Von Kinderpornos, Brandbeschleunigern und dummen Menschen

Von Kinderpornos, Brandbeschleunigern und dummen Menschen
Fake News werden ein immer größeres Problem, Politik und Medien stehen ihnen ratlos gegenüber. Experten warnen vor mangelnder Medienkompetenz.

Edgar W. war hier, um die Wahrheit zu erfahren; und um die Kinder zu retten. In seiner Hand hatte er eine AR-15, im Kopf eine wirre Verschwörungstheorie. Dreimal schoss der 28-Jährige. In eine Wand, einen Schreibtisch und eine Tür. Verletzt wurde an diesem 4. Dezember glücklicherweise niemand. Die Verschwörungstheorie, die durch seinen Kopf und das Internet geisterte, besagt, dass die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und ihr Kampagnenleiter John Podesta im Keller der Pizzeria Comet Pingpong in Washington DC einen Kinderpornoring betreiben. Deshalb fuhr Edgar W. die rund 360 Meilen aus seiner Heimatstadt in North Carolina nach Washington, um die Sache selbst zu begutachten. Als die Polizei das Gebäude umstellte, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Die Pizzeria hat nicht einmal einen Keller.

Die Verschwörungstheorie wurde in den sozialen Medien und in Foren wie Reddit und 4Chan verbreitet, und sie hat die Debatte um so genannte Fake News noch einmal befeuert. In den USA waren sie im Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton Thema und kurz nach der Wahl brachte die Washington Post ein Interview mit Paul Horner; einem Mann, der Falschmeldungen produziert. Zum Beispiel jene über einen Mann, der angeblich bezahlt wurde, um gegen Trump zu protestieren. Oder eine andere, dass Barack Obama die US-Hymne bei Sportveranstaltungen verbieten wird. Horner äußerte einen für ihn schrecklichen Verdacht: „Ich glaube, Donald Trump ist meinetwegen im Weißen Haus.“

Würde diese These stimmen, es wäre nicht nur für sein Gewissen, sondern auch für die Demokratie ein Problem. Falschmeldungen, die eine Wahl entscheiden, zigtausendfach geteilt über Facebook und Konsorten – das wäre eine katastrophale Entwicklung. Vor allem, weil Untersuchungen ergaben, dass diese Falschmeldungen oft weiter verbreitet waren als echte Meldungen. Es sei „verrückt“ zu glauben, dass Fake News die Wahl in irgendeiner Weise beeinflusst hätten, sagte Facebook-Chef Mark Zuckerberg kurz nach der US-Wahl. Nur um wenige Tage später doch anzukündigen, dass Facebook gegen die Verbreitung von Falschmeldungen vorgehen will. Zunächst einmal will Facebook „die Inhalte schon als falsch erkennen, bevor sie Nutzer als Falschmeldung markieren“, schrieb Zuckerberg in einem Facebook-Post.

Problem gelöst? Eher nicht. „Ohne jetzt Facebook verteidigen zu wollen: Das ist eine reine Symptombekämpfung“, sagt der Politikberater Thomas Hofer. „Facebook ist nicht die Wurzel des Übels.“ Fake News sind kein Facebook-Problem; Facebook ist nur der Überbringer der schlechten Nachricht, auf den jetzt alle schießen, weil es das einfachste ist, das man jetzt tun kann. Das Problem an Facebook abschieben zu wollen, ist auch gefährlich. Es ist die Forderung, keine Plattform mehr zu sein, die Inhalte zur Verfügung stellt, sondern selbst redaktionell tätig zu werden. Auszusortieren, was auf Facebook verbreitet werden darf und was nicht. „Ich bin mir nicht so sicher, ob wir diese Forderung an eine Firma stellen wollen“, sagt Katharina Zweig, Informatikerin an der TU Kaiserslautern und Mitbegründerin der Initiative „Algorithm Watch“. „Was wollen wir in einer Demokratie, wer soll der Zensor sein?“, sagt sie.

Denn: Wo fängt eine Falschmeldung an? Verbreitet die rechtspopulistische Seite Breitbart.com Fake News oder hat die Seite nur eine eindeutige Schlagseite? Jede Zeitung, jedes Medium macht Fehler, die auch publiziert werden – verbreitet also falsche Informationen. Wenn der Algorithmus von Facebook das erkennt, wann ist Schluss? Drei Fehler und das Medium fliegt von Facebook? Und wer könnte Facebook davon abhalten, sich in jedem Land jenes Medium zu suchen, zu dem es das meiste Vertrauen hat und mit ihm einen Exklusivvertrag abzuschließen?

