Bringt Terror letzten Aufwind für Le Pen?

Marine Le Pen hat den Wahlkampf lange dominiert.
Der jüngste Anschlag in Paris hat das Thema Terror im Wahlkampffinale noch einmal hochgekocht. Die Rechte Marine Le Pen könnte so ihre zuletzt merkliche Schwäche überwinden.

Die beiden Lokale im noch ziemlich volkstümlichen 20. Pariser Bezirk sind nur wenige Meter voneinander entfernt, aber das Wahlfeeling ist grundverschieden. Im Zeitungsladen fuchtelt eine ältere Dame in Richtung der Schlagzeilen über den Polizistenmord auf den Champs-Elysée und ruft: "La France aux Français" (Frankreich den Franzosen). Ein Bursch, der einen Lotto-Schein ausfüllt, antwortet, ohne sich umzudrehen: " Marine – jetzt erst recht".

Der Ladeninhaber, ein deklarierter Homosexueller, lächelt verständnisvoll und verrät in gedämpftem Tonfall: "Der Polizist war auch ein Homo. Ein Freund von der Kripo kannte ihn. Er lebte mit einem Diplomaten zusammen, sie wollten heiraten."

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Auf der nahen Terrasse des Szene-Beisls "Les Oignons" (Die Zwiebeln), in dem eher linksliberale Bildungsschichtler verkehren, werden die Vor- und Nachteile von Macron, dem Zentrumskandidaten, und Mélenchon, dem Linkstribun abgewogen. An einen besonderen Terror-Effekt zugunsten von Marine Le Pen mag keiner glauben: "Das kann ihr höchstens ein paar Stimmen mehr bringen bei Leuten, die sowieso schon in diese Ecke tendierten. Das ist ja nicht der erste Einzeltäter", sagt eine junge Frau im Kurzhaar-Schnitt, die von ihrem Laptop aufschaut.

Le Pen in der Defensive

Marine Le Pen selber will nicht so erscheinen, als würde sie aus dem Tod eines Polizisten wahlpolitischen Gewinn schlagen wollen: "Wir sind nicht erfreut. Wir fühlen uns eher niedergeschlagen, dass wir die Lage so richtig eingeschätzt haben", behauptet die Nationalistin.

Fest steht freilich, dass die Umfragen in den allerletzten Wochen, bis vor dem Polizisten-Mord, auf einen leichten Rückgang ihres Wähleranteils gedeutet hatten. In der letzten großen TV-Debatte hatte ihr der linke Mélenchon die Show gestohlen. Ein weiterer, eigentlich allgemein belächelter Kandidat einer linksradikalen Minipartei, der Fabriksarbeiter Philippe Poutou, hatte Le Pen wegen ihres Skandals um die Zweckentfremdung von EU-Geldern regelrecht vorgeführt.

Le Pen hatte auf diesen Durchhänger mit Fehltritten reagiert. So ließ sie sich dazu hinreißen, die blutige Protestanten-Verfolgung des 17. Jahr- hunderts durch die katholische Monarchie zu rechtfertigen und zwar als Lehrbeispiel für die Verteidigung der Nation gegen religiöse Abspaltung, womit sie auf Frankreichs Muslime anspielte.

Dabei hatte sie ihren Wahlkampf mit dem Slogan begonnen: "La France apaisée" (ein beruhigtes Frankreich). Dies sollte die Mäßigung der 48-jährigen Nationalistin nach dem Hinauswurf ihres Vaters, dem rechts-rechten Parteigründer Jean-Marie Le Pen, unterstreichen.

"Frexit" verschreckt

Bis zu einem gewissen Grad war Le Pen aber wiederum ihre deklarierte Absicht, Frankreich aus dem Euro und der EU zu führen, in die Quere gekommen. Weil ein Teil ihrer potenziellen Wähler genau davor zurückschreckt, rückte sie den von ihr angesteuerten "Frexit" wieder ein wenig in den Hintergrund und bemühte zum Schluss vorzugsweise härtere Töne in Sachen Migranten und Muslime. So versprach sie einen sofortigen Stopp für jegliche Einwanderung (zuvor hatte sie immerhin jährlich 10.000 Neuzugänge akzeptieren wollen) und die "sofortige Einberufung aller Reservisten, um die Landesgrenzen wieder herzustellen".

