EU-Sanktionen setzen dem Rubel zu
Während in mehreren Mitgliedsstaten Verwirrung um angeblich reduzierte russische Gaslieferungen herrschte, wurden am Freitag in Brüssel wie angekündigt die jüngsten Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Kraft gesetzt.
Gegen 24 russische Politiker und Separatistenführer in der Ostukraine wurden Einreiseverbote in die EU verhängt, etwaige Konten in der Union werden gesperrt. Neu auf die "schwarze Liste", die mittlerweile rund 120 Personen umfasst, kamen unter anderen Alexander Zakharchenko, "Premierminister" der "Volksrepublik Donezk", sein "Verteidigungsminister" Vladimir Kononow und Gennadiy Tsypkalov, "Premierminister" der "Volksrepublik Lugansk". Auch der ultranationalistische russische Abgeordnete Wladimir Schirinowski darf nicht mehr in die EU.
Öl und Waffen im Visier
Betroffen von der Verschärfung der Sanktionen sind weiters Energie- und Rüstungsunternehmen: Anleihen der Ölfirmen Rosneft, Transneft und Gazprom Neft dürfen ab sofort nicht mehr an den EU-Finanzmärkten gehandelt werden.
Gleiches gilt für OPK Oboronprom, den wichtigsten Gesellschafter von Russian Helicopters, den führenden russischen Panzerhersteller Uralvagonzavod sowie den Kampfflugzeugproduzenten United Aircraft Corporation.
Zu jenen Firmen, denen keine "dual use", also zivil und militärisch nutzbare Produkte mehr geliefert werden dürfen, zählen die Hersteller der Kalaschnikow-Gewehre und des Buk-Raketensystems.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach am Freitag von "harten Maßnahmen". Die EU-Staaten hatten in den vergangenen Tagen gezögert, die Sanktionen zu verschärfen. Manche Regierungen drängten darauf, den Druck auf Moskau hoch zu halten; andere argumentierten, der Waffenruhe in der Ostukraine müsse mehr Zeit gegeben werden. Schulz bezeichnete die Feuerpause im rbb-Radio als "vorsichtigen Schritt in die richtige Richtung", verteidigte aber den Zeitpunkt der neuen EU-Maßnahmen: "Die Verschärfung der Sanktionen ist die Konsequenz aus der Aggression, die von Russland ausgeht." Der Kreml sieht das erwartungsgemäß anders: Außenminister Sergej Lawrow warf der EU vor, den Ukraine-Konflikt zu befeuern. "Wer Strafmaßnahmen in einem Moment erlässt, in dem sich der Friedensprozess in der Ukraine festigt, unterhöhlt diesen Prozess", sagte Lawrow im russischen Fernsehen. Russland werde "angemessen" auf die neuen Sanktionen reagieren.
Deren erste Auswirkungen zeigten sich am Freitag am Geldmarkt: Der Rubel fiel gegenüber dem Dollar auf ein Rekordtief. Die Moskauer Börse erholte sich indes leicht von den Verlusten des Vortages, als die Verschärfung der Sanktionen angekündigt worden war.
Friedensmission
Bundeskanzler Werner Faymann erhält unterdessen Unterstützung für seinen Plan, eine Friedensmission in die Ukraine zu unternehmen. Die grüne EU-Mandatarin Ulrike Lunacek lobt Faymanns Plan, noch im September nach Kiew reisen zu wollen. Dort will der Kanzler Präsident Poroschenko treffen; auch ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin werde angestrebt.
Zuspruch kommt auch vom Regierungspartner: "Jede mit EU und OSZE abgestimmte Initiative kann hilfreich sein", sagte Außenminister Sebastian Kurz im ORF-Radio. Wichtig sei, dass Faymann klargestellt habe, keine russischen Separatisten treffen zu wollen.
Von "Verfassungsbruch" spricht er, von "Kriegstreiberei", dass die Regierung "Öl ins Feuer gießt" und "tausende Arbeitsplätze" gefährde. Wenn FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache über die EU-Sanktionen gegen Russland redet, kommen nur wenige positive Worte über seine Lippen. Vehement warnt er vor den den verschärften Strafmaßnahmen, die am Freitag in Kraft treten. Unter anderem soll russischen Banken der Zugang zum europäischen Kapitalmarkt erschwert und gewisse Hochtechnologieexporte nach Russland verboten werden. Damit will die EU Russlands Präsident Wladimir Putin zum Einlenken in der Ukraine-Krise bewegen und eine diplomatische Lösung des Konflikts erzwingen. Putin habe dort pro-russische Separatisten unterstützt, die sich vom ukrainischen Staat abspalten wollen. Sogar die russische Armee soll sich an den Kämpfen beteiligt haben.
Der Europäischen Union missfiel das, durch den Eingriff russischer Soldaten sei außerdem das Völkerrecht verletzt worden. Niemand in der EU will einen ernsthaften Krieg mit Russland riskieren, Wirtschaftssanktionen gelten daher als sinnvolles Instrument. Doch: Wie sinnvoll sind die Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, wirklich? Und wie steht die österreichische Politik dazu?
