Das Libyen-Engagement ist Teil eines riskanten politischen Schachspiels, mit dem Erdoğan mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen will. Die unmittelbaren Interessen der Türkei im Konflikt zwischen der libyschen Einheitsregierung unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch auf der einen und dem Rebellengeneral Khalifa Haftar auf der anderen Seite sind wirtschaftlicher, ideologischer und regionalpolitischer Natur.
Ankara will die Investitionen türkischer Unternehmer schützen, die in Libyen aktiv sind, und gleichzeitig Kräfte unterstützen, die der islamischen Muslim-Bruderschaft nahestehen. "Unser Ziel ist es, die legitime Regierung (von Fajis al-Sarradsch) auf den Beinen zu halten", sagte Erdoğan dem Nachrichtensender CNN-Türk. Der Dauerzwist zwischen den muslimischen Ländern des Nahen Ostens spielt dabei eine große Rolle. Die Türkei stellt sich auf die Seite Katars – und gegen Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die Haftar helfen und die Muslim-Brüder als Terroristen betrachten.
Dem türkischen Präsidenten geht es aber nicht nur um Libyen. Er setzt das türkische Eingreifen dort als Hebel ein, um in einem anderen Streitfall die türkische Position zu stärken: Die Türkei sieht sich im östlichen Mittelmeer einem Bündnis aus Griechenland und Zypern mit Israel und Ägypten gegenüber. Die vier Länder wollen Gasvorräte unter dem Meeresboden ausbeuten und gemeinsam – und unter Umgehung der Türkei – nach Europa bringen. Erdoğan hat mit al-Sarradsch ein Abkommen unterzeichnet, das einen Teil des gasreichen Meeresgebietes zu türkischem Hoheitsgebiet erklärt.
Mit der Truppenentsendung nach Libyen rückt Ankara zudem einem Erzfeind von Erdoğan auf den Pelz: Abdel Fattah al-Sisi schlägt als Präsident des libyschen Nachbarn Ägypten Alarm. An diesem Mittwoch will sich die Regierung in Kairo mit Griechenland, Zypern, Frankreich und Italien beraten. Die EU droht wegen der Türkei wegen des Gasstreits im Mittelmeer mit Sanktionen. Wenn es schlecht liefe für die Türkei, könnte der Konflikt in Libyen ihre Isolation weiter verstärken.
Auch in den Beziehungen zu Russland steht einiges auf dem Spiel. Putin gehört zu den Unterstützern von Haftar und hat russische Söldner nach Libyen geschickt, die dort nun türkischen Soldaten gegenüberstehen. Erdoğan hat angekündigt, er wolle Putin von der Hilfe für Haftar abbringen, doch die Chancen dafür stehen schlecht. Weil sie keinen Konflikt mit Russland will, betont die türkische Regierung, ihre Soldaten sollten in Libyen lediglich in der zweiten Reihe als Ausbildner oder Experten für die Störung von Haftars Kampfdrohnen wirken, aber nicht an der Front kämpfen.
Nicht nur außenpolitisch riskiert Erdoğan Einiges. Einer neuen Umfrage des Instituts MetroPoll zufolge liegt die Zustimmung zum Libyen-Einsatz der Armee unter den türkischen Wählern bei 37,7 Prozent. Das bedeutet, dass nicht einmal die Anhänger von Erdoğan Regierungspartei AKP geschlossen hinter dem Vorhaben stehen. Knapp 50 Prozent der Türken lehnen den Einsatz ab.
Politischer Hasadeur
Gerüchte, wonach die türkische Regierung syrische Kämpfer nach Libyen schicken wolle und ihnen als Belohnung türkische Pässe verspräche, verstärken die Skepsis weiter. Erdoğan ist als politischer Hasardeur bekannt – mit seinem riskanten Spiel in Libyen wird er diesem Ruf einmal mehr gerecht.
Kommentare