Flüchtlinge: Türkischer Spott für Europas Werben

Um das Geld, das die EU zahlt, soll die Türkei auch weitere Flüchtlingslager wie das Harran-Lager im Südosten des Landes errichten. Der Sprecher des Präsidenten dementiert aber, das es eine Einigung schon gibt
Ankara dementiert die Einigung über Stopp der Flüchtlingswelle. Ungarn schließt Grüne Grenze zu Kroatien

Die Europäer haben geschafft, was in der stark polarisierten politischen Landschaft der Türkei eigentlich unmöglich erschien: Regierung und Opposition in Ankara sind sich einig – und zwar in ihrer Skepsis angesichts der von der EU verkündeten Einigung in der Flüchtlingsfrage.

Europa wolle die Türkei zum "Subunternehmer" machen, der das Flüchtlingsproblem schultere, kritisierte der regierungskritische Journalist Namik Cinar. Die Regierungspartei AKP sprach vom Versuch der "politischen Bestechung" durch die EU. Außenminister Feridun Sinirlioglu bestritt, dass es bereits eine Einigung gebe, und forderte mehr Geld von der EU. Migrationsexperten betonten, der von der EU als Durchbruch angepriesene Plan werde das Problem nicht lösen.

Laut EU soll die Türkei u. a. schärfere Grenzkontrollen einführen und so den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa eindämmen. Im Gegenzug kann Ankara mit rascheren Visa-Erleichterungen, neuen Impulsen in den Gesprächen über einen EU-Beitritt sowie mit ein paar Milliarden Euro rechnen.

Reiseerleichterungen sind für viele Türken sehr wichtig, doch große Begeisterung wollte am Freitag dennoch nicht aufkommen. Ohne direkt auf die von Brüssel verkündete Grundsatzvereinbarung einzugehen, beschwerte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan, die EU unterstreiche derzeit zwar, wie sehr sie die Türkei brauche, wolle das Land aber nach wie vor nicht aufnehmen. Auch Ömer Celik, Sprecher der Erdogan-Partei AKP, dementierte, dass es eine Einigung gibt: Es werde weiter verhandelt, sagte er.

In einem Seitenhieb auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte Erdogan, in Europa reiche schon die Bereitschaft, ein paar Zehntausend Flüchtlinge aufzunehmen, um zum Kandidaten für den Friedens-Nobelpreis erklärt zu werden. Die Türkei versorge 2,2 Millionen Syrer und 300.000 Iraker und werde gar nicht erwähnt. Kritiker des Präsidenten sagten, Erdogan sei offenbar enttäuscht, dass er den Preis nicht erhalten habe.

Reformer besorgt

Vertreter des türkischen Reformlagers äußerten die Sorge, dass die EU in ihrem Werben um türkische Kooperationsbereitschaft in der Flüchtlingsfrage die bisherigen politischen Forderungen an Ankara fallen lassen könnte. So fragte der angesehene Leitartikler Murat Yetkin in der Online-Plattform Radikal, ob die EU nun etwa ihre Kritik an den rechtsstaatlichen Mängeln in der Türkei zurückstellen werde.

Andere Beobachter betonten, eine Umsetzung der Einigung mit der EU werde die Türkei überfordern. Der Migrationsforscher Murat Erdogan von der Ankaraner Hacettepe-Universität wies darauf hin, dass die EU in Zukunft in geordneter Weise Tausende Flüchtlinge aus der Türkei einreisen lassen wolle. Diese Chance auf eine legale Weiterreise nach Europa werde noch mehr Flüchtlinge in die Türkei treiben. "Wenn 100.000 Menschen in die Türkei können, können vielleicht 10.000 von ihnen nach Europa. Die restlichen 90.000 bleiben in der Türkei", sagte er.

Experte Erdogan betonte zugleich, dass die Türkei die Syrer bisher lediglich dulde (es gibt kein Asylrecht für sie, Anm.), ihnen aber keine Arbeitsgenehmigungen gebe. Wenn sich an diesem System nichts ändere, würden auch die Milliardenzahlungen aus der EU die Wanderungsbewegung Richtung Europa nicht stoppen.

Angesichts des Flüchtlingsstroms auf der Westbalkan-Route hat das ungarische Kabinett für Nationale Sicherheit am Freitagnachmittag die Schließung der Grünen Grenze zu Kroatien beschlossen. Das erklärte Außenminister Peter Szijjarto nach der Kabinettssitzung gegenüber Journalisten in Budapest.

Die Regelung gelte ab Mitternacht. Die regulären Übergängen an der Schengen-Außengrenze sind demnach von der Abriegelung nicht berührt.

Nur "halbe Erfolge"

Ministerpräsident Viktor Orban hatte die Sitzung und die mögliche Grenzschließung nach dem EU-Gipfel in Brüssel in der Nacht auf Freitag angekündigt. Zugleich erklärte er laut Agentur MTI, der Gipfel habe in Sachen Flüchtlinge nur "halbe Erfolge" gebracht.

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