Franz Löschnak: Ich hatte mit meinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble schon länger engen Kontakt, wir kannten uns schon als Staatssekretäre im Kanzleramt. Ich bin Anfang Juni ’89 zu Schäuble nach Bonn gefahren, um mich über die politischen Entwicklungen in Polen und Ungarn zu informieren. Da war die Liberalisierung schon am Laufen. Ich fragte Schäuble, ob er eine solche Liberalisierung auch in der DDR erwartet. Ich wusste ja, wie sehr die DDR wirtschaftlich am Boden war. Schäuble hat mir erklärt, er erwarte für 1989 und auch für 1990 keinerlei Liberalisierung. Mit dem Wissen kam ich zurück nach Wien.
Kurz danach begannen sich die Ereignisse an der ungarischen Grenze zu überschlagen. Das Foto von Außenminister Alois Mock, als er den Grenzzaun durchschneidet, ist ja historisch. Wie erinnern Sie sich daran?
Grenzzaun hatten wir im Sommer 1989 keinen mehr. Das Stück Zaun, das auf der historischen Aufnahme mit Mock und Gyula Horn zu sehen ist, wurde extra aufgestellt, damit Sie es zerschneiden können. Alois Mock hat im Ministerrat regelmäßig über diese Liberalisierung in Ungarn berichtet. Als dann die ersten DDR-Bürger über Ungarn nach Österreich kamen, haben wir die Visapflicht für DDR-Staatsbürger auf der Durchreise sofort massiv erleichtert, damit sie schneller durchkommen konnten. Da die meisten auf der Durchreise in Richtung BRD waren, hatte ich versucht das möglichst rasch und unbürokratisch abzuwickeln. Mock wollte ja damals, dass ich mit an die Grenze gehe, den Zaun durchschneiden, aber dann hätte der ungarische Innenminister auch kommen müssen. Da hab ich gemeint, macht’s allein, damit das nicht zu kompliziert wird.
Wie war die Arbeit Ihrer Beamten mit den ungarischen Behörden?
Auf höherer politischer Ebene waren die Behörden im Ostblock überhaupt nicht zur Zusammenarbeit bereit. Doch es gab natürlich Kontakte zwischen der österreichischen und der ungarischen Polizei, auch über den Eisernen Vorhang hinweg. Gerade diese Übergangsphase an der Grenze im Sommer 89 wurde zwischen den Beamten richtig nachbarlich abgewickelt. Ich kann mich an keinen einzigen ernsthaften Zwischenfall aus dieser Zeit erinnern. Das waren die Kontakte zwischen den Postenkommandanten über die Grenze hinweg, die all das möglich machten. Nur auf höherer Ebene herrschte Stillschweigen.
Wie verliefen die erste Zeit nach der Grenzöffnung, als Tausende Besucher aus dem Osten kamen?
Es war bewegend: Diese riesige Lawine an Bussen, vor allem aus Ungarn, die nach der Wende in Wien angekommen ist. Auch aus Polen und Rumänien kamen Tausende. Das waren ja eigentlich Touristen, sie haben einfach die Möglichkeit genützt, um zum ersten Mal in den Westen zu fahren. Das hat der Wiener Stadtverwaltung unglaubliche Schwierigkeiten gemacht. Das hat schon am Mexikoplatz angefangen, wo diese Autobusse nach nächtlichen Fahrten gelandet sind, und jedes Mal wenn mehr als 20 Busse da waren, hat sich der Bezirksvorsteher vom zweiten Bezirk an den Bürgermeister gewandt, damals Helmut Zilk. Und der Zilk hat mich um halb neun angerufen. Wann wir endlich etwas unternehmen, das ginge so nicht weiter. Die Leute sind nach einer Nacht aus dem Bus ausgestiegen und hatten kein Geld, um ins Kaffeehaus zu gehen, mussten aber irgendwo pinkeln. Die Wiener haben dann nach etlichen Wochen endlich Klos aufgestellt. Da war die Freude, dass die endlich frei sind, bei vielen rasch vorbei.
Wirklich schwierig wurde die Situation in Österreich erst mit der Jugoslawien-Krise ab 1990.
Das war der wirkliche Prüfstein für Österreich. In der Jugoslawien-Krise ist das Problem der Kriegsflüchtlinge akut geworden – 130.000 in eineinhalb Jahren. Da sind sehr rasch die ersten Probleme aufgetaucht. Da gab es eine alte Kaserne in Kaisersteinbruch, dort wollten wir Kriegsflüchtlinge unterbringen. Der Bürgermeister hat zum Widerstand aufgerufen. In einer Liegenschaft, die damals der Republik gehörte, konnten wir keine 800 Leute unterbringen. Da hätten wir den Volksaufstand gehabt. Dank der neuen Gesetze konnten wir die Menschen auf die Bundesländer verteilen. Wir waren also relativ gut vorbereitet.
Mir ist rasch klar geworden, dass man es in Fragen der Zuwanderung nie allen recht machen kann. Ich bin damals vor allem von den Linken in der eigenen Partei attackiert worden. Das Grundproblem ist, dass man zwischen Asylwerbern und Zuwanderern unterscheiden muss. Das ist natürlich im Einzelfall schwierig, aber trotzdem erfolgt diese Unterscheidung immer viel zu spät. Während dieser langen Asylverfahren, der Aberkennung, der Rückführung tauchen die Probleme auf. Man muss die Unterscheidung rasch treffen. In den meisten Fällen läuft es danach ohnehin auf eine Zuwanderung hinaus. Dann muss der Staat entscheiden können, wer gebraucht werden kann und wer daher aufnehmen zu ist.
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