„Es führt einen Krieg gegen eine Organisation, die erklärtermaßen seine Vernichtung anstrebt – und muss gleichzeitig eine Bevölkerung versorgen, die unter der Kontrolle eben dieser Kräfte lebt“, führt Levy im Gespräch mit dem KURIER aus. Doch so nachvollziehbar die sicherheitspolitische Logik sei, dürfe man die humanitären Folgen nicht ausblenden: „Menschen sterben, viele hungern, der Zugang zu medizinischer Versorgung ist extrem eingeschränkt – und es gibt innerhalb Gazas keinen Ort, an dem sie wirklich Schutz finden könnten.“
Israels militärische Ziele
Genau diese Notlage der zwei Millionen Menschen in Gaza droht Israels militärischen Zielen zu schaden. Bilder hungernder palästinensischer Kinder und zerstörter Krankenhäuser bestimmen mittlerweile weltweit die Wahrnehmung des Krieges – und bringen selbst enge Verbündete wie Frankreich oder das Vereinigte Königreich dazu, Konsequenzen anzudrohen, sollte sich die Lage nicht rasch bessern.
Israel wiederum bestreitet, dass es eine Hungersnot gebe – das Problem sei nicht der Mangel an Vorräten, sondern deren Verteilung: Die Hamas plündere die Lebensmittel.
Dennoch reagierte Israel auf die Kritik: Am Montag passierten erstmals seit dem 2. März wieder Hilfslieferungen den Grenzübergang Kerem Shalom in Richtung Gazastreifen. Mit nur neun Lastwagen blieb das Aufkommen jedoch weit hinter den täglichen 500 Transporten zurück, die von den Vereinten Nationen als notwendig erachtet werden. Am Dienstag wurden schließlich hundert weiteren Lkw die Einfahrt nach Gaza gestattet.
"Humanitäre Katastrophe mit Ansage"
Kaum jemand verkörpert das Dilemma zwischen Kriegsführung und Hilfeleistung so sehr wie Einav Levy. Gaza, sagt er, „ist eine humanitäre Katastrophe mit Ansage: Es ist andauernder Krieg, die Menschen fliehen von einem Ort zum anderen, die sozialen Strukturen sind zusammengebrochen.“
Es fehle an verlässlichen Partnern vor Ort – und an Vertrauen. Die Hamas habe den Menschen den Krieg gebracht, wiederholt Hilfsgüter abgezweigt und kapituliere nicht – in dem Wissen, dass die zivile Notlage Israel zunehmend unter Druck setzt.
Drei Zonen
Hinter den Kulissen arbeitet Israel an einem neuen Ordnungsmodell für Gaza. Laut Medienberichten soll das Gebiet in drei Zonen unterteilt werden, auch um Hilfslieferungen in stabilere Gegenden lenken zu können. Langfristig könnte so eine kontrollierte Ordnung entstehen, die den Einfluss der Hamas weiter zurückdrängt und Israel erlaubt, nicht nur an den Grenzen, sondern auch innerhalb des Gazastreifens über die Verteilung der Hilfe zu bestimmen.
Für Hilfsorganisationen würde das bedeuten, sich mit neuen israelischen Strukturen im Inneren zu arrangieren – was eine zusätzliche Politisierung der Hilfe mit sich bringen könnte.
Doch selbst unter diesen Voraussetzungen ließe sich kaum verhindern, dass auch Mitglieder der Hamas Zugang zu den Hilfsgütern erhalten. „Die Hamas ist Teil des öffentlichen Lebens – vielleicht nicht der Mehrheit, aber sie ist noch da. Sie essen und sie kämpfen“, sagt Levy.
Levy hat bereits vor einem Jahr eine Abhandlung zur humanitären Situation in Gaza geschrieben und ist zum Schluss gekommen, dass es letztlich die humanitäre Frage sein würde, die dafür entscheidend werde, wann Israel den Krieg beenden muss – unter dem wachsenden Druck der internationalen Gemeinschaft.
„Für mich war dieser Krieg anfangs gerechtfertigt, vor allem, nachdem ich selbst die Auswirkungen des Massakers am 7. Oktober gesehen habe“, sagt Levy. „Aber am Ende wird sich jeder in Israel die Frage stellen müssen, was wir in diesem Krieg getan haben und ob es mit unseren Werten vereinbar war.“
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