Flüchtlingspakt mit Türkei wackelt

Viele Länder zweifeln an einem Abkommen mit Ankara. EU-Kommission will Lösung.

Skepsis überwiegt vor dem heute, Donnerstag, beginnenden EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise. Nationale Interessen überwiegen, viele misstrauen den Türken. Kaum jemand wettet auf eine Lösung. Die EU-Kommission jedenfalls lässt sich davon nicht beirren. Ihre Aufgabe ist es, Vorschläge zu machen. Vizepräsident Frans Timmermans kam dem nach und legte am Mittwoch politische und rechtliche Details des Abkommens mit der Türkei vor. Er sagte aber auch: "Wir gewähren der Türkei sicher keine Freifahrt."

Der KURIER beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

Wie funktioniert das "Flüchtlingskarussell", das sogenannte 1:1 Modell?

Das Prinzip klingt gut und ist zeitlich begrenzt: Alle in Griechenland irregulär angekommenen Flüchtlinge aus der Türkei werden in die Türkei zurückgeführt. Der Fall jeder einzelnen Person, die um internationalen Schutz bittet, wird geprüft, Pauschal-Rückführungen wird es nicht geben. Die Hotspots auf Ägäis-Inseln müssen zu Asylzentren ausgebaut werden. Dafür will die Kommission Experten und rund 20 Millionen Euro pro Monat zahlen. Laut Kommission müssen die Verfahren beschleunigt durchgeführt werden. Für jeden Syrer, der dabei in die Türkei zurückkehrt, soll die EU einen Syrer aufnehmen.

Was ist das Ziel dieses 1:1-Modells?

Griechenland wird nicht zum großen Flüchtlingslager Europas und den Schleppern wird damit die Geschäftsgrundlage entzogen.

Welche EU-Staaten sind bereit, syrische Flüchtlinge aus der Türkei zu nehmen?

Das ist das Schlüsselproblem. Bisher nur Deutschland, die Niederlande und Portugal. Österreich will keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen, ost- und mitteleuropäische Länder sind prinzipiell gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Kommt dieser Verteilungsmechanismus nicht zustande, wird das Abkommen mit der Türkei zahnlos.

Was will die Türkei von der EU? Was ist der Deal?

Ankara geht es um drei Forderungen: Visa-Liberalisierung für alle Türken ab 1. Juni (die Kommission will noch im April die Visa-Befreiung vorschlagen), rasche Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen (die Öffnung von fünf neuen Kapiteln; 15 von insgesamt 35 sind bisher geöffnet worden) und sechs Milliarden Euro bis 2018 für die Betreuung von rund 2,5 Millionen syrischer Kriegsflüchtlinge.

Warum hat die Aufteilung bisher nicht geklappt?

Im Herbst 2015 beschlossen die EU-Innenminister die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien. Verteilt sind noch nicht einmal 1000 Personen, es gibt aber Zusagen für Aufnahmen. So will zum Beispiel Frankreich 30.000 Asylwerber integrieren. Angekommen ist aber noch niemand. Der Grund: Mangelnde Registrierung in Griechenland, mangelnde Einrichtungen, wo Flüchtlinge untergebracht werden, und Defizite in den Aufnahmeländern, weil Frankreich zum Beispiel nicht sagt, wie viele Plätze jetzt wirklich zur Verfügung stehen. Dazu kommt ein Logistik-Defizit: Wer fliegt die Flüchtlinge aus? Und wer übernimmt die Kosten? Kurzum: Das Problem liegt nicht nur bei Griechenland oder Italien, sondern auch bei den potenziellen Aufnahmeländern.

Welches Land lehnt den EU-Türkei-Pakt offen ab?

Alle im spanischen Parlament vertretenen Parteien. Zypern lehnt Beitrittsgespräche ab, weil die Türkei die Insel nicht als Staat anerkennt. Auch Österreich zweifelt.

Was passiert, wenn ein Türkei-Pakt scheitert?

Dann werden die EU-Spitzen weiterverhandeln, das Scheitern nicht eingestehen.

Viele Köche verderben den Brei, lautet ein bekanntes Sprichwort. Das gilt auch für die Politik: Viele EU-Granden, die jetzt die Flüchtlingskrise verhandeln, verderben eine Entscheidung. Dabei geht es konkret um zwei Brüsseler Spitzenvertreter: Donald Tusk und Frans Timmermans.

Der EU-Ratspräsident und der Erste Vizepräsident der EU-Kommission ringen um einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Dass sie dabei nicht an einem Strang ziehen, liegt weniger an dem mehrsprachigen, gewieften und humorvollen Karrierediplomaten Timmermans, sondern an dem hölzernen, undiplomatisch agierenden polnischen Konservativen.

Tusk hebt bei seinen Treffen in Griechenland, auf Zypern oder in der Türkei nicht Annäherungen, sondern das Trennende hervor. Er spricht einen Tag vor dem entscheidenden Türkei-Gipfel von "vielen offenen Fragen", von einer "Themenliste", die es erst abzuarbeiten gilt. "Will Tusk überhaupt eine Lösung?", fragen sich viele.

Mit wichtigen Akteuren – Merkel, Juncker und Schulz – hat er es sich bereits verscherzt. Er trat offen gegen die Quote auf, desavouierte damit die deutsche Kanzlerin und unterstützte die national ausgerichteten Ost-Europäer.

Timmermans macht es geschickter: Er bündelt die Interessen, spielt die handelnden Personen nicht gegeneinander aus, ist nicht Partei, sondern Moderator einer europäischen Lösung. Parallel zu Tusk zieht er die Fäden mit der Türkei. Dabei spielt er die Probleme nicht herunter. Im Gegensatz zu Tusk ist er von der Zusammenarbeit mit Ankara überzeugt. Tusk wackelt ständig.

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