Die Einwanderung habe den Terror nach Frankreich gebracht: "Mit mir," behauptete Le Pen auf einer ihrer letzten Versammlungen, "hätte es weder die Terroristen des Bataclan (der Pariser Konzertsaal, in dem Dschihadisten 2015 ein Massaker verübten) gegeben, noch Mohamed Merah, den Mörder von Soldaten und jüdischen Kindern (Franko-Algerier, der 2012 drei Kinder und einen Lehrer in einer jüdischen Schule und drei Soldaten in Toulouse erschoss).

Das war vor dem Attentat auf den Champs-Elysée. Nachher legte sie noch ein Schäuflein dazu: Sie werde die rund 15.000 Personen, die bei den Behörden vorgemerkt sind, weil sie irgendwann und irgendwie mit dem Terrormilieu in Verbindung gebracht wurden – und sei es durch Zufall oder böswillige Denunziation – allesamt einsperren und die Ausländer unter ihnen des Landes verweisen.

Freilich verspricht auch der konservative Kandidat François Fillon eine "eiserne Hand gegen den islamischen Totalitarismus", und man kann auch schwerlich der SP-Regierung, die bereits drei Mal den Ausnahmezustand verlängert hat, mangelnde Härte vorwerfen.

Auf ihn setzen alle jene Linkswähler, denen die Linkskandidaten diesmal zu utopisch erscheinen. Und alle jene Bürgerlichen, für die Fillon zu skandalbelastet ist. Und all jene, die bei der Abwehr von Le Pen auf Nummer sicher gehen wollen. Das machte den liberalen Quereinsteiger Macron zum Favoriten.

Der mit 39 Jahren jüngste Kandidat ist ein – wenn auch pragmatischer – Tabubrecher – privat, beruflich, politisch: Er heiratete seine um 24 Jahre ältere vormalige Gymnasialprofessorin; der studierte Philosoph und Hobbypianist machte Karriere in einer Investmentbank, wechselte ins Kabinett von SP-Staatschef Hollande, amtierte als Wirtschaftsminister und ließ im Vorjahr auch diesen Job sausen, um seine Zentrumsbewegung für die Präsidentenwahl, „En Marche“ (so wie seine Initialen EM), zu gründen.

Macron will Unternehmern mehr Freiraum verschaffen (wie die „Neos“ in Österreich), diese Liberalisierung aber durch breite Sozialnetze abfedern. Er ist der einzige Kandidat, der sich besonders für die EU engagiert. Viele betrachten ihn aber daher als Kandidaten der „Eliten und Finanz-Oligarchie“, der von „etablierten Medien verhätschelt“ würde. Mit gewissen Sprüchen („Frankreich braucht junge Leute, die Milliardäre werden wollen“) hat er diesen Eindruck verstärkt. Dazu kommt ein Hang zu Leerformeln. Da er unter Hollande diente, von SP-Ministern unterstützt und von Hollande bevorzugt wird, sehen Kritiker in ihm einen Fortführer der Ära des gescheiterten Staatschefs. Macron hält dagegen, indem er demonstrativ Kräfte und „gute Ideen“ aus allen Lagern mixt.

„Ich werde einen für Frankreich ungewöhnlichen Weg gehen: Die Wahrheit sagen und das Betriebssystem komplett ändern“, hatte der konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon noch im November gesagt, als er überraschend die parteiinterne Vorwahl gewonnen hatte. Der ehemalige Premierminister stieg prompt zum größten Favoriten für die Präsidentschaft auf, sein rechtskonservativer Kurs schöpfte Marine Le Pen das Wasser ab, seine europafreundlichen Ansichten fanden Anklang.

