EU-Höchstgericht könnte Brexit-Deal verändern

EuGH-Präsident Koen Lenaerts
EuGH-Präsident Lenaerts rechnet damit, dass britischer Austritt auf dem Tisch der Luxemburger Richter landen wird.

Der Brexit wird wohl auch auf europäischer Seite die Gerichte geschäftigen. Es sei wahrscheinlich, dass im Austrittsprozess auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst wird, sagte EuGH-Präsident Koen Lenaerts am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Letztlich könnte der EuGH den britischen Austrittsvertrag auch einseitig ergänzen, wenn er dies als erforderlich ansieht.

Zwar sei unmöglich zu sagen, in welcher Form sich das EU-Höchstgericht zum Brexit werde äußern müssen, sagte der belgische Jurist. "Aber es wird wahrscheinlich, irgendwann, auf die Verfahrensliste des Gerichts kommen, nicht wegen des Gerichts, sondern weil Parteien den Fall vorbringen werden."

Der Europäische Gerichtshof wacht über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon ist erstmals explizit die Möglichkeit geschaffen worden, dass ein Mitgliedsstaat aus der Union austritt. Wie der Austritt angesichts der engen Verflechtung der EU-Staaten konkret ablaufen kann, ohne betroffenen Unternehmern, Bürgern oder auch Staaten aussichtsreiche Klagsmöglichkeiten zu eröffnen, ist völlig unklar.

EU-Höchstgericht könnte Brexit-Deal verändern
European Court of Justice president Koen Lenaerts poses inside the main courtroom in Luxembourg January 26, 2017. Picture taken January 26, 2017. REUTERS/Francois Lenoir
Lenaerts schloss nicht aus, dass der EuGH letztlich sogar in den Deal zwischen Großbritannien und den restlichen 27 EU-Staaten eingreifen könnte. Er verwies auf eine zwei Jahrzehnte alte EuGH-Entscheidung, mit der ein Handelsabkommen der EU mit lateinamerikanischen Staaten über den Import von Bananen verändert worden sei. Ob das auch beim Brexit der Fall sein werde, sei "pure Spekulation", fügte der EuGH-Präsident hinzu.

Regierung gibt Brexit-Strategie am Donnerstag bekannt

Die britische Regierung will am Donnerstag in einem "Weißbuch" ihre konkrete Brexit-Strategie vorstellen. Bis März möchte London die EU-Staaten förmlich von der Austrittsabsicht informieren. Dann beginnt eine zweijährige Frist bis zum Austritt zu laufen. Die britische Premierministerin Theresa May sieht sich dabei auch mit innenpolitischen Hürden konfrontiert, muss doch einer Entscheidung des Londoner Obersten Gerichts zufolge das - von EU-Befürwortern dominierte - Unterhaus dem Brexit zustimmen.

EU-Höchstgericht könnte Brexit-Deal verändern
In a still image taken from video footage broadcast by the UK Parliamentary Recording Unit on January 31, 2017 British Secretary of State for Exiting the European Union (Brexit Minister) David Davis speaks in parliament at the start of a debate to approve triggering the formal process of leaving the EU. / AFP PHOTO / PRU AND AFP PHOTO / - / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT " AFP PHOTO / PRU " - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - NO RESALE - NO DISTRIBUTION TO THIRD PARTIES - 24 HOURS USE - NO ARCHIVES
Mit der Veröffentlichung geht sie nun auf eine Forderung der oppositionellen Labour-Partei ein, die der Brexit-Ausschuss des Parlaments befürwortet hatte. Das Parlament in London berät derzeit über einen Gesetzentwurf zum Brexit-Antrag, damit Mays Regierung wie geplant bis Ende März den Austritt aus der Europäischen Union erklären kann. Den Abgeordneten liegt ein nur 143 Worte zählender Entwurf vor, mit dem sie der Regierung förmlich die Erlaubnis erteilen sollen, die Austrittsverhandlungen mit der EU aufzunehmen.

Nachdem die Abgeordneten am Dienstag bis Mitternacht intensiv darüber debattiert hatten, war am Mittwochabend (20.00 Uhr MEZ) eine erste Abstimmung über den Entwurf geplant. Die Einbindung des Parlaments war durch ein Urteil des Obersten Gerichts in London von vergangener Woche nötig geworden. Ursprünglich hatte Mays Regierung geplant, die Austrittsverhandlungen ohne parlamentarische Zustimmung aufzunehmen. May hatte vor zwei Wochen in einer Grundsatzrede einen "harten Brexit" angekündigt und will Großbritannien auch aus dem europäischen Binnenmarkt führen.

Brexit-Minister David Davis forderte die Abgeordneten zu Beginn der Debatte auf, für die Vorlage zu stimmen, auch wenn sie eigentlich gegen den Brexit seien. "Es geht in diesem Gesetz nicht darum, ob Großbritannien die EU verlassen soll", sagte er. "Es geht nur um die Umsetzung einer Entscheidung, die längst gefallen ist", fügte er mit Blick auf das Ergebnis des Brexit-Referendums vom Juni hinzu.

