EU-Parlament stellt sich hinter Juncker

EVP-Spitzenkandidat Juncker soll als Erster versuchen dürfen, eine Mehrheit im EU-Parlament zu finden, um Kommissionspräsident zu werden. Schafft er es nicht, will Sozialdemokrat Schulz es versuchen
Die Mehrheit der Abgeordneten will Juncker an der Spitze der Kommission, die Regierungen zögern.

Nach der Europa-Wahl ringen die 28 Staats- und Regierungschefs um einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten. Dienstagabend trafen sie einander in Brüssel zu einem Abendessen. Von einer entspannten Atmosphäre war keine Spur.

Der Erfolg der europafeindlichen Populisten in manchen Ländern und das erschreckende Desinteresse vieler Bürger an der EU können die Spitzenpolitiker nicht so einfach ignorieren, auch wenn sie es versuchen mit der Bemerkung, "jetzt müssten halt die proeuropäischen Kräfte stärker zusammenarbeiten". Aber gleich bei der ersten großen Hürde, der Nominierung des Kandidaten für den Kommissionspräsidenten, ist es mit der neu ausgerufenen Zusammenarbeit schon wieder vorbei.

Cameron gegen Juncker

Die Europäische Volkspartei (EVP) hat die Wahlen gewonnen, Jean-Claude Juncker war ihre Nummer eins und erhebt jetzt den Anspruch auf den Präsidentenposten. Doch unter den Konservativen gibt es Widerstand: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán spricht sich offen gegen Juncker aus, ebenso der Brite David Cameron. Der schwedische Premier Fredrik Reinfeldt, der Finne Jyrki Katainen und der Niederländer Mark Rutte wollen Juncker auch nicht unterstützen. Der Luxemburger ist für sie zu EU-freundlich.

Bundeskanzler Werner Faymann hat sich als erster Sozialdemokrat hinter Juncker gestellt. "Ich sehe schon eine Mehrheit für Jean-Claude Juncker. Aber da es eine qualifizierte Mehrheit sein muss, kommt es auf mehr an als 50,1 Prozent", sagte Faymann. Der Kanzler bekräftigte erneut seine Unterstützung für Juncker und bedauerte, dass der EU-Gipfel in dieser Frage noch nicht weiter gekommen sei.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Juncker am Dienstag zwar als "unser Spitzenkandidat" bezeichnet, ob sie ihn wirklich will, ist offen. Sie favorisiert heimlich einen konservativen Regierungschef, der genau ihre Philosophie des Sparens vertritt – Irlands Regierungschef Enda Kenny, Polens Premier Donald Tusk oder Finnlands Katainen. Formal ist es möglich, einen anderen Kandidaten zu nominieren, demokratiepolitisch wäre es aber bedenklich – und könnte die Frustration gegenüber Brüssel noch mehr steigern. Die EU-Granden können sich diesmal nicht mehr auf reine Hinterzimmer-Politik verlassen: Sie schlagen den Kommissionspräsidenten zwar wie gehabt vor, doch muss dieser mit absoluter Mehrheit (376 Stimmen von insgesamt 751 Abgeordneten) im EU-Parlament gewählt werden. Dort haben sich die großen Fraktionen festgelegt: Sie wollen nur einen der Spitzenkandidaten akzeptieren, nämlich Juncker. Sogar Martin Schulz will ihn jetzt wählen.

Dienstagmittag gab es beim Treffen der Fraktionschefs einen Schulterschluss: Juncker solle versuchen, mit seinem Programm eine Mehrheit der Mandatare zu überzeugen. Hinter der Forderung, der Rat solle Juncker sofort ein Verhandlungsmandat geben, stehen von den neu gewählten Mandataren 561 von 751 hinter ihm.

Schulz Fraktionschef

Die Staats- und Regierungschefs gaben Ratspräsident Herman Van Rompuy den Auftrag, im Parlament die Lage zu sondieren. Eine überraschende Entscheidung trafen am Dienstag die Sozialdemokraten: Schulz wird Fraktionschef der SPE im neu gewählten Parlament und damit Verhandlungsführer der Roten für alle Fragen, inklusive Personal.

Vorgesehen ist, dass der Kommissionspräsident Mitte Juli im Parlament gewählt wird. Dauert es länger, arbeitet die "alte" Kommission, deren Mandat Ende Oktober ausläuft, einfach weiter.

Abgesehen vom Personalpaket wollten die EU-Granden die Gründe für das Erstarken der Rechtspopulisten und Rechtsnationalen erforschen und eine Debatte darüber führen, warum so viele Menschen unzufrieden mit der EU sind. "Wir müssen viel mehr gegen die Arbeitslosigkeit und für mehr Wirtschaftswachstum tun, das ist dringend nötig", sagte Faymann zum KURIER. Merkel hat sich zuletzt unbeliebt gemacht mit ihrer Aussage, "es gibt keine Sozialunion". Gerade die Beachtung sozialer Aspekte ist nach der Krise vielen aber ein Anliegen.

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