Im Jänner erlitt das Bild des selbst ernannten Saubermannes jedoch tiefe Risse – Fillon soll seine Familie als Mitarbeiter im Parlament scheinbeschäftigt haben. Beispielsweise seine Frau Penelope für insgesamt 500.000 Euro. Der Eindruck eines wahrheitsliebenden und ehrlichen Politikers war dahin.

Mit sinkenden Umfragewerten stieg Fillons Wut auf die Medien: „Das ist alles eine Kampagne der Medien gegen mich“, sagte er regelmäßig auf Pressekonferenzen. Der Justiz, die wegen der Scheinbeschäftigung gegen ihn ermittelt, warf er „politischen Mord“ vor.

Trotzdem weigerte sich der Konservative, zurückzutreten – unter anderem, weil es keine Alternativen in seiner Partei gab. Fillons Beharrlichkeit scheint sich gelohnt zu haben: Mittlerweile ist er laut Umfragen wieder im Rennen um den Einzug in die Stichwahl am 7. Mai. Als einziger Kandidat einer etablierten Partei.

Gegen seinen aussichtsreichsten Widersacher, Emmanuel Macron, macht der 63-Jährige mobil, indem er ihn ins linke Eck stellt.

Der 65-jährige Jean-Luc Mélenchon vollbrachte in den Umfragen eine späte, aber rasende Aufholjagd. Der Berufspolitiker wurde noch vor Kurzem als links-orthodoxes Auslaufmodell sträflich unterschätzt. Aber im Endspurt, bei TV-Debatten, kam sein bestechender Wortwitz voll zum Tragen. Mélenchon konnte sein altväterliches Image retuschieren, indem er ein Team von jungen, globalisierungskritischen Linken sammelte, das Methoden der Bewegung von Bernie Sanders in den USA und „Podemos“ in Spanien abkupferte.

Er trat nun weniger als linker Dissident auf, der seine einstige Partei, die SP, bekämpfte und den verstorbenen venezolanischen Links-Caudillo Hugo Chávez verehrte. Sondern er warb für „ökologische Planung“, Tierrechte und (als einziger Kandidat) für den AKW-Ausstieg.
Bei Versammlungen seiner Bewegung „La France insoumise“ (Ungebeugtes Frankreich), die alle Teilnehmerrekorde brachen, waren rote Fahnen zwar unerwünscht. Aber er versprach, der „Finanz-Oligarchie“ – diesen „Parasiten“ – den Garaus zu machen: „Die werden viel (Steuern) zahlen, weil sie viel besitzen.“ Vor anderen Kandidaten warnte er: „Bei denen werdet ihr Blut spucken“.

Mélenchon will mit einem massiven Ausgabenprogramm der „sozialen und ökologischen Notlage“ begegnen. Für Kredite soll die EU-Zentralbank gerade stehen. EU-Verträge über den Defizit-Abbau will er wegverhandeln. Erst wenn das nicht klappen sollte, käme ein EU-Austritt infrage. Die NATO will er gleich verlassen, um Frankreich als „Weltmeister des Friedens“ erstrahlen zu lassen.

Es war zwar Zufall, dass der Attentäter auf den Champs-Elysée, der "Polizisten töten" wollte, den 37 jährigen Xavier Jugelé ermordete. Aber wie sich jetzt herausstellte, trotzte Jugelé auch persönlich Intoleranz und religiösem Fanatismus.

Der Polizeibeamte stand zu seiner Homosexualität und machte auch aus seiner offiziellen Lebensgemeinschaft mit einem Diplomaten kein Geheimnis. Er gehörte zu einer Gruppe, die innerhalb der Polizei lesbische, homosexuelle, und transsexuelle Beamte unterstützte und verteidigte. Sein Mörder, der 39-jährige Karim Cheurfi, ein chronischer Gewaltverbrecher ursprünglich ohne religiöses Gehabe, hatte bereits 2001 zwei Mal versucht, Polizisten zu töten.

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