Die Dame hat die Lage auf den Punkt gebracht. Nach über einem Monat Streik bei Bahn und Pariser Öffis – ein historischer Rekord – herrscht eine scheinbar ausweglose Pattsituation. Die Staatsführung um Präsident Emmanuel Macron hat die Schlacht um die öffentliche Meinung mit den Gewerkschaften noch immer nicht gewonnen, obwohl ein Teil der Bevölkerung unter dem Ausstand fürchterlich leidet.
Aber in keiner Befragung gibt es eine Mehrheit für das Reformprojekt der Regierung. Ausgerechnet das konservative Leitblatt Figaro (das die Rentenreform befürwortet) veröffentlichte zuletzt eine Umfrage, wonach 61 Prozent die Streiks für „berechtigt“ halten.
Dabei hat der Ausfall eines Teils der Bahnverbindungen während der Feiertage den lang ersehnten Urlaub für zahllose Franzosen furchtbar kompliziert und in einigen Fällen schlicht verunmöglicht. Am schlimmsten aber trifft es die Pendler im Großraum Paris. Während in Provinzstädten die Öffis nur an einzelnen Tagen in den Ausstand traten, sind in der 12-Millionen-Metropole S- und U-Bahnen, Busse und Tram seit 5. Dezember weitgehend lahmgelegt. Die wenigen, nur zu bestimmten Tageszeiten und nur auf Teilstrecken fahrenden Verkehrsmittel, sind in grauenhafter Weise überfüllt. An den Stationen, an denen Metro und Busse halten (was nicht immer vorhersehbar ist), ringen Massen um Zutritt, während drinnen Passagiere vergeblich auszusteigen versuchen.
Es kommt laufend zu Streitereien, aber laute Schuldzuweisungen an die Streikenden sind kaum zu hören. Den Menschen ist zwar klar, dass Eisenbahner und Metro-Bedienstete für die Bewahrung ihrer Pensionsvorteile streiken (ein Teil der Eisenbahner kann schon zwischen 52 und 57 Jahren in die Rente gehen, während der gesetzliche Pensionsantritt ansonsten in Frankreich derzeit bei 62 Jahren liegt). Aber vielfach überwiegt das Misstrauen gegen Macron und die Überzeugung, seine Reform werde den Rentenantritt generell erhöhen und die Pensionen drastisch senken.
Tatsächlich hatte die Regierung zwei Jahre lang nur von einer Vereinheitlichung der 42 verschiedenen Pensionssysteme Frankreichs gesprochen und erst knapp vor Weihnachten die de-facto-Anhebung des Antrittsalters für eine Vollpension auf 64 Jahre angekündigt – ohne Vorabsprache auch mit den durchaus reformwilligen Gewerkschaftsbünden (es gibt sieben rivalisierende Bünde in Frankreich). Bezüglich der künftigen Berechnungsgrundlage der Pensionen ließ die Regierung die Bevölkerung im Dunkeln.
Inzwischen ruderte die Staatsführung teilweise wieder zurück, indem sie mehreren Berufsgruppen Ausnahmeregelungen zugestand. Bei Verhandlungen mit den Gewerkschaften am Dienstag werden weitere Zugeständnisse erwartet.
Aber der radikale Flügel der Gewerkschaften, der ursprünglich nicht damit gerechnet hatte, dass die Streikenden bei Bahn und Öffis so lange durchhalten, will die Reform komplett kippen und diese Woche noch einmal aufs ganze gehen: ab Dienstag soll in keiner Raffinerie mehr Treibstoff ausgeliefert werden, für Donnerstag und Samstag sind landesweite Aufmärsche anberaumt.
Auf der anderen Seite aber kann es sich Macron kaum leisten, auf sein Vorhaben einer Vereinheitlichung des französischen Pensionssystems zu verzichten. Er würde das verbliebene Vertrauen seiner – hauptsächlich bürgerlichen – Kernwähler in seine Führungsstärke und unternehmerfreundliche Reformkraft verlieren.
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