EU verdreifacht Seenothilfe für Flüchtlinge

Hilfe für in Seenot geratene Menschen hat Vorrang.
Künftig soll es neun Mio Euro pro Monat geben. Umstritten sind ein Militär-Einsatz gegen Schlepper und Quoten.

Das war keine freundliche Begrüßung für die Staats- und Regierungschefs: Lautstark und symbolträchtig mit Särgen auf den Schultern haben Aktivisten von Amnesty International vor dem EU-Sondergipfels zum Flüchtlingsdrama Europas demonstriert. Ihr Protest richtete sich gegen „die beschämende Antwort Europas auf die in die Höhe schnellenden Totenzahlen im Mittelmeer“ und gegen Pläne, militärisch gegen Schlepperboote vorzugehen. Amnesty lehnt auch Vorschläge, Flüchtlingslager einzurichten, strikt ab.

Mehr Präsenz auf See

Einig sind sich die 28 EU-Granden darüber, die Präsenz auf Hoher See zu verstärken und die Mittel für Rettungsmaßnahmen deutlich zu erhöhen, um die Küstengewässer besser zu kontrollieren und Flüchtlingen rasch zu helfen. Gefordert wird auch die Aufstockung der Zahl von Booten, Helikoptern und Material. Deutschland etwa hat drei Marine-Schiffe und 600 Soldaten angeboten. Briten-Premier David Cameron kann sich die Entsendung von Schiffen ebenfalls vorstellen, „aber nach England sollen die Flüchtlinge nicht kommen“. Österreich will mit Personal einspringen. „Vorrangig ist, den Menschen, die in Seenot geraten sind, zu helfen“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann zum KURIER. „Europa darf nicht wegschauen, wenn das Mittelmeer zu einem riesigen Grab wird.“

UNO-Mandat

Sehr umstritten ist der Plan, „Schiffe auszumachen, zu beschlagnahmen und zu zerstören, bevor sie von Schleppern eingesetzt werden“, wie es in der Abschlusserklärung heißt. EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini sollte die Operation im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vorbereiten. Doch so einfach ist das nicht: Mogherini betonte, dafür sei ein Mandat des UN-Sicherheitsrates nötig. Frankreichs Staatspräsident François Hollande will eine Intervention in Libyen, um staatliche Strukturen wieder herzustellen und Schleppern die Basis für ihre kriminellen Taten zu entziehen.Gerungen wurde über eine europäische Quote für Flüchtlinge. Faymann gehört zu jenen Regierungschefs, die vehement dafür eintreten, stark beanspruchte Länder (Italien, Griechenland, Malta) zu entlasten. Faymann hatte Quoten schon nach der Flüchtlingstragödie von Lampedusa verlangt, damals waren sie am Widerstand der Niederlande gescheitert.

„Eine langfristige Lösung gibt es nur, wenn alle Länder bereit sind, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Faymann. Im Juni soll Kommissionschef Jean-Claude Juncker einen Entwurf für eine neue EU-Flüchtlingspolitik vorlegen. Dann wird man auch noch einmal über die Quote reden. Beschlossen wurde gestern auch ein Pilotprojekt, bei dem gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ein Asylzentrum in Nordafrika eingerichtet werden soll. Von dort sollen jene, die Asyl erhalten, auf sicherem Weg nach Europa gelangen.

Druck auf die EU-Granden kam am Donnerstag von den Abgeordneten des EU-Parlaments. Die Regierungen hätten es seit vielen Jahren nicht geschafft, sich auf gemeinsame Standards zu einigen, kritisierte Parlamentspräsident Martin Schulz. Das sei eine der Ursachen für die Katastrophen im Mittelmeer. Er plädierte für legale Zugangswege für die Flüchtlinge. Schulz drohte, das Parlament könnte das nächste EU-Budget blockieren, sollte es nicht genügend Mittel für Flüchtlinge geben.

Merkel-Tsipras-Treffen

Am Rande des Gipfels kam es zu einem einstündigen Vieraugen-Gespräch zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem griechischen Premier Alexis Tsipras. Tsipras kündigte im Anschluss an, man werde die Verhandlungen über weitere Hilfen beschleunigen. Freitag und Samstag tagen in Riga die EU-Finanzminister.

