Der Schock sitzt tief
Der Schock der ersten Trump-Präsidentschaft sitzt bei vielen EU-Politikern tief. Ein Präsident, der Europa kurzerhand mit Strafzöllen, etwa für Stahl und Aluminium, belegte und das Verteidigungsbündnis NATO in Frage stellte, das war für viele ein unsanfter Weckruf. Diesmal will man in jedem Fall besser vorbereitet sein. „Wir werden rasch und hart zurückschlagen“, gibt sich ein EU-Diplomat selbstbewusst.
Sollte also tatsächlich Donald Trump ins Weiße Haus einziehen, will man die Pläne für diesen Gegenschlag quasi schon in der Schublade haben. Und zwar in der EU-Kommission, also der EU-Institution, die am schnellsten handeln kann – zumindest in den Bereichen, in denen ihr die gerade in Wirtschaftsfragen chronisch uneinigen EU-Staaten nicht dreinreden können. Kurzfristig verhängte Zölle sind so ein Fall. Darum zerbrechen sich gleich mehrere Generaldirektionen in der EU-Kommission den Kopf darüber. Die Koordination hat das Büro von Kommissionschefin Ursula von der Leyen an sich gezogen, ein klarer Hinweis, für wie ernst und wie dringlich man die Sache hält.
Die heikle Frage China
Auch die Mitgliedstaaten wollen in diesen Fragen gehört werden, bei den regelmäßigen Treffen ihrer Botschafter in Brüssel wurde das Thema US-Wahl mehrmals kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt.
Denn in den für Exportnationen wie Deutschland oder Österreich so wichtigen Handelsfragen hat die EU einen heiklen Balanceakt zu bewältigen. Gerade erst hat man – gegen den Widerstand des Autoriesen Deutschland – Strafzölle gegen chinesische Autos verhängt.
Der nächste US-Präsident wird auf jeden Fall eine härtere Linie gegen Peking fahren – und zwar egal, ob Kamala Harris oder Donald Trump im Weißen Haus sitzt. Eine ähnliche Linie wird Trump von Europa einfordern, das er im Wahlkampf offen als „das kleine China“ attackiert hat. Strafzölle gegen Autos aus Europa hat der Republikaner bereits angedroht, außer man sei bereit, mit Washington gemeinsame Sache gegen China zu machen. Diese Härte aber kann sich Europa nicht erlauben, könnte daher eher den Handelskonflikt mit den USA akzeptieren als jenen mit China. „Trump könnte Europa dazu bringen, eine versöhnlichere Haltung gegenüber China einzunehmen“, analysiert Handelsexperte Noah Barkin gegenüber Euronews.
Wer hilft der Ukraine?
Doch der Handel ist nicht die einzige Konfliktzone, in der sich Europa mit einem Präsidenten Trump befinden wird. Der Republikaner hat klar gemacht, dass er den Krieg in der Ukraine rasch beenden will, auch wenn die dafür Gebiete an Russland abtreten muss. Will Europa die Ukraine weiterhin dabei unterstützen, diesen Krieg zu führen, wird es das wohl alleine machen müssen – ohne US-Waffen und ohne US-Milliarden.
Eine schwerwiegende und teure Entscheidung, gerade in Zeiten schwächelnder Wirtschaft und knappen Budgets in Europa. Das Ziel, militärisch und rüstungstechnisch endlich aus dem Schatten der USA zu treten, das kommt in Brüssel ohnehin derzeit in jeder Sonntagsrede vor. Will man es aber in die Tat umsetzen, bricht schon bei der Frage nach der gemeinsamen Finanzierung dieser Waffen der Streit zwischen den Mitgliedsstaaten aus. Schon in Budapest beim Abendessen könnte der Streit um das heikle Thema Geld hochkochen, das zumindest deuten die weitgehend inhaltsleeren Formulierungen an, auf die man sich bisher notdürftig geeinigt hat.
Hier ein Trump im Weißen Haus, dort ein zerstrittenes Europa, das sich nicht aufraffen kann, endlich einen klaren Kurs einzuschlagen. Das ist das Albtraumszenario, das die Diplomaten in Brüssel umtreibt – und manche unter ihnen finden das, zumindest abseits der Kameras, sogar heilsam. Die „bittere Pille“ namens Trump, meinen sie, könnte Europa endlich einen.
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