Mehr Autonomie von Paris, mehr Rechte für Korsika

Ausschreitungen auf Korsika, hier in Bastia, vor zwei Jahren brachten Bewegung in die Autonomieverhandlungen.
Paris und Ajaccio haben sich auf eine historische Verfassungsreform geeinigt, die der Insel mehr Selbstbestimmungsrechte einräumt.

"Wir müssen vorwärtsgehen. Ich respektiere die Geschichte, die Kultur und die korsischen Eigenheiten. Und ich bin dafür, dass diese in der Verfassung verankert werden. Vive la Corse, vive la république, vive la France!"

Es waren historische Worte, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 28. September 2023 im Parlament der korsischen Hauptstadt Ajaccio sprach. Als erstes französischer Staatsoberhaupt unterstützte er damit offen das jahrzehntelange Streben der 350.000-Einwohner-Insel nach mehr Autonomie.

Diese Woche einigten sich Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin und eine korsische Delegation auf einen Text für eine Verfassungsreform, der die "Anerkennung eines autonomen Status innerhalb der Republik" vorsieht. Künftig soll die korsische Politik also Gesetze aus Paris anpassen können. In einem weiteren Schritt soll sie auch eigene Vorschriften und gesetzliche Normen bestimmen können.

Präsident Emmanuel Macron und Regionalratspräsident Gilles Simeoni im September 2023 in Ajaccio.

Präsident Emmanuel Macron und Regionalratspräsident Gilles Simeoni im September 2023 in Ajaccio.

Blutiger Freiheitskampf

Der Kampf um mehr Selbstbestimmung hat eine Blutspur in der Geschichte Frankreichs und Korsikas hinterlassen: Die Untergrundorganisation FLNC (Korsische Nationale Befreiungsfront) verübte jahrzehntelang Bombenanschlägen und Morde, lieferte sich Straßenkämpfe mit der Polizei. 2014 wurde eine dauerhafte Waffenruhe erklärt, seitdem kommt es nur noch vereinzelt zu Anschlägen.

Vor genau zwei Jahren hielten gewalttätige Ausschreitungen auf der Insel die Republik dann wieder nächtelang in Atem. Mit Molotowcocktails, korsischen Flaggen und der Besetzung des Finanzamtes wurde gegen die französische Staatsgewalt protestiert. Auslöser: der tödliche Angriff eines islamistischen Häftlings auf den ebenfalls einsitzenden korsischen Nationalisten Yvan Colonna. Dieser hatte 1998 den höchsten Repräsentanten des französischen Staates auf Korsika erschossen.

Ende März des Vorjahres trauerte ganz Korsika um Colonna. Regionalratspräsident Gilles Simeoni, einst Anwalt von Colonna, setzte trotz Protest aus Paris die Trikolore auf Halbmast.

Begräbnis des korsischen Separatisten Yvan Colonna am 25. März 2022.

Begräbnis des korsischen Separatisten Yvan Colonna am 25. März 2022.

Colonnas Abbild prangt nach wie vor an zahlreichen Wänden der Altstadt. Vor allem unter junge Korsen ist er ein Held der Unabhängigkeitsbewegung, sie teilen die Apathie gegenüber der Republik. 

Das korsische Regionalparlament, in dem gemäßigte Nationalisten die Mehrheit haben, wird in den kommenden Wochen über die Reform debattieren. Radikale Separatisten zeigten sich unzufrieden, sprechen von einer Pseudo-Autonomie. Die separatistische Nazione fordert etwa eine Anerkennung des Korsischen neben dem Französischen als offizielle Inselsprache. Innenminister Darmanin bestand jedoch darauf, dass der Textentwurf "Korsika nicht von der Republik trennt", kein korsisches "Volk" erwähnt und der korsischen Sprache keinen offiziellen Status zuerkennt, der dem Französischen gleichgestellt ist.

Korsika genießt bereits einige Privilegien gegenüber anderen Regionen in Frankreich: Die Korsen zahlen eine deutlich reduzierte Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Getränke, Hotels oder Benzin. Die korsische Sprache ist Pflichtunterricht in der Volksschule. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Korsen gegen eine Unabhängigkeit von Frankreich, aber für mehr Autonomie, etwa in Steuerfragen. Auch soll ein Wohnsitzstatus auf Korsika eingeführt werden, der Voraussetzung für den Kauf von Immobilien auf der Insel wäre.

Anschließend wird im französischen Parlament debattiert. Konservative Republikaner stehen den Autonomiebestrebungen der Korsen skeptisch gegenüber. Groß ist die Sorge, dass diese die Tür öffne für ähnliche Bestrebungen aus anderen Regionen, aus der Bretagne, dem Elsass und dem französischen Baskenland.

Doch auf Korsika sind sowohl der politische als auch der Druck aus der Bevölkerung deutlich höher, meinen Experten. Und auch Macron dürfte wenig an einer weiteren Dezentralisierung gelegen sein.

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