EU-Höchstgericht könnte Brexit-Deal verändern
Der Brexit wird wohl auch auf europäischer Seite die Gerichte geschäftigen. Es sei wahrscheinlich, dass im Austrittsprozess auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst wird, sagte EuGH-Präsident Koen Lenaerts am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Letztlich könnte der EuGH den britischen Austrittsvertrag auch einseitig ergänzen, wenn er dies als erforderlich ansieht.
Zwar sei unmöglich zu sagen, in welcher Form sich das EU-Höchstgericht zum Brexit werde äußern müssen, sagte der belgische Jurist. "Aber es wird wahrscheinlich, irgendwann, auf die Verfahrensliste des Gerichts kommen, nicht wegen des Gerichts, sondern weil Parteien den Fall vorbringen werden."
Der Europäische Gerichtshof wacht über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon ist erstmals explizit die Möglichkeit geschaffen worden, dass ein Mitgliedsstaat aus der Union austritt. Wie der Austritt angesichts der engen Verflechtung der EU-Staaten konkret ablaufen kann, ohne betroffenen Unternehmern, Bürgern oder auch Staaten aussichtsreiche Klagsmöglichkeiten zu eröffnen, ist völlig unklar.
Regierung gibt Brexit-Strategie am Donnerstag bekannt
Die britische Regierung will am Donnerstag in einem "Weißbuch" ihre konkrete Brexit-Strategie vorstellen. Bis März möchte London die EU-Staaten förmlich von der Austrittsabsicht informieren. Dann beginnt eine zweijährige Frist bis zum Austritt zu laufen. Die britische Premierministerin Theresa May sieht sich dabei auch mit innenpolitischen Hürden konfrontiert, muss doch einer Entscheidung des Londoner Obersten Gerichts zufolge das - von EU-Befürwortern dominierte - Unterhaus dem Brexit zustimmen.
Nachdem die Abgeordneten am Dienstag bis Mitternacht intensiv darüber debattiert hatten, war am Mittwochabend (20.00 Uhr MEZ) eine erste Abstimmung über den Entwurf geplant. Die Einbindung des Parlaments war durch ein Urteil des Obersten Gerichts in London von vergangener Woche nötig geworden. Ursprünglich hatte Mays Regierung geplant, die Austrittsverhandlungen ohne parlamentarische Zustimmung aufzunehmen. May hatte vor zwei Wochen in einer Grundsatzrede einen "harten Brexit" angekündigt und will Großbritannien auch aus dem europäischen Binnenmarkt führen.
Brexit-Minister David Davis forderte die Abgeordneten zu Beginn der Debatte auf, für die Vorlage zu stimmen, auch wenn sie eigentlich gegen den Brexit seien. "Es geht in diesem Gesetz nicht darum, ob Großbritannien die EU verlassen soll", sagte er. "Es geht nur um die Umsetzung einer Entscheidung, die längst gefallen ist", fügte er mit Blick auf das Ergebnis des Brexit-Referendums vom Juni hinzu.
Nach der Abstimmung im Unterhaus geht das Gesetz ins Oberhaus, wo Mays Konservative keine Mehrheit haben und noch einmal lange Debatten erwartet werden. Die Regierung hofft aber trotzdem, dass die parlamentarische Zustimmung bis zum 7. März unter Dach und Fach ist. Medienberichten zufolge könnte sie dann bereits bei einem EU-Gipfel am 9. und 10. März den EU-Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrags beantragen. Mit dem Einreichen des Antrags beginnt eine zweijährige Frist über die Entflechtung der Beziehungen zwischen Brüssel und London.
Der Europäische Gerichtshof wacht über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts. Mit dem Brexit betreten beide Seiten absolutes rechtliches Neuland. Offen ist vor allem die Frage, wie der Austritt angesichts der engen Verflechtung der EU-Staaten konkret ablaufen kann, ohne betroffenen Unternehmern, Bürgern oder auch Staaten aussichtsreiche Klagsmöglichkeiten zu eröffnen.
Der EuGH könnte sich vor diesem Hintergrund zum Eingreifen veranlasst sehen. Dass er diese Möglichkeit theoretisch hat, machte Lenaerts unter Verweis auf eine zwei Jahrzehnte alte Entscheidung zum Bananenhandel klar. Damals griff der EuGH in Handelsabkommen der EU mit lateinamerikanischen Staaten ein. Es sei aber "pure Spekulation", ob die EU-richter auch beim Brexit zu diesem Mittel greifen werden.
Mehr als sieben Monate sind seit dem Brexit-Votum der Briten vergangen. Doch bis das Land tatsächlich aus der EU ausgetreten ist, steht noch einiges bevor. Die nächsten Schritte im Überblick:
EU-Austrittsgesetz: Einem Urteil des höchsten britischen Gerichts (Supreme Court) zufolge muss das britische Parlament dem EU-Austrittsgesuch des Landes zustimmen. Ein entsprechendes Gesetz geht am (heutigen) Dienstag in die zweite Lesung im Unterhaus. Nach dem Wunsch der Regierung soll es bis zum 7. März durch beide Kammern des Parlaments gebracht werden.
Austrittserklärung: Spätestens am 31. März will Premierministerin Theresa May den Europäischen Rat offiziell vom Austrittswunsch ihres Landes in Kenntnis setzen. Das ist Voraussetzung für den Start der Austrittsverhandlungen.
EU-Mandat: Sobald das Schreiben aus London eintrifft, zurrt die Rest-EU in drei Schritten ihre Verhandlungslinie fest: Ein Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschefs beschließt drei bis fünf Wochen später Leitlinien. Auf dieser Basis schlägt die EU-Kommission den Start der Verhandlungen und ein Mandat vor und lässt es vom Rat bestätigen.
Verhandlungen: EU-Chefunterhändler Michel Barnier und sein Team von gut 20 Experten geben sich 18 Monate für die eigentlichen Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens und Übergangsregelungen, also etwa bis Oktober 2018.
Ratifizierung: Auf EU-Seite muss das Austrittsabkommen vom Europaparlament gebilligt und dann vom Rat angenommen werden - und zwar ohne Großbritannien. Premierministerin May will den Vertrag auch dem britischen Parlament vorlegen.
Fristende: Das ganze Verfahren muss binnen zwei Jahren nach dem offiziellen Austrittsgesuch abgeschlossen sein, in dem Fall also laut Plan bis Ende März 2019.
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