Freundin der gefangenen Dubai-Prinzessin: "Latifa ist nicht vergessen"

Zwei Frauen in Abendkleidern posieren vor einer dunklen Holzwand.
Tiina Jauhiainen über die Flucht der Emir-Tochter vor ihrem Vater 2018, ihre Entführung und den Kampf für ihre Freilassung.

Eine junge Frau, gefangen gehalten in Dubai. Mit einem Handy nimmt sie heimlich Videobotschaften auf. Es ist Latifa al-Maktum, Tochter des mächtigen Emirs von Dubai. Seit einem missglückten Fluchtversuch aus den Fängen des Vaters 2018 ist sie eingesperrt, ihre Hilferufe, die im Februar weltweit für Entsetzen sorgten, waren der BBC von Freunden zugespielt worden, die unermüdlich für die Prinzessin kämpfen.

Mittelpunkt der #FreeLatifa-Kampagne ist Tiina Jauhiainen, 44, Latifas frühere Fitnesstrainerin und engste Freundin, die die Flucht mit ihr vorbereitet hatte und bei der brutalen Verschleppung der Prinzessin dabei war. Der KURIER erreichte die Finnin in London.

KURIER: Gibt es Neuigkeiten über Latifa, seit die Videos veröffentlicht wurden?

Tiina Jauhiainen: Wir haben leider keine neuen Informationen, es hat sich dennoch einiges getan. Die UNO hat einen Beweis von Dubai gefordert, dass Latifa lebt, Dubai hat jedoch bisher nicht reagiert. Spitzenpolitiker weltweit haben Besorgnis geäußert: US-Außenminister Blinken, der britische Außenminister Raab, Premier Johnson.

Die britische Queen distanzierte sich vom Emir, will nicht mehr mit ihm fotografiert werden. Die Videos haben viel Aufmerksamkeit erzeugt.

Wird das reichen, um Latifa freizubekommen?

Es ist ein Anfang. Der Fall beginnt peinlich für das Emirat zu werden. Die Leute sagen: Dubai? Ist dort nicht der Herrscher, der seine Tochter hat entführen lassen?

Was glauben Sie, lebt Latifa noch oder ist sie tot?

Bei all der Aufmerksamkeit müssen sie sie am Leben halten. Die Aufmerksamkeit ist ein gewisser Schutz, sie zeigt, Latifa ist nicht vergessen.

Wann und wie haben Sie Latifa kennengelernt?

Wir trafen uns Ende 2010, sie kontaktierte mich wegen privater Capoeira-Stunden. Wir wurden Freunde. Latifa ist eine sehr liebenswerte Person, sehr bodenständig, trotz ihrer Familie. Sie ist sehr tapfer – es ist ja nicht das erste Mal, dass sie in einem Gefängnis ist. Sie gibt nicht auf.

Wann hat Latifa Sie eingeweiht, dass sie fliehen will?

Wir haben all die Jahre immer wieder darüber gesprochen. Jedes Mal, wenn ich verreist bin, wurde sie erinnert, dass sie das nicht kann. Sie hatte Dubai seit 2000 nicht verlassen. Im Sommer 2017 entschloss sie sich zu fliehen, wir begannen mit der Planung, die Vorbereitungen dauerten ein halbes Jahr.

Zwei Frauen mit Sonnenbrillen sitzen in einem Auto.

Latifa und ihre Freundin Tiina zu Beginn der Flucht 2018

Eine Frau küsst ein schwarz-weißes Pferd auf die Nase.

Latifa hatte als 16-Jährige den ersten Fluchtversuch gewagt und war danach mehr als drei Jahre inhaftiert. In den Jahren danach vertraute sie nach eigenen Angaben keinem Menschen mehr, beschäftigte sich vor allem mit Tieren. Latifa ist begeisterte Reiterin... 

Zwei Personen füttern zwei junge weiße Löwen mit der Flasche auf einer Wiese.

...und hat auch ein Herz für Hunde (im Bild mit Freundin Tiina Jauhiainen)

Mehrere Fallschirmspringer sind in der Luft über einer Wüstenlandschaft.

Eine weitere Leidenschaft der heute 35-Jährigen: Fallschirmspringen. Dabei konnte Latifa erleben, was ihr sonst versagt blieb: Ein Gefühl von Freiheit

Ein Fallschirmspringer steht an der offenen Tür eines Flugzeugs.

Latifa vor dem Sprung

Welche Erinnerungen haben Sie an das Ende Ihrer Flucht?

Es war eine entsetzliche Erfahrung und sehr traurig. Die Flucht war, was Latifa so lange wollte, und dann war sie nach acht Tagen zu Ende. Niemand hatte in internationalem Gewässer einen derartigen militärischen Angriff zweier Länder (Vereinigte Arabische Emirate VAE und Indien, Anm.) erwartet.

Es war furchterregend, der Kommandant kam nach 22.00 Uhr an Bord, als wir gerade schlafen gehen wollten.

Die Schüsse, der Rauch der Gewehre – es war surreal, etwas, das man in Filmen sieht.

von Tiina Jauhiainen

über den Überfall auf hoher See

Sie haben mich an ein Ende des Bootes gezogen, sagten, sie würden mir das Gehirn aus dem Kopf schießen. Ich war paralysiert. Latifa hörte nicht auf zu kämpfen, rief nach mir. Sie wurde dann mit einem Boot weggebracht und in die VAE zurückgeflogen.

Was passierte mit Ihnen?

