Frankreich: Nationalrat stimmte für Verfassungsreform
Trotz allgemeiner Skepsis haben Präsident Francois Hollande und Premier Manuel Valls die erste Runde auf dem Weg zu der von ihnen geplanten Verfassungsreform gewonnen. Sein Vorhaben hatte Hollande gleich nach dem Gemetzel der Dschihadisten in Paris im vergangenen November verkündet: ein feierlicher Staatsakt im Schloss von Versailles, bei dem eine Mehrheit aus linken und bürgerlichen Abgeordneten der beiden Kammern des französischen Parlaments eine Verfassungs-Ergänzung zur Terrorbekämpfung (Titel: "Schutz der Nation") ratifizieren würden – ein strahlendes Symbol nationaler Einheit und Wehrbereitschaft gegenüber der dschihadistischen Dauerbedrohung. Gar nicht so nebenbei sollte dem angeschlagenen sozialistischen Staatschef auf diese Weise ein Neustart für die Präsidentenwahlen 2017 gelingen und seine bürgerlichen Widersacher, allen voran Nicolas Sarkozy, jeder Spielraum für Kritik in sicherheitspolitischen Belangen genommen werden.
Doch inzwischen kam große Ungewissheit auf. Jetzt, am Mittwoch, verabschiedete aber eine klare Mehrheit der Abgeordneten (317 Ja-Stimmen, 199 Nein-Stimmen) der französischen Nationalversammlung dieses Reformprojekt der sozialistischen Regierung für die Verfassung. Im Senat (der zweiten Kammer des französischen Parlaments) hatte es bis vor kurzem aber noch den Anschein, als würde die dortige bürgerliche Mehrheit auf ein Veto zusteuern. Daran könnte die Verfassungsreform, für die eine Zweifünftel-Mehrheit der Parlamentarier beider Kammern erforderlich ist, doch noch scheitern.
"Flickwerk" und "Schaumschlägerei"
Gleichzeitig hat sich die öffentliche Debatte ungemein verzettelt, Journalisten und Bevölkerung haben vielfach den Faden und das Interesse verloren. Das regierende sozialistische Lager ist so gespalten wie selten zuvor, die gelegentlichen grünen Verbündeten der Regierung sind mehrheitlich gegen diese Maßnahmen. Das gilt auch für eine Vielzahl angesehener Persönlichkeiten namentlich aus der Justiz und sämtliche Menschenrechtsorganisationen. Aber auch die bürgerliche Opposition ist in der Angelegenheit tief gespalten – zwischen dem Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy (der dem Vorstoß von Francois Hollande zustimmen musste, weil er seine eigenen Forderungen übernahm) und den meisten übrigen konservativen Spitzenpolitikern, die diese Änderungen der Verfassung sinngemäß für "ein nicht durchdachtes Flickwerk" halten. Man würde, so lautet deren Kritik, das Parlament und die Öffentlichkeit mit "politischer Schaumschlägerei" lähmen, statt die "echten Problemen der Behörden bei der Terrorbekämpfung anzugehen".
Ausnahmezustand gegen "Kriegsterrorismus"
Präsident Hollande und die Regierung wollen zwei neue Punkte in der Staatsverfassung verankern. Erstens die Möglichkeit der Verhängung eines neuen Typus von Ausnahmezustand durch den Ministerrat (eine Regierungssitzung unter Vorsitz des Staatschefs): bisher galt der Ausnahmezustand im Fall einer ausgesprochenen Kriegssituationen oder Naturkatastrophe und beinhaltete die Unterstellung der Zivilverwaltung unter Militärkommando. Der jetzt konzipierte und bereits angewandte Ausnahmezustand soll hingegen der Polizei schnellere Durchgriffsrechte bieten (vor allem Hausdurchsuchungen auch nachts sowie die Verhängung von Hausarrest, beides ohne vorherige richterliche Genehmigung), ansonsten aber den Fortbestand der demokratischen Normalität keinesfalls beeinträchtigen. Die Verfassungsergänzung müsse es den Behörden erlauben "gemäß den rechtsstaatlichen Prinzipien gegen den Kriegsterrorismus vorzugehen", hatte Präsident Hollande erklärt.
Die Kritiker sehen darin ein gefährliches Abgleiten in polizeiliche Willkür, die, gegebenenfalls, von einer autoritärer orientierten Staatsführung erst recht genützt werden könnte. Auftrieb erhielt diese Kritik auch noch durch eine Erklärung von Premier Manuel Valls, der meinte, dass Ausnahmemaßnahmen solange erforderlich wären, bis der so genannte "Islamische Staat" besiegt sei. Wobei, laut Valls, der Kampf gegen den dschihadistischen Terror vermutlich eine ganze Generation lang andauern würde. Allerdings besagt das jetzige Reformprojekt der Regierung aber auch, dass der Ausnahmezustand jeweils nur für eine Dauer von vier Monaten, nach Prüfung durch die obersten Verfassungsinstanzen, verhängt werden kann.
Doppelstaatsbürger im Visier
Für die aller heftigsten Debatten und das größte Unbehagen, vor allem in der Linken, sorgte der zweite Punkt, der jetzt in der Verfassung festgeschrieben werden soll: die Aberkennung der französischen Staatszugehörigkeit für "Verbrechen oder Vergehen, die einen schweren Angriff auf das Leben der Nation darstellen". Bisher gab es bereits eine derartige gesetzliche Möglichkeit (allerdings nicht in der Verfassung). Da aber internationale Regelungen, denen Frankreich zugestimmt hat, die Schaffung von "Staatenlosen" verbieten, bezog sich diese Möglichkeit nur auf Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft. Eine vormalige Linksregierung hatte in Frankreich geborene Doppelstaatsbürger von dieser Sanktion ausgenommen. Die jetzige Reform würde dies wieder rückgängig machen.
