichzeitig handelt es sich nur um einen Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Jürgen Högl über die nun eingetroffenen Hilfen zum KURIER. Bis vor wenigen Wochen koordinierte der Österreicher von Ägypten aus die internationale Rotkreuz-Hilfe für Gaza, noch immer steht er in engem Austausch mit seinen Kollegen vor Ort. 

Die Not in Gaza sei unbeschreiblich groß. Mehr als 300 Menschen seien bereits verhungert, laut Angaben der unter Leitung der Terrororganisation Hamas stehenden Behörden waren es allein in den vergangenen Tagen 29 Kinder und ältere Menschen, die verhungert seien. Auch die Gesundheitsversorgung ist zusammengebrochen. 

Die 100 Lkw-Lieferungen pro Tag, die Israel nun erlaubt, decken laut Högl den Bedarf nicht: „In der Zeit des Waffenstillstands zu Jahresbeginn waren es 700 pro Tag. Und auch die waren gerade mal ausreichend, um die Basisversorgung sicherzustellen.“ Ungefähr 9.000 volle Lkw – 170.000 Tonnen an Gütern – stehen laut Högl in den umliegenden Ländern bereit, könnten „auf Knopfdruck“ geliefert werden. Wenn das möglich wäre. 

"Menschen leben im Müll"

Dazu kommt, dass es an mehr als an Nahrung und Medikamenten mangelt: „Die Bewohner von Gaza leben unter unsagbar schlechten hygienischen Umständen – unter Bretterverschlägen, im Müll, im Abwasser, neben Ungeziefer. Viele Kinder haben Krätze, die Eltern können sie nicht mal waschen“, berichtet der Katastrophenmanager. Das Trinkwasser sei ebenfalls weiterhin äußerst knapp.

„Humanitäre Hilfe muss bedingungslos zugelassen werden“, sagt Högl und erinnert an das humanitäre Völkerrecht, das auch Geiselnahmen und Angriffe auf Helfer untersagt. Mehr als 400 Helfer haben seit Kriegsbeginn ihr Leben verloren, 36 davon vom Roten Kreuz. 

Scharfe Kritik an der Anzahl an Hilfslieferungen übt auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die in einer Presseaussendung von einem „lächerlich kleinen Umfang“ schreibt: „Die israelischen Behörden wollen sich offenbar nicht dem Vorwurf aussetzen, die Menschen im Gazastreifen auszuhungern, während sie sie gleichzeitig nur gerade so am Leben halten“, wird Pascale Coissard, Notfallkoordinatorin der NGO in Khan Yunis, zitiert. „Es ist ein Versuch, Hilfe zu instrumentalisieren zur Erreichung der militärischen Ziele der israelischen Streitkräfte.“  

"Vertrauen Sie uns"

Zum Vorwurf Israels, die  Hamas würde an die Lieferungen kommen und sie weiterverkaufen, sagt Högl vom Roten Kreuz: „Organisationen wie wir haben jahrzehntelange Erfahrung in der Unterstützung von Menschen in Not. Vertrauen Sie uns, wir können sicherstellen, dass Hilfe nicht in falsche Kanäle gelangt.“

Der Druck wächst

Der internationale Druck auf die israelische Regierung, die katastrophale Lage im Gazastreifen zu beenden, ist in den vergangenen Wochen noch einmal gewachsen. 

Premier Benjamin Netanjahu sagte am Mittwoch, er sei zu einer weiteren befristeten Waffenruhe bereit, um die Rückkehr der dort noch festgehaltenen israelischen Geiseln zu ermöglichen. Gleichzeitig hielt er an seinem kürzlich verkündeten Ziel fest, die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen.

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