EU-Gipfel: Viele Krisen, kaum Klartext

EU-Gipfel: Viele Krisen, kaum Klartext
Kanzler Kurz fordert wegen der Gasbohrungen Sanktionen gegen die Türkei. Doch da ziehen nicht alle EU-Staaten mit. Grünes Licht gibt es aber nun für Sanktionen gegen Weißrussland

Raue Zeiten für eine Europäische Union, die sich einer Vielzahl außenpolitischer Krisen gegenüber sieht: Das immer mächtiger auftretende China, die zunehmend protektionistischen USA, die Unruhen in Weißrussland und vor allem der gefährliche Streit um Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer mit der Türkei. EU-Ratspräsident Charles Michel hielt es daher für dringend geboten, die EU-Staats- und Regierungschefs trotz der Corona-Pandemie zu einem Treffen zusammenzutrommeln – und europäische Antworten zu liefern.

Doch bei der Suche nach neuen Lösungen blieb das Problem auch gestern ein altes: Mangelnde Einigkeit unter den 27 EU-Mitgliedstaaten. Ohne Einstimmigkeit aber sind der EU in ihrer Außenpolitik die Hände gebunden.

Das ließ schon in den vergangenen Wochen das kleine Zypern spüren. Als einziges EU-Land stemmte es sich gegen Sanktionen für Weißrussland, weil es vorher eine andere Bedingung erfüllt sehen wollte: Strafmaßnahmen gegen die Türkei.

Gegen das Völkerrecht

Auf Sanktionen gegen Personen und Firmen, die an den türkischen Gasbohrungen beteiligt sind, pocht auch Kanzler Sebastian Kurz. „Wir brauchen endlich eine klare Reaktion auf die türkischen Aktionen“, sagte er. „Die Explorationen in fremden Hoheitsgewässern sind ein klar völkerrechtswidriges Vorgehen gegenüber Griechenland und Zypern“, sagte Kurz. Zudem wollte sich der Kanzler erneut für den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei starkmachen.

Dass sich Kurz mit dieser Forderung im Kreise seiner Gipfelkollegen durchsetzen würde, schien allerdings unerreichbar. Besonders Deutschland stemmt sich gegen Sanktionen gegen die Türkei. Und einen endgültigen Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei lehnt die Mehrheit der EU-Staaten weiterhin ab.

Der frühere österreichische Spitzendiplomat Stefan Lehne und nun für den Think Tank Carnegie Europe tätige EU-Experte sieht im Streit zwischen der EU und der Türkei wegen der Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer leichte Signale der Entspannung. „Es gibt jetzt eine Öffnung hin zu exploratorischen Gesprächen zwischen Griechenland und der Türkei. Scharfe Sanktionen würden dies wieder zum Kippen bringen“, sagt Lehne. „Diese Meinung wird von einer breiten Mehrheit der EU-Staaten geteilt – nicht aber von Zypern.“

Doch es gab auch Hoffnung: „Bei so einem Gipfel herrscht oft eine ganz besondere Dynamik“, gibt ein Gipfelkenner zu bedenken. „Schwer vorstellbar, dass Zypern das durchhält, wenn 26 andere Regierungschefs Druck machen.“ Und so geschah es auch. Kurz nach Mitternacht gab Zyperns Präsident dem Druck nach und zog sein Veto gegen die Weißrussland-Sanktionen zurück. Dafür erhielt er die Zusicherung: Der Druck auf die Türkei bleibt aufrecht - ebenso die Sanktionsdrohungen.

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„Früher“, erinnert sich Lehne im Gespräch mit dem KURIER, „war es für ein EU-Land in isolierter Position sehr unangenehm. Man hat versucht, einen Kompromiss zu finden, wo man das Gesicht wahrt, ohne die EU in ihren Entscheidungen zu behindern. Das hat sich geändert. Jetzt gibt es eine Reihe von Staaten – Zypern, Ungarn, Polen, Griechenland, und auch andere –, die ohne Not von dieser Möglichkeit des Vetos Gebrauch machen.“

Wackelnde Milliarden

Und so stand beim Gipfel auch ein anderes, drohendes Veto im Raum: Ungarn und Polen drohen eine Blockade an, die in letzter Konsequenz den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds für Europa scheitern lassen könnte. Die beiden Staaten wehren sich vehement gegen einen geplanten Rechtsstaatsmechanismus. Dieser würde die Ausschüttung von EU-Geldern stoppen, sobald Verstöße der Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU schädigen.

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Noch sei der Streit um die Rechtsstaatlichkeit in der EU nicht in der entscheidenden Phase, glaubt Lehne. Und er werde auch nicht diesen Sondergipfel sprengen – zumal er gar nicht auf der offiziellen Themenliste des Treffens steht. Und so erwartet der erfahrene EU-Experte halb skeptisch, halb pragmatisch: „Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit wird es letztlich eine Lösung geben, aber vielleicht eine schlechte.“

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