Flüchtlinge: Faymann droht unsolidarischen Staaten

Kanzler Faymann, flankiert vom türkischen Premier Davutoğlu und der deutschen Kanzlerin Merkel.
Kanzler: Weniger Förderungen für Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen. Türkei führt Visa-Pflicht für Syrer ein.

Ein brisanter Bericht der luxemburgischen EU-Präsidentschaft bringt es ans Tageslicht: Nichts funktioniert in der EU-Flüchtlingspolitik. Von den elf vereinbarten Hotspots zur Aufnahme und Registrierung von Migranten arbeiten nur zwei; von 160.000 Flüchtlingen in Griechenland und Italien sind erst 184 auf andere Staaten aufgeteilt worden; die EU-Außengrenzen locken illegale Einwanderer mit riesigen Schlupflöchern; und kriminelle Schlepper verdienen sich eine goldene Nase.

Aktionsplan

Wie der Aktionsplan zwischen der EU und der Türkei umgesetzt wird, war zentrales Thema eines Mini-Gipfels der "Koalition der Willigen", also jener Länder, die vom Flüchtlingsansturm besonders stark betroffen sind. Wobei Ankara jetzt vorpreschte und eine Visa-Pflicht für Syrer ab 8. Jänner verlangt. Damit will die Türkei die Einreise bremsen. Außerdem hat der türkische Premier Ahmet Davutoğlu eine enge Zusammenarbeit mit der griechischen Küstenwache angekündigt.

Österreichs Kanzler Werner Faymann hat elf EU-Regierungschefs, Davutoğlu sowie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, seinen Vize Frans Timmermans und Parlamentspräsident Martin Schulz in Österreichs EU-Vertretung eingeladen. Merkel berichtete von einem "sehr positiven Treffen", Faymann kündigte eine neuerliche Zusammenkunft vor dem Februar-Gipfel an. Er betonte, dass sich alle "einig sind, die illegale Migration nach Europa deutlich zu reduzieren". Bei sicheren Grenzen sei auch die Umsiedlung syrischer Kriegsflüchtlinge aus der Türkei in die EU möglich, die genaue Zahl ist noch offen.

Neuerlich nahm Faymann jene Länder ins Visier, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, umgekehrt aber von EU-Förderungen profitieren. Der Kanzler droht in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung Die Welt den Netto-Empfängern. "Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wer unter dem Strich mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhält als er einzahlt, sollte sich bei einer fairen Verteilung der Flüchtlinge nicht einfach wegducken."

Prüfung von EU-Förderungen 2016

Das Timing für diese Drohung ist perfekt: 2016 wird das EU-Budget unter die Lupe genommen – mit einschneidenden Maßnahmen ist zu rechnen. "Dann wird eben die eine oder andere Straße in Tschechien oder der Slowakei nicht gebaut, weil wir das Geld für Flüchtlinge brauchen", kündigte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), an. Merkel hegt Sympathie für den Faymann-Vorschlag, sagt es aber nicht laut. Die Kommission kann sich Kürzungen vorstellen. Scharfe Töne gegen den Faymann kommen aus Ungarn: Von "Erpressung gewisser linker Staaten" sprach Orbàn.

Beim EU-Gipfel warb Juncker für die gemeinsame Grenz- und Küstenwache und den Ausbau von Frontex. Wenn ein Mitglied nicht fähig oder bereit ist, seine Außengrenze zu kontrollieren, sollten Grenzschutzteams auch gegen den nationalen Willen zum Einsatz kommen. Einige Länder sind dagegen, sie befürchten einen Solidaritätsverlust.

Für dicke Luft sorgte beim Abendessen der 28 Staats- und Regierungschefs die Debatte über britische Forderungen vor dem geplanten Austrittsreferendum.

Unzufrieden zeigten sich manche, unter anderem Italiens Premier Matteo Renzi, über die sechsmonatige Verlängerung der EU-Sanktionen gegenüber Russland, weil sie zu großen Export-Ausfällen führen. Partout zum Zeitpunkt der Verlängerung der Strafmaßnahmen, weilten der Vorsitzende des Außenpolitik- Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok, und Russland-Berichterstatter Othmar Karas zu Gesprächen in Moskau. Dazu Karas: "Der politische Dialog muss weitergehen."

"Man hat das Gefühl, dass Länder, die sich noch vor kurzem richtig weggestellt haben in der Diskussion jetzt doch so Formulierungen verwenden wie gemeinsame Suche nach einer Lösung", sagte Faymann. "Wir haben einige Punkte beschlossen, die operativ sehr wichtig sind", erklärte der Bundeskanzler. Im Plenum der 28 Staats- und Regierungschefs seien zudem gemeinsame Festlegungen bezüglich der Umsetzung getroffen worden. Das zeige, "dass wir hier deutlich sind und niemandem verheimlichen, dass uns die Zeit davonläuft", warnte Faymann. "Wir müssen den Winter nutzen, wir brauchen eine Lösung."

Bei den Gesprächen mit seinen Amtskollegen habe er erneut darauf hingewiesen, dass Solidarität keine Einbahnstraße sei, erklärte Faymann. "Deutliche Worte helfen die Dramatik der Situation, aber auch die Notwendigkeit einer Lösung anzusprechen." Im Vorfeld hatte der Bundeskanzler im Streit um die europaweite Verteilung von Flüchtlingen den Osteuropäern mit der Kürzung der EU-Beiträge gedroht. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte diesen Vorstoß als "Erpressung" kritisiert. "Man tut gut daran, dass man uns ernst nimmt", so Faymann in Richtung Orban.

"Ich möchte mir nicht vorstellen was passiert, wenn jedes Land auf eine eigene Lösung setzt und damit das Gemeinsame gefährdet ist", sagte der Bundeskanzler. "Solange wir die Chance haben das Gemeinsame durchzusetzen müssen wir die Ärmel aufkrempeln und das tun." Er sehe auch "eine gute Chance, das durchzusetzen", meinte Faymann.

Er sei aber zufrieden, dass sich die EU-Staaten zum Kommissionsvorschlag der gemeinsamen europäischen Grenzkontrolle positiv geäußert haben. "Alle sind einig, dass wir Schengen schützen wollen". Erfreut zeigte sich Tusk auch, dass ein schnelles Einsatzteam für Griechenland schon im laufenden Dezember eingesetzt werden könne. "Wir haben begonnen, in die richtige Richtung zu gehen beim Schutz der Außengrenzen".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker freute sich ebenfalls über die positiven Reaktionen zum Grenzschutzplan. Alles sollte bis Ende Juni 2016 unter Dach und Fach sein, so Juncker.

Tusk begrüßte auch das von Österreichs Kanzler Werner Faymann (SPÖ) einberufene "Treffen der Willigen" vor Beginn des EU-Gipfels.

Kommentare