Kritik am Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingstragödie im Mittelmeer haben am Freitag österreichische Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen sowie die Opposition geübt.

"Die Entscheidung, ob die EU künftig Lebensretter oder Totengräber sein möchte, ist auch gestern nicht gefallen," monierte etwa Caritas-Präsident Michael Landau. Er begrüße zwar die Tatsache, dass mehr Mittel für Menschenrettung zur Verfügung stehen, sagte Landau dazu, wie das aber im Rahmen des Grenzschutz-Abwehrsystems "Triton" möglich sein soll, ist völlig unklar. "Unsere Forderung nach einer echten Menschenlebenrettungsaktion 'Mare Nostrum 2.0' bleibt aufrecht," so Landau. Dieser Forderung hätten sich auf www.gegenunrecht.at bisher bereits 25.649 Österreicher angeschlossen.

Als "besonders verfehlt" bezeichnete Diakonie-Direktor Michael Chalupka den beim Gipfel gefassten Plan, die Boote von Schleppern zu zerstören: "Das wird nur dazu führen, dass sich noch mehr Menschen in noch kleinere, schlechtere und unsicherere Boote drängen werden. Damit werden die Gefahren, aber auch die Schlepperkosten für Flüchtlinge, die sich in Sicherheit bringen wollen, dramatisch ansteigen."

Für das Rote Kreuz gehen "die Ergebnisse des EU-Gipfels am eigentlichen Problem vorbei". Enttäuschend sei, dass es zu keiner Einigung bezüglich legaler Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge gekommen sei, so Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer: "Nur wenn Flüchtlinge legal in die EU einreisen können, um hier einen Asylantrag zu stellen, wird das Sterben im Mittelmeer ein Ende haben."

Opposition

Auch Grünen-Chefin Eva Glawischnig kritisierte, dass die beiden Missionen zwar größere Budgets bekämen, sich deren Aktionsradius aber nicht erweitere. Das verbessere die Situation nicht, so Glawischnig bei einer Pressekonferenz in Wien. Angesichts der vielen bewaffneten Konflikte in der Region, von wo aus die Flüchtlingsboote Kurs auf Europa nehmen, müsse man sagen: "Nordafrika versinkt im Blut."

Auch die NEOS forderten, um das Massensterben zu stoppen, brauche es neben einer echten Rettungsmission im Mittelmeer Schritte in Richtung eines gesamteuropäischen Asylsystems und eine neue Strategie für Wirtschaftsmigration. Enttäuscht sei er auch von der Bundesregierung, sagte der außenpolitische Sprecher Christoph Vavrik: "Trotz Schweigeminute und Solidaritätsbekundungen mangelt es am Einsatz für eine langfristige und umfassende Lösung."

Auf eine gegensätzliche Argumentation setzte der außen- und europapolitische Sprecher der FPÖ, Johannes Hübner. Europa müsse klarstellen, "dass es in Zukunft keine weitere außereuropäische, illegale Einwanderung aus dem Titel 'Asyl' dulden wird und 'Asylprobleme' auf dem eigenen Kontinent gelöst werden müssen". Nur wenn potenziellen illegalen Einwanderern klar gemacht werde, "dass sie künftig keine Chance mehr haben, in Europa zu bleiben, kann den Schlepperbanden das Handwerk gelegt werden". "EU-Zwangsquoten" für Mitgliedsländer seien genau die falschen Schritte, so Hübner.

Der deutsche Direktor der EU-Grenzschutzbehörde Frontex, Klaus Rösler, ist in Berlin mit Marmelade beworfen worden. Rösler wurde am Mittwochabend von einem gefüllten Kunststoffbeutel getroffen, blieb aber unverletzt, wie die Polizei am Donnerstag mitteilte. Er war auf dem Weg zu einer Veranstaltung der Schwarzkopf-Stiftung.

Die Marmelade-Beutel kamen von einer Gruppe von etwa 50 Demonstranten, die gegen die Flüchtlingspolitik der EU protestierten. Polizisten verhinderten später, dass sie in den Veranstaltungsraum eindrangen. Bei einer anschließenden Demonstration mit etwa 150 Teilnehmern gab es keine Zwischenfälle.

Kommentare