Europäische Politik in Corona-Zeiten - per Videoschaltung

Außenminister Schallenberg bei der Videokonferenz mit seinen 26 EU-Amtskollegen
Persönliche Ministertreffen in Brüssel sind vorerst vorbei, Beschlüsse fallen jetzt in den Regierungsbüros daheim: Darunter die Aufhebung der Schuldenbremse in den EU-Staaten.

Es war Freitag, der 13. (März), als vorerst zum letzten Mal europäische Minister zu einem Rat nach Brüssel gereist sind. Seither schlug die Corona-Krise auch in der europäischen Hauptstadt voll auf. Die riesigen Gebäudekomplexe von Kommission und Rat wirken nahezu verwaist, die Mehrheit der EU-Beamten wurde ins Homeoffice geschickt. Im EU-Parlament arbeiten derzeit überhaupt nur Putztrupps und ein paar Techniker.

Europäische Politik aber wird trotzdem gemacht – wenn auch ausschließlich über Videoschaltungen. Und so saßen allein am Montag Außenminister Alexander Schallenberg, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Finanzminister Gernot Blümel in Wien vor ihren Bildschirmen, um stundenlang mit ihren 26 europäischen Amtskollegen zu konferieren. Alles beherrschendes Thema bei allen drei Videokonferenzen: Corona.

Die bisher national umgesetzten Maßnahmen gegen die Pandemie sollen europaweit besser koordiniert und dadurch auch wirksamer werden. Die Außenminister etwa stimmen sich untereinander ab, bei der Rückholung Hunderttausender in aller Welt gestrandeter Europäer besser zusammenzuarbeiten.

Um eine Entscheidung von enormer Tragweite ging es bei den Finanzministern: Sie gaben Montag Abend grünes Licht für die so genannte „allgemeine Ausweichklausel“ im Stabilitäts- und Wachstumspakt. Damit erhalten die EU-Regierungen freie Hand, gewaltige neue Schulden machen zu dürfen – um die Wirtschaft ihres Landes während der Corona-Krise vor dem Kollaps zu bewahren.

In Erwartung eines „schwerwiegenden Konjunkturabschwungs“ wegen der Coronavirus-Pandemie hatte die EU-Kommission die Aktivierung der Klausel am Freitag vorgeschlagen. So sollen Mitgliedsstaaten alle „für eine angemessene Bewältigung der Krise erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen können, ohne gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verstoßen, wie die Behörde dazu erklärte.

Der Pakt von 1997 legt fest, dass das Haushaltsdefizit höchstens drei Prozent und der Schuldenstand höchstens 60 Prozent der Wirtschaftskraft eines Landes betragen dürfen. Die „allgemeine Ausgleichsklausel“ wurde 2011 nach der Wirtschafts- und Finanzkrise eingefügt, um in akuten Krisensituationen mehr Handlungsspielräume zu erlauben. Sie wurde noch nie angewendet.

Europäische Politik in Corona-Zeiten -  per Videoschaltung

Neue Beschluss-Regeln

Völlig neu ist, dass die Minister vor ihren Bildschirmen überhaupt Beschlüsse fassen dürfen. Dafür mussten erst – für EU-Verhältnisse geradezu blitzartig – die Regeln geändert werden. Für die Dauer vorerst eines Monats dürfen die europäischen Minister deshalb ausnahmsweise ihre Entscheidungen vom Heimatsitz aus absegnen.

So richtig Routine ist noch nicht eingekehrt, bei den neuen Videoschalten. Da ärgert sich so mancher Minister – vor allem des Gesundheitssektors – über die zu hohe Frequenz der Video-Debatten. Zwei Mal pro Woche, so ist zuweilen zu hören, sei ein zu hoher Zeitaufwand, während die Gesundheitsminister mit den akuten Krisen im eigenen Land vollauf beschäftigt wären.

Übersetzungsprobleme

Europäische Politik in Corona-Zeiten -  per Videoschaltung

Spaniens Premier Sanchez bei einer Videoschalte mit den EU-Staats- und Regierungschefs

Auch die technischen Schwierigkeiten der transeuropäischen Videoschalten sind noch nicht ganz ausgeräumt. Da vergisst immer wieder jemand, das Mikrofon auszuschalten, nachdem er oder sie den Redebeitrag beendet hat. Dann gibt es Übersetzungsschwierigkeiten. „Und manchmal“, so erzählt ein Gesprächsteilnehmer, „ist die Tonqualität so schlecht, dass man den Minister oder Ministerin nicht versteht.“

Schritt um Schritt muss sich also auch die europäische Spitzenpolitik in ihrer Kommunikation den neuen Corona-Zeiten anpassen. Auch das EU-Parlament begeht am Donnerstag eine Premiere: Die Abgeordneten müssen die 7,5 Milliarden-Euro-Soforthilfe aus den EU-Regionaltöpfen für die Wirtschaft in einer Abstimmung absegnen. Weil aber überhaupt nur die wenigsten der rund 700 Mandatare in Brüssel sind, werden sie ihre Zustimmung per Mail abliefern.

Und so wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Denn auch das für Anfang April geplante Plenum der europäischen Mandatare ist abgesagt. Ebenso wie jenes im Mai. Denn in Brüssel heißt es vorerst: Noch acht Wochen lock down.

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