Expertin: "Auch China bereitet sich auf einen Krieg vor"
China betrachtet Taiwan mit seinen 23,5 Millionen Einwohnern als Teil seiner Volksrepublik – und droht regelmäßig mit Eroberung. Die Volksrepublik "flirte mit der Gefahr", sagte US-Präsident Joe Biden am Montag auf seiner Asienreise in Tokio. Auf die Frage, ob die USA Taiwan im Angriffsfall auch militärisch verteidigen würden, sagte Biden: "Ja. Das ist eine Verpflichtung, die wir eingegangen sind."
Peking reagierte umgehend mit einer Drohung: "Niemand sollte die feste Entschlossenheit, den unerschütterlichen Willen und die starken Fähigkeiten des chinesischen Volkes bei der Verteidigung der nationalen Souveränität und territorialen Integrität unterschätzen," sagte der Sprecher des Außenministeriums.
Machtkampf im Politbüro
Für die Wiener Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik von der Universität Wien kommt diese Zuspitzung nicht überraschend. "Präsident Xi Jinping bereitet seine Untertanen auf einen Krieg vor. Vor dem 20. Parteitag geht allerdings ein heftiger Riss durch die Führung. Und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist enorm."
Nicht nur die Null-Covid-Politik mit seit Wochen abgeriegelten Welt(handels)städten wie Shanghai sorgt für Empörung in der größten Mittelschicht dieser Erde. Die gut gebildeten Eliten des Landes, die vor der Pandemie als besonders reiselustig und weltoffen galten, dürfen auch nicht mehr reisen. Nur noch "notwendige Auslandsreisen" sind erlaubt, dazu gehören Studien- und Forschungsaufenthalte und Geschäftsreisen. Familienbesuche und Urlaubsreisen zählen nicht dazu.
Wirtschaft vor Politik
"Xi Jinping sitzt nicht mehr so fest im Sattel, wie viele im Westen glauben", sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik. Denn in China gibt es derzeit zwei fast gleich starke Lager: Diejenigen, die unter Führung von Premier Li Keqiang an einer freieren Gesellschaft mit offenem Welthandel festhalten wollen – also die Wirtschaft an die erste Stelle rücken. Und die anderen um den zunehmend autokratisch agierenden Xi Jinping, die Politik und Ideologie an die erste Stelle rücken wollen. Frei nach dem Motto: Jetzt sind wir reich genug geworden, jetzt können wir zurückkehren zur Planwirtschaft und zum echten Marxismus-Leninismus. Die Globalisierung soll also zurückgefahren werden, indem der Inlandsmarkt gestärkt wird.
Xi Jinping ist wie Wladimir Putin keiner, der lange herum fackelt. Viele einst Mächtige sind von der Bildfläche verschwunden. Xi, so sagt man in China schwermütig, hätte eh schon das halbe Politbüro ins Gefängnis geworfen.
Doch die Gruppe um den wirtschaftsliberalen Premier lässt sich gerade nicht mundtot machen. Sie will "Wirtschaft First", denn nur so könne das Land weiter prosperieren.
Selbst in den staatlichen Medien bekommen derzeit beide Gruppen fast gleich viel Platz, um ihre oft diametral entgegengesetzten Argumente vorzubringen. Auch Xis Festhalten an der Null-Covid-Politik konnte nur noch im "ständigen Ausschuss", dem sieben Personen angehören, und nicht im Politbüro mit 20 Mitgliedern abgesegnet werden. "Xi muss an Null-Covid festhalten, weil er sonst sein Gesicht verliert", sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik. "Doch seine Gegner sind nicht zu unterschätzen." Viele hielten diese Politik für gescheitert.
Zwar würde der 66-jährige Li Keqiang seinen Posten beim Parteikongress im Herbst aus Altersgründen zurücklegen, doch Sinologin Weigelin-Schwiedrzik würde nicht darauf wetten, dass dieser 20. Parteitag im November überhaupt plangemäß stattfinden wird. Xi Jinping will sich dort für weitere fünf Jahre als Generalsekretär bestätigen lassen. Aber: "Xi hat Angst vor dem Parteitag. Ob er danach so mächtig ist wie zuvor, ist gar nicht sicher."
Denn erstmals seit Langem steht ein Generationenwechsel im Politbüro an. Und da sind Xis Gegner, die wirtschaftsliberalen Parteipragmatiker, gut aufgestellt. Allerdings fehlt ihnen noch eine Führungsfigur.
Militär im Ukraine-Schock
Auch die Rolle der chinesischen Militärführung ist nicht zu unterschätzen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Generäle "ziemlich geschockt", sagt die Sinologin. Die Angst geht um, dass die US-Armee das starke taiwanesische Militär längst ausgebildet und aufgerüstet hat. Die Insel wäre also keineswegs im Handumdrehen einzunehmen.
Weigelin-Schwiedrzik: "Die chinesische Führung weiß, dass sie einen sehr hohen Preis dafür bezahlen müsste, dass sie mit schwerwiegenden Sanktionen rechnen müsste, und es ist nicht klar, ob sie einen Krieg politisch überleben kann."
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