Politische Wende: EU setzt Zahlungen an Israel aus

State of the European Union address in Strasbourg
In ihrer Rede zur Lage der EU kündigt Von der Leyen harte Maßnahmen gegen Israel an, will Russlands eingefrorene Milliarden für die Ukraine ausgeben und plant Social-Media-Altersgrenze für Kinder.

Zusammenfassung

  • EU-Kommission setzt wegen Israels Vorgehen in Gaza Zahlungen an Israel aus, ausgenommen Zivilgesellschaft und Yad Vashem.
  • Von der Leyen fordert Sanktionen gegen extremistische israelische Minister und gewalttätige Siedler sowie eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens, Basis für die engen Handelsbeziehungen.
  • Europa will Ukraine weiter militärisch unterstützen - und dafür die eingefrorenen Milliarden Russlands in Westeuropa verwenden. Als Basis für einen Kredit
  • EU wird an Klimazielen, auch jenem für 2040 festhalten.
  • Für öffentliche Aufträge in ganz Europa wird in Zukunft "Made in Europe" bevorzugt behandelt.
  • Es soll eine Altersgrenze für Social-Media-Konsum geben, um Kinder zu schützen - nach Vorbild Australiens
  • Wilde Zwischenrufe der Rechts-Außen-Fraktion "Patrioten für Europa", zu der auch die FPÖ gehört

Es war ein lange erwarteter Schritt - und trotzdem ist er für die EU riesig und gewagt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte in ihrer Rede zur Lage der EU einen Stopp der Zahlungen der EU-Kommission an Israel an -  und dazu eine Reihe von weiteren harten Maßnahmen gegen die Regierung in Jerusalem. Ein Handelsabkommen soll auf Eis gelegt werden, Unterstützungen gestoppt. Es soll EU-Sanktionen nicht nur gegen radikale israelische Siedler, sondern auch gegen die rechtsextremen Minister der Regierung Netanjahu geben. Außerdem beginnen schon jetzt die EU-Planungen für den Wideraufbau des Gaza-Streifens.

Harter Vorwurf, auch gegen Österreich

Damit bezieht die EU-Kommissionschefin deutlich klarer als je zuvor Stellung zum Krieg im Gaza-Streifen. Vor dem EU-Parlament in Straßburg machte sie Israel für eine "menschengemachte Hungersnot" verantwortlich. Das Europa bis jetzt nicht gehandelt habe, sei "schmerzvolle Unfähigkeit". Ein Vorwurf, der sich vor allem gegen Deutschland und Österreich richtet, die Sanktionen gegen Israel weiter im EU-Rat der Mitgliedsländer blockieren.

Russlands Milliarden für die Ukraine

"Europa kämpft": Mit diesen Worten - rund ein Dutzend Mal wiederholt - hatte Von der Leyen ihre Rede zur Lage der Union begonnen. Und für diesen Kampf wollte sie vor allem außenpolitische Entschlossenheit beweisen. Auch gegenüber Russland wollte sich die Deutsche nicht nur auf große Worte beschränken, sondern sie stellte eine bemerkenswerte, konkrete Maßnahme in den Raum. Bisher galten die rund 200 Milliarden Euro an eingefrorenem russischen Vermögen in Westeuropa als weitgehend unantastbar. Lediglich die Zinsen wurden abgeschöpft, für die Ukraine. Jetzt sollen diese Milliarden als Deckung für einen Kredit an die Ukraine verwendet werden - und zurückgezahlt werde der erst, wenn Russlands Reparationen für die Zerstörungen in der Ukraine bezahlt habe.

Viel Pflichtprogramm für links und rechts  

Während sie also bei den zwei wichtigsten außenpolitischen Krisen zur Zeit klare Akzente setzte, war der übrige, also der EU-politische Rest von Von der Leyens Rede vor allem davon geprägt, alle Fraktionen der politischen Mitte zu bedienen. Für die bürgerliche EVP und die Liberalen gab es eine ganze Reihe an meist eher vage formulierten Versprechen für die Industrie, vor allem die Autoindustrie. Das reichte von einem noch einigermaßen vorstellbaren "Booster-Paket" für die Batterieherstellung, über eine "Initiative für ein leistbares kleines Auto" bis hin zu - typisch Von der Leyen - kühnen aber nur noch nebulösen Wortkonstruktionen wie der "Industrie-Beschleunigungs-Erlass". 

Für die Sozialdemokraten gab es einen "Plan für leistbares Wohnen", und der enthält zumindest so konkrete Pläne wie neue EU-Regeln für öffentliche Wohnbauförderung und den Kampf gegen Kurzzeit-Vermietung a la airbnb.

