Schanghai hungert, doch Xi Jinping deutet langfristigen Lockdown an

Sechs Karotten, zwei Kartoffeln, drei Zwiebeln, ein Stück Brokkoli und ein halbes Kilo Schweinefleisch – wie lange kann man damit auskommen? Millionen von Menschen in Schanghai mussten sich diese Frage seit Beginn des Lockdowns vor mehr als zwei Wochen stellen. Pakete dieser Größe waren für viele die einzige Essensration, die sie von der Stadtverwaltung seit dem 28. März erhalten haben. Andere erhielten überhaupt kein Paket.
Lockdown auf Chinesisch: Shanghai droht Hungersnot
Ob man versorgt werden kann oder hungern muss, ist in Schanghai im April 2022 Glückssache. Die chinesische Regierung verhängte über die 26-Millionen-Einwohner-Metropole den wohl härtesten Lockdown der Welt: Bei einem positiven Testergebnis wird der gesamte Wohnblock der infizierten Person mitsamt hunderter Nachbarn eine Woche lang von den Behörden abgeriegelt. Auch jene Bewohner, deren Testergebnis negativ ist, müssen somit zu Hause bleiben und dürfen nicht einmal zum Supermarkt oder zur Apotheke.
Schon in der ersten Woche waren die Lieferdienste in Schanghai unter der Welle an Bestellungen in die Knie gegangen. Manche Gemeinschaften in Wohnblöcken organisierten gemeinsam Gruppenbestellungen, auf die sie dann oft tagelang warten mussten. Der Zorn in der Bevölkerung in den chinesischen sozialen Medien war derart groß, dass die staatliche Zensurbehörde oft Stunden brauchte, um Beiträge zu löschen.
Die Stadtverwaltung reagierte, indem sie Essensrationen an jeden Haushalt verteilen ließ, über den eine Quarantäne verhängt wurde.
Doch weil das schon innerhalb weniger Tage für den Großteil der Stadt galt, wurde die Versorgung der festsitzenden Bürger zu einer unlösbaren logistischen Herausforderung: Weil die Verteilung der Lebensmittelpakete nach Bezirken organisiert wird, gibt es in manchen Stadtteilen schlicht nicht genug einsatzbereites Personal in Supermärkten oder bei Lieferdiensten. Zu viele sitzen selbst in Quarantäne, egal ob zu Hause oder in staatlichen Isolationszentren.
Der Versorgungsmangel führte in den betroffenen Bezirken bereits zu chaotischen Szenen. Hier streiten sich etwa hunderte Bewohner an einer Ausgabestelle um Essenspakete:
Erstmals leichte Lockerungen
Mit mehr als 25.000 neuen Fällen alleine am Dienstag ist weiterhin kein Ende der aktuellen Infektionswelle in Sicht. Trotzdem, und für die meisten Beobachter völlig überraschend, lockerte die Stadtregierung Schanghais am Montag erstmals die harten Lockdown-Maßnahmen in Bezirken mit niedrigen Zahlen.
Seither gilt ein Drei-Stufen-System: Einige Bewohner dürfen sich demnach wieder frei bewegen und andere zumindest ihre Wohnungen verlassen, auch wenn sie innerhalb ihrer Wohnanlage bleiben müssen. Wo in den vergangenen sieben Tagen neue Infektionen entdeckt wurden, müssen die Bewohner aber weiter drinnen bleiben. Das gilt aktuell für knapp 40 Prozent des Stadtgebiets.
- "Vorbeugungsgebiete"
Nachbarschaften, in denen seit Beginn des Lockdowns vor zwei Wochen keine einzige Infektion nachgewiesen werden konnte, gelten künftig als "Vorbeugungsgebiet". Hier dürfen sich die Bewohner wieder weitestgehend frei bewegen: Sie dürfen essentielle Einkäufe tätigen und spazieren gehen.
- "Kontrollierte Areale"
Jene Gebiete, wo es zwar zu Beginn des Lockdowns Fälle gab, aber in den letzten sieben Tagen keine Infektionen mehr nachgewiesen wurden, heißen fortan "kontrollierte Areale": Die Bewohner dürfen hier zwar ihre Wohnungen verlassen, müssen aber in ihren umzäunten Wohnblöcken bleiben; Einkäufe sind nicht gestattet.
- "Geschlossene Nachbarschaften"
Wo es in den letzten sieben Tagen positive Fälle gab, bleibt die Situation unverändert: Die Menschen müssen in ihren Wohnungen bleiben, sonst drohen harte Strafen.

In "kontrollierten Arealen" sind ganze Wohnblöcke umzäunt, die Bewohner dürfen nicht heraus.
Präsident Xi Jinping deutet langfristigen Lockdown an
Schreie und Gesänge in der Nacht, kleinere Ausbrüche aus der Quarantäne und viel, viel Unmut in den sozialen Medien: Der Lockdown und vor allem der Hunger hat breiten Zorn in der Bevölkerung über Schanghai hinaus hervorgerufen, wie er im modernen China selten zu sehen war. Dass die Regierung mit den Lockerungsschritten nun auf den Unmut der Bevölkerung reagierte und schon bald von der Null-Covid-Politik abweichen könnte, ist äußerst unwahrscheinlich.
Eine Rede von Staatspräsident Xi Jinping am Donnerstag deutet eher auf einen langfristigen Lockdown in Shanghai hin: "Wir müssen weiterhin die Menschen über alles stellen, das Leben über alles", so Xi bei einem Besuch auf der südchinesischen Insel Hainan. Und weiter: "Beharrlichkeit bringt den Sieg."
Auch Valarie Tan, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator Institut für China-Studien, sagt zum KURIER: "Ich sehe keine ernsthaften Signale, wonach die Regierung in Peking hier dem Druck der Bevölkerung nachgeben würde." Der Lockdown sei zwar in manchen Stadtteilen gelockert worden, "aber nur unter strengen Voraussetzungen. Und jedes Mal, wenn in einer dieser Nachbarschaften jemand positiv getestet wird, werden sie sofort wieder geschlossen werden."
Dass die Vereinigten Staaten am Dienstag einen Großteil der US-Diplomaten aus Schanghai abgezogen haben, zeige, "dass auch sie einen verlängerten Lockdown erwarten", meint Tan. Die Regierung werde auch künftig an der Null-Covid-Strategie festhalten, auch wenn die steigenden Zahlen trotz des Lockdowns beweisen würden, dass es "wissenschaftlich unmöglich" sei, dem Virus so beizukommen: "Die Omikron-Variante ist extrem infektiös und Schanghai ist nicht nur die größte Stadt Chinas, sondern auch die am dichtesten besiedelte."
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