Ringen um Rücktritt des Premiers: Von Fünf Sternen verlassen

von Andrea Affaticati, Mailand
Es reicht ihm - mehr denn je. Nach Tagen voll von politischen Machtspielen, vor allem der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, will Premier Mario Draghi das Handtuch werfen. Der Ball lag am Donnerstabend bei Staatspräsident Sergio Matarella. Der lehnte den Rücktritt des Regierungschefs vorerst ab. Vorerst soll er im römischen Parlament noch einmal die Vertrauensfrage stellen.
Abstimmung boykottiert
Seit Wochen droht die Fünf-Sterne-Bewegung Premier Draghi mit einem Eklat. Mittwochabend war es so weit: Bei der Abstimmung über ein neues Hilfspaket für Familien und das gleichzeitige Vertrauensvotum haben die Fünf-Sterne den Senatssaal verlassen, um nicht abstimmen zu müssen. Dass es so kommen würde, war vorhersehbar. Zwar hat die Regierung auch ohne den ausgetretenen Fünf Sternen die Mehrheit. Trotzdem hat der Vorfall gravierende Folgen. Schon gestern titelte die Tageszeitung La Stampa: „Conte eröffnet die Krise, Draghi wirft hin“. In den letzten Wochen hatte der Premier immer wieder klar und deutlich gesagt: „Eine Koalition ohne Fünf Sterne ist keine Option.“
"Pakt ist gescheitert"
Am Donnerstag klangen seine Worte bereits wie ein politischer Schlussstrich: „In den letzten Tagen habe ich mich bemüht, den gemeinsamen Weg fortzusetzen und sogar versucht, die Forderungen der politischen Kräfte an mich zu erfüllen. Wie die heutige Debatte und Abstimmung im Parlament zeigt, haben diese Bemühungen nicht ausgereicht“, sagte Draghi bei einer Ministerratssitzung am Donnerstagabend. Die Mehrheit der nationalen Einheit, die diese Regierung seit ihrer Gründung im Februar 2021 unterstützt hat, sei nicht mehr vorhanden. Der Pakt des Vertrauens, der die Grundlage des Regierungshandelns bildet, sei gescheitert, so Draghi.
„Seit meiner Antrittsrede im Parlament habe ich immer gesagt, dass dieses Kabinett nur dann existenzberechtigt ist, wenn es eine klare Aussicht auf die Umsetzung des Regierungsprogramms gebe, dem die politischen Kräfte ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Diese Einigkeit war bei der Bewältigung der Herausforderungen dieser Monate von grundlegender Bedeutung. Diese Bedingungen sind heute nicht mehr gegeben“, so Draghi. Er dankte seinen Ministern für ihre Arbeit und die erzielten Ergebnisse. „Wir müssen stolz darauf sein, was wir in einer sehr schwierigen Zeit im Interesse aller Italiener erreicht haben“, erklärte Draghi. Am Donnerstagabend erschien Draghi bereits zum zweiten Mal beim Staatspräsidenten. Der aber lehnte den Rücktritt vorerst ab.
Krisenmodus
Was hat die Fünf-Sterne-Bewegung zu diesem Schritt gebracht? Die internationale Lage könnte nicht schwieriger sein: Krieg in der Ukraine; Russlands Entschluss, die Gaslieferungen Schritt für Schritt zu kappen; die noch um sich greifende Pandemie und die steigende Inflation. In Italien liegt sie aktuell bei 8,5 Prozent, die Covid-Infektionszahlen steigen rapide, die Dürre zwingt die Landwirtschaft in die Knie. Italien ist auf die knapp 200 Milliarden EU-Wiederaufbaugelder aus dem Next Generation Fonds angewiesen, die Regierungskrise versetzt jedoch Brüssel und die Finanzmärkte in Alarm. Gestern hat die Mailänder Börse ein Minus von 3,85 Prozent verzeichnet.
Der Vorsitzende der Fünf-Sterne-Bewegung und ehemalige Premier Giuseppe Conte wehrt sich gegen den Vorwurf der Unverantwortlichkeit und wird nicht müde zu wiederholen: „Uns geht es einzig und alleine um das Wohl der Bürger.“ Nicht alle nehmen ihm das aber ab.
Streit um Dreck
Vor ein paar Tagen hatte Conte bei einem Treffen Draghi einen Neun-Punkte-Plan mit sozialen Maßnahmen vorgelegt. Es ging unter anderem um den Mindestlohn und die Beibehaltung von Boni. Die sind sehr kostspielig, weswegen Draghi für strukturelle Reformen plädiert – Conte will eine Neuverschuldung, um den Bürgern unter die Arme zu greifen.
Draghi hat mehreren Forderungen zugesagt und diese Woche schon Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände getroffen. Gegen weitere Staatsverschuldung hat der Premier aber ein klares Nein ausgesprochen.
Doch Contes eigentliches Streitross ist der Bau einer neuen Müllverbrennungsanlage in Rom. Die Fünf Sterne wollen davon nichts wissen. Dass man aber deswegen eine Regierungskrise verursacht, erscheint unverständlich. Inzwischen suhlen sich in der alten Müllversorgungslage der Ewigen Stadt die Wildschweine.
Geisel der Radikalen
Das Problem der Bewegung ist, dass ihre Fünf Sterne immer mehr verblassen, wenn nicht schon fast erloschen sind. Vor ein paar Wochen ist ihr ehemaliger Vorsitzender und jetziger Außenminister Luigi Di Maio ausgetreten, hat an die 65 Parlamentarier mit sich genommen und eine neue politische Gruppierung gebildet.
Ginge es nach dem radikalen Flügel der Fünf Sterne, müsste die Bewegung ganz aus der Koalition austreten. Andere wiederum wollen bleiben, so auch Conte. Das Problem des Juraprofessor Conte ist aber, seit Beginn seiner politischen Mission immer wieder Geisel der Radikalen zu werden. Einst war es der Lega-Chefs Matteo Salvini, jetzt sind es die Unbeugsamen seiner eigenen Bewegung.
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