Expertin Ramsauer: Eskalation in Syrien kann Lage für EU zuspitzen
Die Lage in Syrien hat sich so dramatisch zugespitzt wie noch nie in neun Jahren Krieg, sagte die Syrien-Expertin Petra Ramsauer im schriftlichen APA-Interview. Die Eskalation im syrischen Idlib könnte dazu führen, dass Millionen weitere Flüchtlinge in die Türkei kommen.
Bereits jetzt leben in der Türkei rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien.
Vergangene Woche hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wohl nicht zuletzt wegen der Kämpfe um die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens die Grenzen zur EU geöffnet. Daraufhin versuchten Tausende Flüchtlinge aus der Türkei über die Grenze ins EU-Land Griechenland zu gelangen.
Nach Ansicht von Ramsauer bleibt der Zivilbevölkerung nur noch die Flucht als Ausweg, da sie zwischen "alle Fronten" gerate. Jene drei Millionen Syrer in Idlib hätten Panik davor, unter dem Regime von Präsident Bashar al-Assad zu leben. Auf viele seien Haftbefehle ausgestellt. Der Großteils der Zivilbevölkerung seien Frauen und Kinder.
Rückendeckung für Militäreinsatz
Die Türkei versuche mit der Öffnung der Grenzen, den Druck auf die EU zu erhöhen: "Die Türkei möchte nun verstärkte Rückendeckung für ihr Syrien-Engagement durch die EU", so Ramsauer. Eine weitere Flüchtlingswelle wolle Erdogan nicht mehr alleine schultern.
Das Vorgehen der Europäischen Union sieht Ramsauer kritisch. Die Union habe es versäumt, eine Krisenstrategie für Syrien zu entwickeln. Stattdessen habe man sich mit dem Türkei-EU-Abkommen in eine Abhängigkeit von Erdogan begeben.
Zum teilweise wenig humanitären Vorgehen der EU meinte Ramsauer weiter, dass ein Großteil des EU-Personals aus Wahlen hervorgehe und die große Mehrheit der Bevölkerung sich von der Zuwanderung überfordert fühle. Was jetzt passiere, sei die Folge von populistischer Politik.
"Belastungsprobe für EU"
Auch werde es hinsichtlich des Klimawandels noch einige weitere Fluchtbewegungen nach Europa geben, weshalb ein Mechanismus gefunden werden müsse. Sonst sei ein "Zerfallsprozess der EU" die Folge. "Es ist eine große Belastungsprobe für die EU, aus der sie gestärkt oder zerstört herausgehen wird", so Ramsauer.
Nach Worten der Expertin braucht die EU sofort ein Konzept um humanitäre Standards zu sichern. Eine Flugverbotszone in Idlib sei der erste nötige Schritt. Weiters müsse das Abkommen neu verhandelt werden. Die Syrien-Expertin sieht die derzeitige Lage als guten Zeitpunkt, um Assad "an den Verhandlungstisch zu bringen". Assad sei wirtschaftlich schwer angeschlagen, die Währung kollabiert.
Moralische Autorität
Hoffnung setzt Ramsauer auf die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020. "Die Ratspräsidentschaft wird wahrscheinlich ambitionierte Pläne haben was Asylrecht und Grenzschutz betrifft. Und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine moralische Autorität und die Kapazität, einheitliche Standards zu finden."
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