Europas Juden fürchten Anstieg radikaler Kräfte bei EU-Wahl

Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen in jüdischen Wohnvierteln in Paris
„Europa geht auf große Turbulenzen zu“, befürchten die europäischen Rabbiner. Ihre Sorge gilt auch Österreich.

„Das ist nicht der richtige Weg: Anstatt religiösen Radikalismus zu bekämpfen, haben einige politische Kräfte beschlossen, gegen den Islam allgemein vorzugehen. Es geht nicht darum, Minarette zu verbieten oder gegen Leute zu agitieren, die religiöse Symbole tragen“, mahnte am Montag Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt in Brüssel. Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner befürchtet: Diese Islamophobie, wie sie europäische rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien an den Tag legten, schränke die religiöse Freiheit allgemein ein – und schade auch den jüdischen Gemeinden in Europa. „Wir Juden sind der Kollateralschaden“, warnt Goldschmidt.

Europas Juden fürchten Anstieg radikaler Kräfte bei EU-Wahl

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt (r.) warnt vor  dem
Aufstieg von Rechtsextremen

Rhetorik wird übernommen

Eine offiziell pro-jüdische Haltung, während man gegen islamische Mitbürger agitiere – das nennt er „politisch korrekten Antisemitismus“. Diesen ortet der Präsident von 700 Rabbinern auch in Österreich. „Diese Angriffe auf religiöse Freiheiten, sie werden immer mehr akzeptiert – bei der FPÖ, in der AfD, in Le Pens Partei. Sogar manche der traditionellen Parteien übernehmen diese Rhetorik.“

Die Beteuerungen rechtspopulistischer Politiker, „die Verbrechen der Vergangenheit nicht mehr zu wiederholen“, zieht der Oberrabbiner in Zweifel. Und er verweist auf den Neuseeland-Anschlag bzw. auf den Attentäter, der den Identitären Geld überwiesen hatte. „Das ist so eine Verbindung“, warnte er. Die kommenden europäischen Wahlen mit erwarteten Zugewinnen rechtspopulistischer Kräfte sieht Oberrabbiner Goldschmidt denn auch als „großen Test“. Europa werde diese Turbulenzen entweder überwinden oder sich zurückentwickeln, konstatiert Goldschmidt.

Sicherheitsmaßnahmen

In den vergangenen zwei Jahren sind die Angriffe gegen Juden in Europa zwar weniger geworden. Dies habe jedoch nicht mit nachlassendem Antisemitismus, sondern mit massiv erhöhten Sicherheitsmaßnahmen zu tun, führte der Oberrabbiner weiter aus. „In manchen jüdischen Gemeinden verschlingen diese Maßnahmen bis zu 50 Prozent ihres Budgets.“ Dennoch sank die Zahl der Juden in Europa in den vergangenen Jahren von zwei Millionen auf 1,6 Millionen.

Die Angst vor Attacken führte indes in Frankreich zu einem Phänomen: Dort lebten laut Goldschmidt zahlreiche Juden, die trotz allem mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen sympathisierten. „Sie haben so viel Angst vor islamistischen Terror, dass sie sich mit einem rechtsradikalen Präsidenten sicherer fühlen würden.“

Als besonders schlimm erachtet der Präsident der Europäischen Rabbiner auch die Hassattacken in den sozialen Netzwerken. Laut einer Umfrage der EU-Grundrechteagentur fühlen sich 90 Prozent aller europäischem Juden im Internet durch Hasspostings bedroht.

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