Kein Aus von Verbrenner-Aus

Die Grünen wiederum konnten aus der Rede deutlich heraushören, dass man am "Green Deal" und an den Klimaschutzzielen festhalten werde, auch an dem zuletzt so umstrittenen für 2040, das in wenigen Tagen beschlossen werden soll. Außerdem vermied Von der Leyen allzu große Zugeständnisse an die Anhänger des Verbrennungsmotors. Am Aus für neue Autos mit Benzin- oder Dieselmotor im Jahr 2035 wird zumindest vorerst nicht gerüttelt.

Eine Demonstration der Unversöhnlichkeit    

Für all diese Ziele aber brauche es "Einigkeit" und "Geschlossenheit", betonte die Kommissionschefin immer wieder während ihrer rund einstündigen Rede. Die politische Mitte, die demokratischen, pro-europäischen Kräfte müssten zusammenarbeit. Wie tief in der Krise diese Zusammenarbeit aber derzeit ist, demonstrierten die Spitzenvertreter eben dieser politischen Mitte gleich im Anschluss an die Rede. Da attackierte EVP-CHef Manfred Weber sofort die "Linke", sie würde den Neustart in Europas Industrie, vor allem der Autoindustrie, mit ständigen politischen Blockaden verhindern. Die spanische Chefin der Sozialistischen Fraktion, Iratxe Garcia Perez fiel danach ansatzlos über Weber her, machte in persönlich für das politische Versagen Europas verantwortlich und nannte den EU-USA-Deal zwischen Von der Leyen und Donald Trump "Machtmissbrauch". Dass danach Jordan Bardella, französischer Chef der Rechtsaußen-Fraktion "Patrioten für Europa" ohnehin alles und jeden attackierte und Von der  Leyen vorwarf, nicht europäische, sondern deutsche Interessen zu vertreten, war ohnehin erwartbar. Viel Anlass zu politischer Skepsis also, auch für den österreichischen EU-Parlamentarier Andreas Schieder: "Eine gute Rede, die sich an die politische Mitte in Europa gerichtet hat - aber passt das auch zu dem, wie die EU derzeit handelt?"

Dutzende weitere Versprechen

In der Rede gab es auch einen Fahrplan für Verteidigung bis 2030, strengere Maßnahmen gegen Schlepper, ein klares Bekenntnis zu einer harten Migrationspolitik und außerdem die Ankündigung, einen Gipfel  für die Rückkehr ukrainischer Kinder abzuhalten. Sie appellierte an die EU-Länder und die Institutionen um "Geschlossenheit".

"Was in Gaza geschieht, ist inakzeptabel"

Harte Worte fand die Deutsche zum Krieg in Nahost: "Was in Gaza geschieht, ist inakzeptabel." Es sei für viele Bürgerinnen und Bürger schmerzhaft, "dass sich Europa nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen kann". Sie kritisierte, dass sie die EU-Staaten bisher nicht auf die vorgeschlagene Aussetzung der israelischen Beteiligung am EU-Forschungsprogramm einigen konnte; auch Österreich war hier dagegen gewesen. Die Kommission schlage daher ein Maßnahmenpaket vor.

Die Kommission selbst werde ihre bilaterale Unterstützung für Israel aussetzen. Dem Rat der EU-Länder werde ihre Behörde Sanktionen "gegen die extremistischen Minister und gegen gewalttätige Siedler" sowie eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens im Bereich des Handels vorschlagen. Sie sei sich bewusst, dass es schwer werde, eine Mehrheit dafür zu finden. Die Deutsche bekräftigte, sie fühle sich dem israelischen Volk schon seit langem freundschaftlich verbunden. Viele Abgeordnete hatten das mangelnde Engagement der EU wegen der katastrophalen humanitären Lage in Gaza kritisiert.

European Parliament plenary session in Strasbourg

EU-US-Handelsdeal verteidigt

Von der Leyen verteidigte in ihrer Rede auch den vielfach kritisierten EU-USA-Handelsdeal, den sie mit US-Präsident Donald Trump geschlossen hatte: "Wir haben das Bestmögliche für Europa herausgeholt." Die Zollsätze für viele andere Staaten seien viel höher, betonte sie. Zugleich betonte sie, Europa müsse "unsere Diversifizierungsanstrengungen und unseren Einsatz für Handelspartnerschaften verdoppeln". Als Beispiel für globale Abkommen nannte sie Mercosur, das auch in Österreich umstrittene Abkommen mit südamerikanischen Staaten. Die Texte liegen derzeit zur Billigung bei den EU-Staaten.

