EU und NATO im Gift-Krimi hinter London

Military personnel wearing protective coveralls work to remove a vehicle as part of the ongoing investigation in connection with the major incident sparked after a man and a woman were apparently poisoned in a nerve agent attack a week ago on March 12, 2018 near Middle Winterslow. British Prime Minister Theresa May chaired a meeting of her national security team after weekend confirmation that traces of a nerve agent used in the attempted murder of former Russian spy Sergei Skripal, and his daughter Yulia, were found in a pub and a restaurant they visited. / AFP PHOTO / Adrian DENNIS
Der Anschlag auf einen russischen Ex-Agenten zieht gefährliche Kreise. In der Nacht läuft ein Ultimatum der Briten ab, die Moskau hinter der Tat sehen.Jetzt droht der Showdown.

"Das Vereinigte Königreich ist ein hoch geschätzter Bündnispartner, und dieser Vorfall bereitet der NATO große Sorgen", zeigte Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Verteidigungsallianz, seine volle Solidarität mit Großbritannien. Nachsatz: "Der Einsatz von jeglichem Nervengas ist grauenhaft und vollkommen inakzeptabel." Auch die EU sagte durch den Vize-Präsidenten der Kommission, Frans Timmermans, "eindeutige, unerschütterliche und starke" Solidarität zu. Damit hat der Konflikt eine neue brisante Dimension erhalten.

Schon morgen könnte der Showdown starten. Denn in der Nacht zum Mittwoch läuft ein Ultimatum Londons an Moskau aus. Premierministerin Theresa May, die Russland hinter dem Giftgas-Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal, 66, und dessen Tochter Yulia, 33, vermutet, hatte den Kreml aufgefordert, klar Stellung zu beziehen. Doch Moskau wies das Ultimatum zurück. Alles sei "Quatsch", sagte Außenminister Sergej Lawrow, und ein "unmenschlicher Versuch", sein Land zu diskreditieren. Allerdings sei man bereit zu kooperieren, wenn die britische Seite eine gemeinsame Untersuchung zulasse – was verweigert werde.

Eskalationsspirale

Die Eskalationsspirale dreht sich schon seit Tagen. Wechselseitig wurden die Botschafter zitiert. In London sollte gestern erneut der Nationale Sicherheitsrat zusammengetrommelt werden. Auch für heute ist ein Meeting des Gremiums anberaumt, um nach Ablauf der Fristsetzung die weitere Vorgangsweise zu erörtern.

Erwartet wurden neue Sanktionen gegen Russland. In der renommierten Times wurde gar darüber spekuliert, ob Großbritannien nicht mit einem Cyber-Schlag gegen den Kreml antworten würde. Moskau kündigte an, auf jede Strafmaßnahme entsprechend zu reagieren.

"Auftragsmorde"

May scheint sich ihrer Sache jedenfalls absolut sicher zu sein. Vor den Abgeordneten des Unterhauses sagte sie klipp und klar, dass "höchstwahrscheinlich Russland für diese Tat verantwortlich ist". Zudem verwies sie darauf, dass Russland eine Geschichte "staatlicher Auftragsmorde" habe. Die Premierministerin, deren Analyse auch der geschasste US-Außenminister Rex Tillerson gleichsam als letzte Amtshandlung teilte – hat freilich ein starkes Argument auf ihrer Seite: Das verwendete Nervengas Nowitschok ist das bei Weitem stärkste, das es gibt, und wurde in der Ex-Sowjetunion entwickelt. Ohne eine "glaubwürdige Antwort" Moskaus würde London den Gift-Anschlag als "unrechtmäßigen Gewalteinsatz des russischen Staates gegen das Vereinigte Königreich" werten.

"Hirngespinst"

In Russland weist man wie erwähnt alle Vorwürfe brüsk von sich, manche gingen gleich zum Gegenangriff über, wie Leonid Sluzki, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für Internationale Angelegenheiten. Er sprach von einem "absoluten Hirngespinst". Mit seinem Verhalten wolle Großbritannien möglicherweise bloß die Präsidentenwahlen kommenden Sonntag beeinflussen, bei denen ein Sieg von Amtsinhaber Wladimir Putin allerdings so gut wie fest steht.

Indes befinden sich Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter weiter in kritischem Zustand. Beide waren am 4. März bewusstlos auf einer Bank in Salisbury südwestlich von London aufgefunden worden. Insgesamt kamen 21 Menschen in Kontakt mit dem tödlichen Nervengift.

Skripal hatte angeblich dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 über Jahre hinweg Namen von russischen Agenten im Westen verraten. 2004 flog er auf und wurde zu 13 Jahren Lagerhaft verurteilt. Doch im Rahmen eines großen Gefangenenaustausches kam er 2010 frei und nach Großbritannien. Die Übergabe von westlichen bzw. für den Westen arbeitenden Spionen und russischen, die in den USA enttarnt werden konnten, erfolgte damals in Wien.

14 Todesfälle geprüft

Laut britischem Innenministerium prüfen Polizei und Geheimdienste nun auch 14 unaufgeklärte Todesfälle der vergangenen Jahre. Bei diesen Causen hatten Medien spekuliert, ob es nicht Verbindungen zu Russland geben könnte.

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