Juncker will mehr... Euro-Länder und EU-Staaten
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält eine Rede zur Lage der Europäischen Union. Bereits davor sickerte bereits durch, dass der Luxemburger für die Einführung des Euro überall in der Europäischen Union ist, also auch in den ärmeren osteuropäischen Ländern. Auch den Schengenraum ohne Grenzkontrollen will er auf alle EU-Länder ausweiten. Und: Die EU soll weiter wachsen. Bis 2025 könnte die Union 30 Mitglieder haben.
Derzeit befinden sich 19 der insgesamt 28 EU-Staaten in der Eurozone. Zuletzt führte Litauen Anfang 2015 den Euro als offizielle Währung ein. Die Vorschläge bergen freilich Konfliktpotenzial. Eine Ausweitung der Eurozone würde bedeuten, dass auch EU-kritische Länder wie Ungarn oder Polen die Einheitswährung einführen.
Mitgliedschaft der Türkei
Auch das brisante Thema Türkei schnitt Juncker an. Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei "in absehbarer Zeit" schloss er aus. Die Türkei entferne sich derzeit von der EU, etwa durch die Verhaftung von Journalisten. "Journalisten gehören in Redaktionsstuben mit freier Meinungsäußerung und nicht ins Gefängnis", sagte Juncker.
Junckers Rede zur Lage der Union im Straßburger Europaparlament war mit Spannung erwartet worden. Nach Entscheidung der Briten für einen EU-Austritt hatte er eine Reformdebatte angestoßen und im März fünf Szenarien zur EU der Zukunft vorgelegt. Doch Juncker will nach Angaben der EU-Diplomaten keine neuen Strukturen und auch keine Änderung der Europäischen Verträge - anders als Macron, der einen Euro-Finanzminister mit eigenem Milliarden-Budget verlangt. Als Kompromissformel will Juncker, dass ein Vizepräsident der Kommission hauptamtlicher Chef der Eurogruppe wird - eine Art "Mr. Euro" ohne neuen Apparat.
Generell zeigte sich Juncker optimistisch zur Zukunft Europas. "Europa hat wieder Wind in den segeln", sagte er. Es biete sich das Fenster einer Chance.
Nur noch einen Präsidenten
Juncker hat sich zudem für die Zusammenlegung seines Postens mit dem des EU-Ratspräsidenten ausgesprochen. Juncker sagte, ein einziger Präsident würde die Union und die Bürger besser widerspiegeln. Seine "Vision" wollte Juncker jedoch nicht als Kritik an EU-Ratspräsident Donald Tusk verstanden wissen.
Juncker sagte weiters, er wolle, dass das Konzept von "Spitzenkandidaten" bei der Europawahl im Mai 2019 fortgesetzt werde. Zugleich machte er klar, dass er nicht mehr für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten antreten werde.
Der EU-Austritt Großbritanniens (Brexit) am 29. März 2019 sei "ein trauriger und tragischer Moment". Die EU müsse aber den Willen des britischen Volkes respektieren. "Brexit ist nicht alles, Brexit ist nicht die Zukunft Europas", sagte Juncker.
ORF-Reporter Filz zur Rede von EU-Präsident Juncker
BREXIT: Die Gespräche über den EU-Austritt Großbritanniens laufen äußerst zäh. Erst gestern wurde eine neue Runde um eine Woche verschoben. Offiziell heißt es, es solle damit den Verhandlern "mehr Flexibilität" eingeräumt werden. Tatsächlich dürfte die Verzögerung auf eine wichtige Rede der britischen Premierministerin Theresa May zurückzuführen sein, die sie am 21. September halten will - davor sollte es nicht wieder zur Sache gehen. Die Vorstellungen beider Seiten liegen noch meilenweit voneinander entfernt. Es geht vor allem um die Zahlungen, die das Königreich noch zu tätigen hat, um die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien sowie die der Briten in den EU-Staaten. Auch die Grenzfrage zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland ist noch völlig offen.
TÜRKEI: Nach dem zunehmend autoritären Kurs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wird der Ruf immer lauter, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara zumindest auf Eis zu legen oder gänzlich abzubrechen. Für Ersteres hat sich das Europäische Parlament schon vor längerer Zeit ausgesprochen. Auf EU-Staaten-Ebene vertritt offiziell nur Österreich diese Linie, wobei die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, so sie nach der Bundestagswahl am 24. September diese Position noch innehat, die Causa auf die Agenda des nächsten EU-Gipfels setzen will. Auch die bestehende Zollunion zwischen der EU und der Türkei sollte eigentlich vertieft werden. Doch zeichnet sich in dieser Frage keine Mehrheit ab.
FLÜCHTLINGE/MIGRATION: Bei dieser Problematik zeigt sich ganz deutlich die tiefe Zerrissenheit der Union. Die Hauptlast tragen weiterhin Deutschland, Schweden und Österreich. Während sich nach der Schließung der Balkanroute die Situation in Griechenland etwas entspannt hat, leidet vor allem Italien an der Vielzahl von Neuankömmlingen, wobei zuletzt auch hier eine deutliche Reduktion verzeichnet werden konnte. Doch eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten ist nach wie vor außer Reichweite. Vor allem Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, die sogenannten Visegrad-Staaten, stemmen sich dagegen. Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orban akzeptiert in diesem Zusammenhang nicht einmal ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes.
RECHTSSTAATLICHKEIT: Dieser Grundpfeiler jeder demokratischen Ordnung wird nicht nur in der Türkei gehörig untergraben, sondern auch in Polen. Die dort beschlossene Justizreform, die die Unabhängigkeit der Richter bedroht und die Gewaltenteilung de facto aufhebt, wurde von der EU-Kommission bereits mehrmals scharf kritisiert. Brüssel droht Warschau sogar mit dem Entzug des Stimmrechts in der Union. Die rechtskonservative Regierung zeigt sich davon bisher aber unbeeindruckt.
SPALTUNG WEST-OST: Generell zeigt sich bei vielen Themen eine Spaltung zwischen den "alten" EU-Ländern im Westen und Süden und den ehemaligen Ostblockstaaten.
UNTERSCHIEDLICHE STEUERSYSTEM: Dieses Faktum führt dazu, dass sich einige Mitlgiedsstaaten einen Standortvorteil sichern. So liegt etwa die Körperschaftssteuer für Unternehmen in Ungarn bei nur 9 Prozent, in Österreich bei 25 Prozent. Eine Vereinheitlichung, wie sie viele Experten fordern, liegt in weiter Ferne.
GRIECHENLAND: Das ewige Sorgenkind der Union - in ökonomischer Hinsicht. Das Urlauberland hängt nach wie vor am Finanztropf der Europäischen Union.
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