Geschäft gegen Moral
"Es ist eine Frage des Selbstverständnisses der Europäischen Union, dass hier eine klare Grenze gezogen und politischer Druck ausgeübt wird, auch wenn das wirtschaftliche Konsequenzen hat", sagte Bundeskanzler Faymann nach dem Ministerrat am Dienstag. Die Ukraine sei ein "souveräner Staat" und das Vorgehen Russlands daher "nicht akzeptabel". Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner schlägt in dieselbe Kerbe. "Wir können nicht sagen: Wir akzeptieren völkerrechtliche Verstöße, Hauptsache das Geschäft stimmt."
Natürlich haben die Sanktionen Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft. Experte Oliver Fritz vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) erklärte im Standard, dass der österreichischen Wirtschaft ein Schaden von 775 Millionen Euro entstehen würde. Dies entspricht 11.000 Arbeitsplätzen. Die Bundesregierung beschloss daher bei einem Sozialpartnergipfel am Mittwoch Maßnahmen, um betroffenen Unternehmen Hilfestellungen zu leisten. Trotzdem äußerte sich am selben Tag Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl in der ZIB 2 kritisch zu den Sanktionen. Die Auswirkungen seien zwar nicht dramatisch. Wirklich dramatisch sei aber, dass das gute Vertrauen zwischen österreichischen und russischen Geschäftspartnern durch Misstrauen und Verunsicherung abgelöst werde. "Und ich glaube, das lässt sich, selbst wenn die Sanktionen morgen beendet werden, nicht mehr umgehend bewerkstelligen und bereinigen", sagte Leitl.
Aus wirtschaftlichen Gründen sieht auch das Team Stronach (TS) die Strafmaßnahmen sehr kritisch. Es fürchtet aber nicht nur die negativen Folgen für die österreichische Wirtschaft, sondern auch für das russische Volk. Durch die Sanktionen gerate Russlands Wirtschaft unter Druck, was weitere Konflikte auslösen werde, warnt TS-Obfrau Kathrin Nachbaur. Und: "Im 'quasi'-Kriegsrecht werden immer die Bürgerrechte ausgehebelt."
Dialog aufrechterhalten
Anders sehen es die NEOS: In einem Positionspapier vom April unterstützen sie das "entschlossene Auftreten der Europäischen Union". Und weiter: "Es gibt weltweit eine Vielzahl an Territorialkonflikten. Tritt man Russland nicht entschlossen entgegen, besteht die Gefahr, dass seine Annexion der Krim und seine sezessionistischen Einmischungen in die Ostukraine zu einem hochexplosiven Präzedenzfall für andere Territorialkonflikte werden." Gleichzeitig solle aber der Dialog aufrechterhalten bleiben, um eine diplomatische Lösung zu finden. Und die Grünen? Laut ihrer außenpolitischen Sprecherin Tanja Windbichler ist man skeptisch. "Der Zeitpunkt und die Notwendigkeit einer Verschärfung der Sanktionen erschließen sich nicht aus den Geschehnissen der letzten Tage." Zuletzt erklärte der ukrainische Präsident nämlich, dass russische Truppen das ukrainische Staatsgebiet verlassen hätten. Zur Zeit gilt auch eine Waffenruhe, die weitgehend eingehalten werden dürfte.
Nicht nur in der Politik, auch unter Experten sind die Strafmaßnahmen umstritten. So äußerte sich beispielsweise der Innsbrucker Russland-Experte Gerhard Mangott in einem ZIB-Interview kritisch. Die Sanktionsmaßnahmen würden zwar die europäische und russische Wirtschaft schädigen, "wo sie aber völlig unwirksam waren bis jetzt ist eine Verhaltensänderung der russischen Führung herbeizuführen". Deshalb sei es auch nicht zu erwarten, dass neue Sanktionen Putin in "seiner strategischen Haltung irgendwie beeinflussen werden". Seine innere Stärke und der Rückhalt der Bevölkerung seien dazu zu groß. Mangott glaubt daher, dass die europäische Sanktionspolitik nicht zielführend ist.
Ukraine kein Einzelfall
Georg Hoffmann-Ostenhof wiederum, Leiter des Außenpolitik-Ressorts beim Nachrichtenmagazin profil, erwähnt andere Aspekte. Bereits im März, als erste Sanktionen gegen Russland verhängt wurden, begrüßte er in einem Kommentar die EU-Sanktionen. Er erinnerte hier an den Kaukasuskrieg 2008. Damals mischte sich Russland in einen Konflikt im vorderasiatischen Georgien ein. Georgien unterlag, die Provinzen Südossetien und Abchasien spalteten sich ab, sind nun quasi Satellitenstaaten Russlands. Westliche Länder protestierten damals zwar, Sanktionen gab es aber nicht. Im Gegensatz zur Ukraine-Krise, wo bereits im Frühjahr erste Sanktionen verhängt wurden. "Der EU-Stufenplan, wonach die Sanktionen sukzessive verschärft werden, sollte der Kreml-Chef nicht zurückstecken, zeigt, dass es Europa diesmal ernst ist", formulierte es Ostenhof damals. Der Text ist zwar älter, die Essenz ist aber auch angesichts der neuen Sanktionen aktuell: Europa scheint es diesmal wirklich ernst zu sein. Dies wird sicherlich auch dadurch begünstigt, dass die Ukraine wesentlich näher ist als Georgien.
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