Noch hofft Merkel auf gemeinsame Lösungen
Die Schlüsselfigur beim heute, Donnerstag, beginnenden EU-Gipfel ist wieder einmal die deutsche Kanzlerin: Madame Merkel will es schaffen – zumindest bei der Koalition der Willigen. Einfach wird das nicht. Den roten Teppich rollen ihr nur mehr die EU-Spitzen, Ratspräsident Donald Tusk, Parlamentspräsident Martin Schulz und Kommissionschef Jean-Claude Juncker aus; Juncker warb via Bild-Interview ganz offensiv für sie: "Die Geschichte wird Angela Merkel recht geben", sagte er.
Größer ist der Gegenwind im Kreis ihrer 27 Amtskollegen. Dazu kommt, dass das Treffen der Koalition der Willigen mit dem türkischen Premier Mittwochabend abgesagt wurde. Ahmet Davutoglu will nach dem schweren Anschlag in Ankara nicht ausreisen. Die Absage des Mini-Gipfels, zum dem Bundeskanzler Werner Faymann eingeladen hatte, trifft Merkel sehr, denn sie wollte mit dem Premier sowie dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ein Sechsaugen-Gespräch führen und mit Davutoglu die Vereinbarungen mit der Türkei festzurren, das Kernstück ihrer Strategie sozusagen: Die Reduktion der Flüchtlingsströme, der Kampf gegen Schlepper in der Ägäis mit NATO-Hilfe, die Sicherung der griechischen EU-Außengrenze. Werden diese drei Punkte umgesetzt, werden nationale Maßnahmen wie Grenzzäune überflüssig, heißt es in Merkels Umgebung. Im Gegenzug soll es finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei und die Visa-Lockerung geben, ein lange gehegter Wunsch Ankaras.
Merkel weiß, dass es beim Gipfel um viel geht – deshalb hat sie bei einer Regierungserklärung im Vorfeld die Erwartungen heruntergeschraubt. So werde es nicht um Kontingente bei der Flüchtlingsaufteilung gehen; dies wäre "lächerlich", zumal von den 160.000 Asylwerbern aus Griechenland und Italien nicht einmal 1000 verteilt sind. Auch den Plan, legale Flüchtlingskontingente mit der Türkei zu vereinbaren, hat sie hintangestellt. Das würde ohnehin nur unter den Willigen möglich sein, denn der Widerstand der "Abtrünnigen", wie die Visegrád-Gruppe (Ungarn, die Slowakei, Polen, Tschechien) bezeichnet wird, lehnt diesen Weg ab.
Merkel setzte aber auch leise Drohsignale ab. Natürlich werde sie weiter den gemeinsamen Weg gehen; "es versteht sich von selbst, dass ich meine Kraft darauf setze." Dem folgte jedoch ein Aber: "Müssen wir aufgeben – und wie manche es fordern, die griechisch-mazedonisch-bulgarische Grenze schließen? Mit allen Folgen für Griechenland und die EU insgesamt?" Dies kann auch als Hintertür verstanden werden: Geht Merkels Plan nicht auf, droht Chaos – ebenso eine mögliche Schließung der deutschen Grenze, deren wirtschaftlichen Folgen sie ebenso im Raum stehen ließ.
Die wirtschaftliche Komponente ist auch ein Signal an Paris. Entsprechend gespannt ist man auf das Treffen Merkels mit Hollande, denn zuletzt hatte Premier Valls Merkels Weg ja eine Absage erteilt. Die Einschätzung Brüsseler EU-Insider ist aber, dass das Duo Merkel-Hollande Einigkeit demonstrieren wird. "Von den beiden muss ein Signal an jene Länder ausgehen, die glauben, mehrfache Stacheldrahtzäune seien eine Lösung oder ein Kontrollsystem", sagte EU-Abgeordneter Elmar Brok (CDU) zum KURIER.
Knackpunkt Türkei
Auffallend sind auch die Bemühungen der EU-Spitzen für die Visegrád-Staaten und die Balkan-Länder. Tusk und Juncker trafen sich am Mittwoch mit den Regierungschefs aus Kroatien, Serbien, Mazedonien und Slowenien. Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt aber die Türkei: Ob Merkels Strategie aufgehen wird, lässt Präsident Recep Tayyip Erdogan aber weiter offen. Gestern hatte er ein Mittagessen mit dem Fraktionschef der EVP, Manfred Weber; danach stellte er fest, dass die Türkei Kriegsflüchtlinge nicht zum Verbleib zwingen könne. Eine Botschaft an Madame Merkel.
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