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Flüchtlinge in Griechenland: "Einige drehen hier durch"
Seit dem EU-Türkei-Deal kommen weniger Flüchtlinge auf die Inseln, sie sitzen dort aber länger fest.
Fast lautlos schlägt das Wasser an die Kaimauern im Hafen. Touristen schlendern an weißgetünchten Häusern mit blauen Fensterläden vorbei. Am Strand, wo sich vor zwei Jahren Rettungswesten stapelten, liegen heute Urlauber in der Sonne.
Ioannis, Autovermieter, erinnert sich noch gut daran, als fast 2000 Menschen täglich auf Samos ankamen. "So was haben wir zuvor noch nie erlebt", sagt er und schüttelt den Kopf. Selbstverständlich haben sie alle geholfen, brachten den erschöpften Menschen Kleidung und Essen. "Wir sind gastfreundlich, das haben wir in uns drinnen", sagt er und klopft sich mit der Faust aufs Herz. Aber dann blieben die Touristen aus. "Es waren furchtbare Jahre, heuer ist es wieder besser", nickt er.
Zu wenig Platz
Die Behörden wissen nicht, wohin sie die Flüchtlinge bringen sollen und sind mit der Bearbeitung der Asylanträge überfordert. Nach 25 Tagen dürfen sie aus dem Lager, aber nicht von der Insel. Während es auf Lesbos und Chios mehrere Lager gibt, ist Vathi der einzige Unterkunftsort auf Samos, berichtet de Jong. Und dieser Tage sind es wieder mehr Menschen, die kommen - vermutlich aufgrund der milden Wetterlage. "Wir erleben einen Anstieg an Flüchtlingen. 500 Menschen kamen in den letzten zehn Tagen hier an – das ist nichts im Vergleich zu den Jahren davor –, aber es sind besonders viele Frauen und Kinder." Und für sie müsste es bessere Sicherheitsvorkehrungen geben, fordert de Jong. Fast täglich kommt es zu Konflikten: Der Frust über die lange Wartezeit, den unsicheren rechtlichen Status, das Nichtstun und die Traumata der Flucht schlagen auf die Psyche.

Mehr Suizidversuche
Polizei und Ärzte sind mit solchen Vorfällen überfordert, erklärt Antigone Karkanakis von "Ärzte ohne Grenzen – Griechenland". Einmal in der Woche dürfen sie ins Lager. Zuletzt registrierten sie mehr Patienten mit Symptomen von Ängstlichkeit und Depression, Suizidversuche nehmen zu.
Etwas Normalität erhalten die Menschen ein paar Gehminuten vom Lager entfernt, im Haus der "Samos Volunteers", wo Flüchtlinge Sprachkurse besuchen. Junge Männer mit Rucksäcken kommen herein. Einige lachen, einer begrüßt Anouk mit einem Highfive. Die Studentin aus Holland hilft hier ehrenamtlich: "Wir versuchen, den Menschen einen Grund zu geben, warum es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen", erklärt sie. Als Ansporn haben sie die Lernerfolge auf eine Tafel notiert.

Die Ankunft der Flüchtlinge hat das Land geprägt – einige meinen, gespalten. Freiwillige Helfer berichten, dass sich manche Einheimische nur heimlich mit ihnen treffen, um zu spenden. Niemand soll glauben, das Leid anderer sei ihnen wichtiger, als jenes der Landsleute, die nach wie vor mit den Folgen der Sparmaßnahmen kämpfen. Auch einige Urlauber wollen am liebsten nichts mehr hören und sehen von den Flüchtlingen.


EU-Türkei-Abkommen
Der Pakt zwischen der EU und der Türkei sieht vor, dass Menschen, die auf Ägäis-Inseln übersetzen, in die Türkei zurückgeschickt werden können, wenn ihre Asylanträge in Griechenland abgelehnt werden. Die Überprüfung der Asylanträge und Rückführungen in die Türkei gehen aber nur langsam voran – u.a. wegen bürokratischer Hürden und Personalmangel. Auf den Inseln harren derzeit mehr als 12.000 Migranten in überfüllten Lagern aus, die meisten davon auf Chios und Lesbos. Insgesamt leben in Griechenland ca. 62.500 Migranten.

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