Die Crew und ich wurden drei Tage auf dem Boot festgehalten und dann auf ein Marineschiff der VAE gebracht. Ich galt als vermisst, meine Familie dachte, ich sei tot. Denn das letzte, was von unserem Boot zu hören war, bevor der Funkverkehr abriss, waren Schüsse.

In Dubai wurde ich in ein Gefängnis gebracht, das eigentlich für Terroristen wie die Al Qaida ist. Sie sagten: Niemand weiß, dass du hier bist. Sie drohten mir mit Todesstrafe, behandelten mich wie eine Terroristin. Mir war zuerst nicht bewusst, wie ernst die Lage ist, dass ich als Bedrohung der nationalen Sicherheit gelte. In meinen Augen hatte ich bloß einer Freundin helfen wollen.

Wie kamen Sie frei?

Wir hatten ein Video Latifas (das sie vor der Flucht als Sicherheit aufgenommen hatte, sollte ihr etwas zustoßen, Anm.) an Freunde geschickt, die es nach unserem Verschwinden veröffentlichten. Auch der Einsatz der finnischen Regierung half. Wenn es das Video nicht gegeben hätte, hätten Sie mich aber viel länger festgehalten.

Wann bekamen Sie wieder Kontakt zu Latifa?

Im Frühjahr 2019 wurde ich von jemandem kontaktiert, der eine Nachricht von Latifa hatte. Wir schafften es, ein Handy in ihre Gefängnis-Villa zu schmuggeln. Wir konnten zwar nicht miteinander telefonieren, weil immer Polizei und Wachen anwesend waren. Latifa nahm aber in der Nacht Videonachrichten in der Toilette auf, dem einzigen Raum, den sie zusperren konnte. In der Nacht deshalb, weil die Bewacher dachten, sie schlafe, und nicht so oft ins Zimmer kamen.

Ansonsten schickten wir uns Texnachrichten. Im letzten Sommer verloren wir plötzlich den Kontakt zu Latifa. Wir glauben, dass sie mit dem Handy erwischt wurde.

Wird in Dubai eigentlich über Latifa berichtet?

Nein. In Dubai gibt es keine Medienfreiheit. Es ist auch verboten, Nachrichten aus der westlichen Welt zu teilen, sie gelten als „Missinformation“, Weiterverbreitung wird streng bestraft. Medien in Dubai veröffentlichen immer wieder Bilder von zwei Schwestern Latifas, die auch Latifa heißen, das soll für Verwirrung sorgen.

Wurden Sie wegen ihres Einsatzes für Latifa je bedroht?

Es gab „Trolling“ (bösartige Botschaften auf Social Media) und einige Nachrichten, aber ich fürchte nicht um mein Leben. Dafür gibt es zuviel Aufmerksamkeit in den Medien.

Wenn Sie an 2018 zurückdenken: Würden Sie etwas anders machen?

Ich habe viel gelernt in den letzten drei Jahren. Es ist schwierig zu fliehen, wenn der Vater eine so mächtige Person ist. Der Fluchtplan damals wurde hauptsächlich von einem französischen Kapitän gemacht, er war für die Operation verantwortlich. Er war aber nicht so kompetent wie er sich ausgegeben hat. Heute würde ich die Flucht selbst planen.

Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum mit einer Frau bei einer Veranstaltung.

Der Emir von Dubai mit seiner 2019 geflohenen Frau Haya

Latifas ältere Schwester Shamsa wurde im Jahr 2000 in Großbritannien verschleppt. Seither wird sie in Dubai festgehalten. Gibt es Neues zu ihrem Fall?

Mit neuen Beweisen konnten wir erreichen, dass die Ermittlungen in Großbritannien wieder aufgenommen werden. Es gibt allerdings keine Neuigkeiten über Shamsa selbst. 2018 (als Latifa floh) war sie im Palast ihrer Mutter eingesperrt, ihr Schicksal war ein Hauptgrund für Latifa, zu fliehen.

Wie soll die #FreeLatifa-Kampagne in nächster Zeit weitergehen?

Wir erwarten eine öffentliche Stellungnahme der UNO, und wir bleiben in Kontakt mit Politikern. Wir hoffen auf Unterstützung der neuen US-Regierung, die sich, anders als die von Donald Trump, für Menschenrechte interessiert. Wir arbeiten weiter mit Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch. 

Wir haben weiteres Material von Latifa, dass wir in den nächsten Monaten veröffentlichen werden.

von Tiina Jauhiainen

über Pläne der #FreeLatifa-Kampagne

Was kann jeder einzelne für Latifas Freilassung tun?

Wir sollten uns überlegen, welche Werte uns wichtig sind. Dubai ist ein beliebter Ort für Urlaube, auch viele Europäer fahren hin. Wollen wir ein Land besuchen, dessen Herrscher so mit Familienmitgliedern umgeht? In Dubai haben Frauen keine Rechte, sie haben einen Vormund, der alles für sie entscheidet: den Vater, den Bruder, den Ehemann.

Die Menschen sollten Dubai boykottieren und all die Influencer, die nach Dubai geholt wurden, sollten umdenken, kein Geld mehr von Dubai nehmen und sich unserer Kampagne anschließen. Sie müssen aufhören, diese perfekten Bilder zu posten, das ist nicht die Realität.

Haben Sie den Emir je persönlich kennengelernt?

Nein. Nicht einmal Latifa kennt ihn wirklich. Es sind die Söhne, die öffentlich auftreten, Minister sind. Die Töchter werden von der Öffentlichkeit ferngehalten.

Kommentare