EU-Höchstgericht könnte Brexit-Deal verändern
British Secretary of State for Exiting the European Union (Brexit Minister) David Davis arrives for the weekly meeting of the cabinet at 10 Downing Street in central London on January 31, 2017. / AFP PHOTO / Glyn KIRK
Für die dritte Lesung des Gesetzentwurfs sind in der kommenden Woche drei ganze Tage vorgesehen. Das abschließende Votum im Unterhaus soll kommende Woche erfolgen, eine Mehrheit dafür gilt als sicher. Auch die Labour-Partei hat ihre Zustimmung angekündigt, in ihren Reihen dürfte es allerdings einige Abweichler geben. Auch die 54 Abgeordneten der Schottischen Nationalpartei (SNP), die gegen den EU-Austritt ist, wollen gegen den Gesetzentwurf stimmen.

Nach der Abstimmung im Unterhaus geht das Gesetz ins Oberhaus, wo Mays Konservative keine Mehrheit haben und noch einmal lange Debatten erwartet werden. Die Regierung hofft aber trotzdem, dass die parlamentarische Zustimmung bis zum 7. März unter Dach und Fach ist. Medienberichten zufolge könnte sie dann bereits bei einem EU-Gipfel am 9. und 10. März den EU-Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrags beantragen. Mit dem Einreichen des Antrags beginnt eine zweijährige Frist über die Entflechtung der Beziehungen zwischen Brüssel und London.

Allerdings wird der Brexit wohl nicht nur eine Sache der britischen und europäischen Politik bleiben. Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Koen Lenaerts, geht nämlich davon aus, dass der britische Austrittsvertrag auch auf dem Tisch der Luxemburger Richter landen wird. Es könnte sogar sein, dass der EuGH den Austrittsvertrag einseitig ergänzen wird, wenn er dies als erforderlich ansieht, sagte der belgische Jurist am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Der Brexit werde "wahrscheinlich" auf die Verfahrensliste des EuGH kommen, "nicht wegen des Gerichts, sondern weil Parteien den Fall vorbringen werden".

Der Europäische Gerichtshof wacht über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts. Mit dem Brexit betreten beide Seiten absolutes rechtliches Neuland. Offen ist vor allem die Frage, wie der Austritt angesichts der engen Verflechtung der EU-Staaten konkret ablaufen kann, ohne betroffenen Unternehmern, Bürgern oder auch Staaten aussichtsreiche Klagsmöglichkeiten zu eröffnen.

Der EuGH könnte sich vor diesem Hintergrund zum Eingreifen veranlasst sehen. Dass er diese Möglichkeit theoretisch hat, machte Lenaerts unter Verweis auf eine zwei Jahrzehnte alte Entscheidung zum Bananenhandel klar. Damals griff der EuGH in Handelsabkommen der EU mit lateinamerikanischen Staaten ein. Es sei aber "pure Spekulation", ob die EU-richter auch beim Brexit zu diesem Mittel greifen werden.

Mehr als sieben Monate sind seit dem Brexit-Votum der Briten vergangen. Doch bis das Land tatsächlich aus der EU ausgetreten ist, steht noch einiges bevor. Die nächsten Schritte im Überblick:

EU-Austrittsgesetz: Einem Urteil des höchsten britischen Gerichts (Supreme Court) zufolge muss das britische Parlament dem EU-Austrittsgesuch des Landes zustimmen. Ein entsprechendes Gesetz geht am (heutigen) Dienstag in die zweite Lesung im Unterhaus. Nach dem Wunsch der Regierung soll es bis zum 7. März durch beide Kammern des Parlaments gebracht werden.

Austrittserklärung: Spätestens am 31. März will Premierministerin Theresa May den Europäischen Rat offiziell vom Austrittswunsch ihres Landes in Kenntnis setzen. Das ist Voraussetzung für den Start der Austrittsverhandlungen.

EU-Mandat: Sobald das Schreiben aus London eintrifft, zurrt die Rest-EU in drei Schritten ihre Verhandlungslinie fest: Ein Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschefs beschließt drei bis fünf Wochen später Leitlinien. Auf dieser Basis schlägt die EU-Kommission den Start der Verhandlungen und ein Mandat vor und lässt es vom Rat bestätigen.

Verhandlungen: EU-Chefunterhändler Michel Barnier und sein Team von gut 20 Experten geben sich 18 Monate für die eigentlichen Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens und Übergangsregelungen, also etwa bis Oktober 2018.

Ratifizierung: Auf EU-Seite muss das Austrittsabkommen vom Europaparlament gebilligt und dann vom Rat angenommen werden - und zwar ohne Großbritannien. Premierministerin May will den Vertrag auch dem britischen Parlament vorlegen.

Fristende: Das ganze Verfahren muss binnen zwei Jahren nach dem offiziellen Austrittsgesuch abgeschlossen sein, in dem Fall also laut Plan bis Ende März 2019.

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