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People protest the appointment of white nationalist alt-right media mogul, former Breitbart News head Steve Bannon, to be chief strategist of the White House by President-elect Donald Trump on November 15, near City Hall in Los Angeles, California. / AFP PHOTO / DAVID MCNEW

Abgesehen davon glaubt Zweig, dass es kaum möglich ist, einen Algorithmus zu programmieren, der es tatsächlich schafft, echt und falsch zu unterscheiden. Eine Möglichkeit sieht sie dennoch, um der Verbreitung von Fake News Einhalt zu gebieten: „Themen, die emotional sind, werden den Menschen in einer Feedbackschleife immer wieder angezeigt“, sagt sie – so werden Meldungen viral. „Eine Sache, die uns als Gesellschaft helfen würde ist, wenn es da Dämpfer gäbe, wenn diese Meldungen erstens nicht so schnell verbreitet werden und nur dann, wenn sie von mehreren unabhängigen Quellen gemeldet wären“, sagt Zweig.

In Deutschland will die CDU nun noch einen Schritt weitergehen und Falschinformationen strafrechtlich ahnden lassen, jedenfalls wenn sie „Kampagnencharakter“ haben, sagt der Chef des Bundestagsinnenausschusses, Ansgar Heveling (CDU). Ihm geht es aber weniger um Facebook als um Russland – er befürchtet, die Russen könnten sich via Fake News in die Bundestagswahl 2017 einmischen . „Russland hat ein Interesse daran, unsere Gesellschaft zu spalten und zu verunsichern“, sagte der CDU-Politiker der Passauer Neuen Presse. „Die Gefahr ist groß.“ In den USA hat der Senat diese Woche beschlossen, einer Untersuchung über eine mögliche Einmischung Russlands in den US-amerikanischen Wahlkampf zuzustimmen.

Der Kannibale aus Pinkafeld

Das alles führt zu einer unangenehmen Frage, nämlich: Wer glaubt diesen Unsinn eigentlich? Wer nimmt seine Waffe und fährt quer durch das Land, weil er überzeugt ist, dass eine ehemalige First Lady, Außenministerin und Senatorin im Keller einer Pizzeria einen Kinderpornoring betreibt? Das ist ungefähr so, als wäre jemand wegen der Headline „Zu Besuch bei Hofer: ‚Ich mag Ausländer so gern, ich hab noch einen halben im Kühlschrank‘“ auf der Satireseite Die Tagespresse überzeugt davon, dass der Präsidentschaftskandidat ein Kannibale ist. Und würde nach Pinkafeld fahren, um Hofers Kühlschrank zu inspizieren.

Es komme aber „immer seltener vor“, dass Menschen die Artikel tatsächlich ernst nehmen, sagt Fritz jergitsch, Gründer der Tagespresse. Dazu sei sie schon zu bekannt. „Anfangs gab es aber schon vereinzelt krasse Sachen. Da musste sogar einmal das Außenministerium dementieren, dass sich Edward Snowden in Wien befindet, weil einige internationale Medien einen Tagespresse-Artikel für echt hielten“, erzählt er. Mittlerweile werden jene, die Tagespresse-Artikel ernst nehmen, „binnen Minuten und unter großer Häme zurechtgewiesen“.

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Sollen die Menschen glauben, dass es echt ist? „Klar gehört die kurze Verwirrung dazu“, sagt Jergitsch. Aber nicht, um die Leser zu täuschen, sondern „um zu zeigen, was die Menschen der heimischen Politik schon an Absurditäten zutrauen“, sagt er: „Wenn wir zum Beispiel schreiben, Werner Faymann wird Schaffner bei den ÖBB, und die Leute glauben das, dann sagt das weniger über diese Leute aus als über Faymann.“ Bewusste Propaganda dagegen hält auch Jergetisch für ein „großes Problem“. Weil „der Mensch dazu tendiert, kritiklos alles zu glauben, was sein Weltbild bestätigt.“

„Die Menschen werden definitiv dümmer“, sagt Fake-News-Schreiber Paul Horner im Interview mit der Washington Post. „Niemand achtet mehr auf die Fakten – ich meine, so wurde Trump gewählt. Er hat einfach gesagt, was auch immer er sagen wollte und die Menschen haben es geglaubt und wenn sich herausgestellt hat, dass es nicht stimmt, hat es die Menschen nicht gestört, weil sie das schon erwartet haben. Das ist beängstigend.“

Wobei Fake News an sich auch nichts Neues sind. „John McCain wurde im Vorwahlkampf im Jahr 2000 von George Bush geschlagen, weil Bush das Gerücht verbreitet hat, dass McCain ein Kind mit einer Prostituierten gezeugt hätte. Was Unsinn ist. Das ist damals halt über Direktmarketing gelaufen und nicht über die asozialen Netzwerke“, sagt Politikberater Hofer. „Im Salzburger Wahlkampf 2002 war auf Plakaten zu lesen, dass Landeshauptmann Schausberger seine Frau schlägt.“ Was es immer schon gab, wird nun aber viel schneller verbreitet.