Zugang von Kindern zu Social Media beschränken

Ein neues Europäisches Zentrum für demokratische Resilienz sowie ein neues Programm für Medienresilienz sollen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie unabhängigen Journalismus und Medien fördern. Der Zugang von Kindern zu sozialen Medien sollte stärker beschränkt werden, fordert die siebenfache Mutter. Hier nennt sie Australien als Beispiel. Nachdem es Altersgrenzen für Rauchen und Trinken gebe, sollte dies auch für Social Media eingeführt werden. Eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene wird schon seit längerem diskutiert.

Handydisplay mit verschiedenen Apps wie Instagram, whatsApp und Facebook

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Sanktionen gegen Schlepper

Der Vorschlag der Kommission für das nächste mehrjährige EU-Budget sieht dreimal mehr Mittel für Migration vor, betonte von der Leyen. Sie kündigte ein härteres Vorgehen gegenüber Schleppern und Menschenhändler mit einem neuen Sanktionsregime an. Dieses soll ermöglichen, ihre Vermögenswerte einzufrieren, Bewegungsmöglichkeiten einzuschränken sowie Gewinne zu kappen. Die neue europäische Rückführungsrichtlinie sowie der Asyl- und Migrationspakt müssten schnell umgesetzt werden, fordert sie. Er werde aber "nur funktionieren, wenn alle ihren Anteil leisten". Der Pakt muss bis Mitte 2026 umgesetzt werden.

"Europa kämpft"

Europa kämpfe "einen Kampf für einen unversehrten Kontinent in Frieden", für ein "freies und unabhängiges Europa", "für unsere Werte und unsere Demokratien" und "für unsere Freiheit und dafür, dass wir selbst über unser Schicksal bestimmen können", betonte von der Leyen. "Die Welt von heute ist gnadenlos. Und wir können die Schwierigkeiten, mit denen die Europäerinnen und Europäer tagtäglich konfrontiert sind, nicht schönreden", erklärte sie. Angesichts der "entsetzlichen Bilder in Gaza und dem unerbittlichen russischen Dauerbeschuss der Ukraine" könnte Europa nicht abwarten, dass "der Sturm vorüberzieht".

In "einer Welt mit Großmachtphantasien und imperialistischen Kriegen" müsse ein "neues Europa entstehen", dass über sein eigenes Schicksal bestimmt, appellierte sie an die EU-Abgeordneten. Angesichts der zunehmenden Kritik an ihr aus dem EU-Parlament und auch von einigen EU-Staaten forderte sie die "Geschlossenheit der Mitgliedstaaten untereinander" und der EU-Institutionen ein.

State of the European Union address in Strasbourg

"Europa steht auf der Seite Polens"

Sie sprach das Schicksal der von Russland entführten ukrainischen Kinder an: Gemeinsam mit der Ukraine und weiteren Partnern wolle sie einen Gipfel der Internationalen Koalition für die Rückkehr ukrainischer Kinder organisieren. Dafür erhielt sie tosenden Applaus der Abgeordneten. Der Krieg müsse "mit einem gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine enden". Russlands Präsident Wladimir Putin weigere sich aber, den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij zu treffen. Und nie zuvor habe Russland so viele Drohnen und ballistische Raketen bei einem einzigen Angriff eingesetzt wie vergangene Woche.

Angesichts der vergangenen Nacht über Polen abgefangenen russischen Drohnen erklärte die Deutsche: "Europa steht auf der Seite Polens." Erneut erntete sie tosenden Applaus der Parlamentarier. Von der Leyen fordert daher "mehr Druck" auf Russland, und mehr Sanktionen. Europa müsse dringend an einer neuen Lösung arbeiten, um auf Grundlage der eingefrorenen russischen Vermögenswerte die ukrainischen Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Die Vermögenswerte selbst blieben davon unberührt, betonte sie aber.

State of the European Union address in Strasbourg

Unterstützung für ukrainisches Militär

Ein neues Programm namens "Qualitative Military Edge" soll Investitionen in die Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte unterstützen, beispielsweise Drohnen. Von der Leyen kündigte an, beim nächsten EU-Gipfel einen Fahrplan für neue gemeinsame Verteidigungsprojekte vorlegen zu wollen, um "klar definierte Ziele für 2030" festzulegen. Auch ein "Europäisches Semester für Verteidigung" soll kommen.

Nach ihrer ersten Rede nach ihrer Wiederwahl und nach einem abgelehnten Misstrauensvotum kann die Deutsche mit einer heißen Debatte mit den EU-Abgeordneten in Straßburg rechnen. Das Parlament steht dem EU-US-Handelsabkommen und den Vorschlägen für das nächste mehrjährige EU-Budget kritisch gegenüber.

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