Flüchtlinge: Italiens Muskelspiele gegen die EU

Ministerpräsident Di Maio droht Brüssel: Flüchtlinge aufnehmen, sonst kein Geld mehr.

„Wenn beim Treffen in Brüssel nichts herauskommt, dann werde ich nicht bereit sein, jedes Jahr 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen“, sagte Vize-Regierungschef Luigi Di Maio in einem Facebook-Video. Der Fünf Sterne-Chef Di Maio betonte, Italien werde nicht nachgeben. „Die Italiener verlangen, dass Italien von der EU respektiert wird. Wir wollen mit der EU nicht streiten. Doch in dieser Woche hat die EU-Kommission zum Thema ,Diciotti‘ noch kein Wort gesagt“, klagte Di Maio. Auf die Drohung aus Rom reagierte Brüssel knapp und prägnant: „In Europa führen Drohungen zu nichts“, sagte ein Kommissionssprecher. Die EU gründe auf Regeln, dies gelte auch für die Budgetzahlungen.

Di Maio trat mit seiner Botschaft das erste Mal aus dem Schatten des übermächtigen Koalitionspartners und Lega-Innenministers Matteo Salvini. Italien hatte seinen Druck im Vorfeld eines ergebnislos verlaufenen EU-Treffens in Brüssel am Freitag erhöht: Zahlungsstopp oder Bereitschaft der EU-Länder, die 148 Männer und Frauen der „Diciotti“ aufzunehmen, die seit 10 Tagen auf einem Marineschiff der italienischen Küstenwache ausharren müssen.

Der Lega-Chef gibt die harte Linie in der Migrationspolitik vor und will keinen Millimeter davon abweichen. Die aus Subsahara-Afrika geflüchteten Menschen will er keinesfalls in Italien aufnehmen. Opposition, Menschenrechtsorganisationen und Teile der Zivilgesellschaft werfen dem Innenminister vor, die 148 Menschen in „europapolitische Geiselhaft“ zu nehmen.

Brüssel kritisiert Italiens Erpressungsversuche, die seit Antritt der neuen Regierung im Frühjahr 2018 zur Tagesordnung gehören. Jede Ankunft von aus Seenot geretteten Menschen, selbst auf Schiffen der italienischen Küstenwache, hat ein langes Tauziehen mit Drohungen zur Folge.

Hungerstreik

Das Drama der „Diciotti“ demonstriert auf dem Rücken der Menschen auf dem Schiff, wie festgefahren und blockiert die europäische Asylpolitik ist. Der Großteil der EU-Länder fühlt sich nicht zuständig und lässt die Mittelmeer-Länder allein.

Die Lage auf dem Schiff der Küstenwache, das seit mittlerweile fünf Tagen im Hafen von Catania liegt, spitzt sich unterdessen weiter dramatisch zu. „Spannung herrscht an Bord des Schiffes. Ich habe von den Hafenbehörden die Information erhalten, dass die Migranten in den Hungerstreik getreten sind. Besuche an Bord des Schiffes sind aus Sicherheitsgründen ausgesetzt worden“, berichtetet der Abgeordnete Davide Faraone von der Demokratischen Partei nach seinem Lokalaugenschein auf Sizilien.

Zank mit Brüssel

Die Europäische Union wird von der Regierung aus Lega und Fünf Sternen nicht zum ersten Mal zum Feind erklärt. Selbst nach dem Brückeneinsturz in Genua vor 12 Tagen versuchte Innenminister Salvini, Brüssel eine Mitschuld zuzuschreiben. Denn die Sicherheit in Italien sei durch die EU-Sparvorgaben gefährdet, da Geld für Infrastruktur fehle, prangerte er an: „Es müsste vieles instand gesetzt werden. Aber immer wieder können wir dieses Geld nicht ausgeben, weil es europäische Hindernisse gibt.“

Ein Kommissionssprecher wies die Anschuldigungen zurück: Brüssel habe Italien sogar ermuntert, mehr in die Infrastruktur zu investieren. Auch im Wahlkampf fielen neben Ausländerfeindlichkeit vor allem die abschätzigen Aussagen der Lega-Politiker zur EU auf.

Drohung scheint zahnlos zu sein

Würde Italien seine Drohung tatsächlich wahr machen, droht dem Land ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren, welches vor dem Europäischen Gerichtshof landen könnte. Auf KURIER-Nachfrage sind sich diverse Experten darin einig, dass die Botschaft nicht mehr sei als ein Säbelrasseln der Regierung in Rom. Markus Scheiblecker vom Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien sieht die italienische Drohung aber als „kein gutes Zeichen“ für den europäischen Zusammenhalt.

Der Zahlungsstopp würde frühestens 2019 schlagend werden, da Italien seinen Beitrag für heuer bereits gezahlt hat. Auf Spekulationen, was passiert, wenn Italien seine EU-Beiträge tatsächlich nicht zahlt, wollte die EU-Kommission nicht eingehen. Ein Sprecher betonte, dieses Szenario habe es noch nie gegeben.

Italien sei derzeit Nettozahler, sagte der Sprecher. Bekommen habe das Land in den vergangenen drei Jahren jeweils zwischen zehn und zwölf Milliarden Euro an EU-Hilfen, vor allem für Strukturhilfen, Investitionen und Forschung. Erst kürzlich habe die EU-Kommission Italien mit neun Millionen Euro zur Bewältigung der Migration unterstützt.

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