Schon lange bevor die US-Wahl in die heiße Phase ging und Pizza-Gate zum Thema wurde, erklärte der Krebs-Spezialist Christoph Zielinski am 31. August diesen Jahres: „Der ist super beinand.“ Gemeint war der damalige Präsidentschaftskandidat und nunmehr gewählte Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Auch über ihn war eine Falschmeldung im Umlauf: Der langjährige Raucher habe Lungenkrebs, lautete das laut Futurezone-Recherchen zunächst vom rechtsextremen Blog Politically Incorrect verbreitete Gerücht.

Das ist die Realität

Es wurde so oft geteilt und reproduziert, dass sich Van der Bellen zum Schritt an die Öffentlichkeit genötigt sah. Die sozialen Medien, die Thomas Hofer deshalb asoziale Medien nennt, machen Dirty Campaigning nochmal attraktiver. Weil sie es so einfach machen, Gerüchte zu verbreiten, vor allem unter den eigenen Anhängern – Filterbubble heißt das Schlagwort, unter dem das Phänomen zusammengefasst wird, dass Menschen in sozialen Netzwerken vor allem solche Nachrichten sehen, die ihr Weltbild bestätigen. „Ich halte das Bild der Filterbubble für falsch, weil es suggeriert, dass die Blase irgendwann platzt und man dann in der Realität landet. Das ist ein falsches Bild, es ist die Realität“, sagt Hofer.

Journalisten haben in dieser Realität immer weniger zu melden, weil sie nicht mehr als jene Instanz gelten, die Wahres von Falschem trennt. „Weil viele Menschen Quellen und ihre Seriosität nicht mehr einschätzen können oder umgekehrt sogar glauben, dass Journalisten sie grundsätzlich hinters Licht führen - Stichwort Lügenpresse“, sagt Thomas Hofer. Die Fakten zurechtzurücken wird umso schwieriger, je weniger Vertrauen die Medien genießen. Und je mehr Falschmeldungen kursieren, desto geringer wird dieses Vertrauen. Denn dass die Menschen zwischen vertrauenswürdigen und zweifelhaften Quellen unterscheiden würden, ist eine naive Hoffnung.

Denn die Fähigkeit, das zu tun, ist vermutlich viel geringer als viele glauben wollen, die mit oder in den Medien arbeiten. Barbara Buchegger, pädagogische Leiterin der Initiative saferinternet.at bietet Workshops an, um Schüler in Medienkompetenz zu schulen. „Wir gehen vor allem zu 15-Jährigen in AHS und BHS, die Referate halten und vorwissenschaftliche Arbeiten schreiben müssen“, erzählt sie. „Es fällt mir vehement auf, dass die Fähigkeit der Quellenkritik nicht vorhanden ist. Da geht es um ganz einfache Fragen: Wie finde ich Quellen und wie beurteile ich sie?“, sagt sie. Ihr Befund ist erschreckend: Viele Schüler glauben einfach alles, was sie online sehen, und genauso unhinterfragt teilen sie es.

Was es noch schlimmer macht: „Viele Lehrende und Eltern sagen uns: Wir können das selbst nicht. Die haben vielleicht mit Zeitungen und Büchern umgehen gelernt, aber nicht mit Onlinemedien.“ Wenn die Teams von saferinternet.at an Schulen gehen, halten sie deshalb nicht nur Workshops für die Schüler, sondern auch für Eltern und Lehrer ab. Buchegger und ihr Team konzentrieren sich auf ganz grundsätzliche Fragen: „Dass man sich anschaut: Wer steckt da dahinter? Wer hat etwas davon? Was bewirke ich damit, wenn ich so etwas teile?“

Wenige Tage nach dem Zwischenfall in der Pizzeria in Washington interviewte die New York Times Edgar W. „Ich wollte nur etwas Gutes tun und es ist irgendwie schief gelaufen“, sagte er dort. „Der Gedanke von unschuldigen Menschen, die leiden, war für mich herzzerreißend.“ Er ist noch immer nicht überzeugt davon, dass Hillary Clinton keinen Kinderpornoring betreibt, er kann nur so viel sagen: „In dieser Pizzeria waren keine Kinder.“

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