Beträchtliche Teile der französischen Linken aber auch einige liberale Politiker und Menschenrechtsorganisationen sehen darin einen ersten Schritt zur Aushebelung des so genannten "Recht des Bodens", also dem Anspruch aller in Frankeich geborenen Kinder auf die Erlangung der Staatsbürgerschaft bei Volljährigkeit. Das war immer eine entscheidende Trennlinie gegenüber rechtslastigen Strömungen. Die Kritiker des jetzigen Projekts verweisen dabei auch auf das Kollaborationsregime unter der NS-Besatzung, das französischen Juden die Staatsbürgerschaft entzog.
Die Verfechter des neuen Gesetzes halten wiederum diesen Vergleich zwischen der Verfolgung der Juden und einer gerichtlichen Verurteilung von Dschihadisten, die Massenmorde begehen, für unzulässig. Außerdem gäbe es auch Präzedenzfälle, die in eine ganz andere Richtung weisen: im Frankreich nach der Revolution wurden Sklavenhaltern die Staatsbürgerschaft entzogen. So ging man auch gegen Franzosen vor. die sich während der Kollaboration mit den deutschen Besatzern im zweiten Weltkrieg besonders hervorgetan hatten.
Einlenken der Regierung
Um aber doch das Unbehagen etlicher SP-Abgeordneter zu beschwichtigen, wurde auf Initiative von Regierungschef Valls eine Änderung am ursprünglichen Text vorgenommen, die das "Gleichheitsprinzip zwischen den Franzosen" garantieren soll: richtete sich die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft in der ursprünglichen Version ausdrücklich gegen Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft, so wurde jetzt die für Terroristen und ihre Helfer vorgesehene Sanktion umformuliert (Entzug der französischen Staatszugehörigkeit ODER der staatsbürgerlichen Rechte) und theoretisch auf ALLE Franzosen ausgedehnt.
Aber auch da antworten die Kritiker: de facto wären, immerzu wegen des Verbots der Staatenlosigkeit, nur Personen vom Entzug der Staatsbürgerschaft betroffen, die eine zweite Staatszugehörigkeit aufweisen. Dies ziele vorwiegend auf die Franko-Maghrebiner, die oft die Staatszugehörigkeit der Ursprungsländer ihrer Familien behalten, um dort etwa Erbschaftsansprüche geltend machen zu können. Somit würden doch zwei Kategorien von französischen Staatsbürgern geschaffen und die aus maghrebinischen Familien stämmigen Franzosen "unter Generalverdacht" gestellt werden.
Dieser Vorwurf ist der rote Faden der Kritiker des aktuellen Regierungskurs in Sachen Terrorbekämpfung: man würde den Dschihadisten in die Arme spielen, indem man die maghrebinisch-stämmige Bevölkerung Frankreichs ausgrenze und verärgere, wo doch im Gegenteil, die Verstärkung der Einheit der Bevölkerung und die Mobilisierung der republiktreuen Mehrheit unter den Franko-Maghrebinern Not tue.
Zwiespältige Bilanz des Ausnahmezustands
Darauf zielt auch die Kritik des Ausnahmezustands, der nach den Anschlägen vom November für drei Monate verhängt und inzwischen verlängert wurde. In den ersten drei Monaten erfolgten 3230 vor allem nächtliche Hausdurchsuchungen (ohne richterliche Genehmigung), in 406 Fällen wurden Hausarreste verhängt. Aber dabei wurden nur 25 Vergehen konstatiert, die in Verbindung mit der Terrorproblematik stehen: die meisten davon bestanden in Terrorverherrlichung (etwa auf Facebook), nur in vier Fällen wurde der Verdacht auf eine Verwicklung in Terrornetze weiterverfolgt.
Dies sei ein mageres Ergebnis, sagen die Kritiker, und bedauern, dass es bei diesem Rundumschlag zur Erstürmung und Verwüstung von Wohnungen kam, deren Insassen nicht den geringsten Widerstand leisteten und sich in etlichen Fällen hernach als unbescholten erwiesen. Teilweise zielten diese Aktionen auch auf ländliche Öko-Aktivisten. 113 Hausarreste (die manchmal mit Jobverlust einhergehen) wurden angefochten, zehn wurden von der Justiz annulliert.
Aber die Regierung sieht diese Bilanz durchwegs positiv: man habe 500 Schusswaffen, darunter 50 Kriegswaffen, sichergestellt. Im Milieu der radikalen Islamisten konnten große Mengen an Computern, Disketten und Handys beschlagnahmt werden, die man jetzt auswerte. In weiterer Hinsicht sei die kriminelle Szene der Vorstädte, die stellenweise Verbindungen zu den Terroristen unterhält und diese mit Waffen versorgt, schwer gebeutelt worden. Die Behörden hoffen durch diesen Druck auf kriminelle Kreise, die Dschihadisten ihres natürlichen Umfelds zu berauben. Man sollte doch gefälligst "nicht so tun, als wäre der Ausnahmezustand die Gefahr und nicht der Terror", mahnte Innenminister Bernard Cazeneuve mit Blickrichtung auf die Kritiker der Regierungsmaßnahmen.
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