Erdoğans Pyrrhussieg am Bosporus
Sieht so ein Verlierer aus? Ekrem Imamoglu, Oppositionspolitiker und gewählter Oberbürgermeister der türkischen Metropole Istanbul, steht lächelnd auf einer Bühne, legt sein Jackett ab und krempelt sich die Ärmel seines Hemdes hoch. Dann tritt er unter dem Jubel von mehreren tausend Anhängern ans Mikrofon. „Unser Weg ist lang, unser Enthusiasmus ist groß“, ruft er aus. „Alles wird gut.“
Kurz vor seinem Auftritt am Montagabend war Imamoglu von der türkischen Wahlkommission auf Druck der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan abgesetzt worden. Erdogan will die Niederlage seiner Partei AKP gegen Imamoglu bei den Bürgermeisterwahlen in Istanbul vom 31. März nicht hinnehmen und die Scharte bei einer Neuwahl am 23. Juni auswetzen. Dann wird auch Imamoglu wieder antreten, der neue Hoffnungsträger der türkischen Opposition. Erdogans Plan könnte nach hinten losgehen.
Am Tag nach der Entscheidung der Wahlkommission in einem Istanbuler Teehaus. „Die haben Imamoglu den Wahlsieg geklaut“, sagt Akif, der an einem niedrigen Tisch sitzt und heißen Tee aus einem Glas nippt. Am 23. Juni werde Imamoglu wieder gewinnen, ist er sich sicher.
Mit dieser Meinung steht Akif nicht allein. Selbst in der AKP wird Kritik am harten Kurs von Erdoğan laut. Ehemalige Weggefährten wie der frühere Ministerpräsident Ahmet Davutoglu werfen dem Präsidenten vor, sich zum Autokraten entwickelt zu haben.
Davutoglu, Ex-Präsident Abdullah Gül und der frühere Finanzminister Ali Babacan arbeiten dem Vernehmen nach an der Gründung einer neuen rechtskonservativen Partei, die der AKP Konkurrenz machen soll. Mehrere Dutzend Parlamentsabgeordnete der Erdoğan-Partei könnten sich der neuen Formation anschließen, spekuliert die Presse.
Während es in der AKP brodelt, tut Imamoglu alles, um ein breites Bündnis gegen die AKP zu schmieden. Er spricht nicht nur die Anhänger der eigenen Partei, der säkularistischen CHP, an. Ausdrücklich wirbt Imamoglu um Unterstützung von Nationalisten und Kurden. Künstler und Wirtschaftskapitäne ruft er auf, ihre bisher nur hinter vorgehaltener Hand geäußerte Kritik an der AKP-Regierung öffentlich zu machen. Selten war die türkische Opposition so motiviert.
Erdoğan muss am 23. Juni noch mit einer weiteren Komplikation zurechtkommen. Die türkische Wirtschaft, die ohnehin bereits in einer Krise steckt, könnte völlig abstürzen. Nach der Annullierung der Istanbuler Wahl ging die Lira an den Devisenmärkten in den Sinkflug, die Börsenkurse gaben nach. Es gibt keine Aussichten, dass sich etwa die Lage am Arbeitsmarkt in den kommenden sieben Wochen schlagartig verbessert.
Für den Präsidenten gibt es jedoch kein Zurück mehr. Die Wirtschaftsmetropole Istanbul ist seine politische Heimat und für die AKP zu wichtig - die Macht am Bosporus der Opposition zu überlassen, kommt für ihn nicht in Frage. Im Wahlkampf dürfte Erdoğan einmal mehr die nationalistische Karte spielen und die eigene Anhängerschaft mit dem Argument motivieren, dass ein Angriff dunkler Mächte auf die Türkei droht, wenn die AKP in Istanbul erneut verliert. Bisher ist der 65-jährige mit solchen Parolen stets gut gefahren. Doch diesmal könnte es sein, dass ihm die Türken nicht mehr folgen.
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