"Erdogan will Maximierung der Macht"

Schickt seinen Parlamentspräsidenten mit Tabubruch vor: Staatspräsident Erdogan
Mit dem Ruf nach Islamisierung spaltet Präsidentenpartei gezielt das Land.

Es war ein brisanter politischer Sprengsatz – und er zündete sofort. Schon zu Mittag versammelten sich Hunderte Demonstranten im Zentrum vor dem Parlament in Ankara, um gegen eine islamische Verfassung zu demonstrieren. Denn die hatte Parlamentspräsident Ismail Kahraman Dienstag früh in einer Rede gefordert. "Wir sind ein muslimisches Land. Als Konsequenz müssen wir eine religiöse Verfassung haben", erklärte der verlässliche Parteigänger von Staatspräsident Erdogan und heizte damit eine ohnehin schwelende Debatte erneut an.

Seit Jahren will Erdogan die aus Zeiten der Militärdiktatur stammende Verfassung erneuern. Nicht aber Demokratisierung hat der zunehmend autoritär agierende Präsident dabei im Blick, sondern Ausweitung seiner Macht.

Auch soll der in der Türkei einst von Staatsgründer Atatürk fest verankerte Laizismus, also die strikte Trennung von Staat und Religion, endgültig beiseite geräumt werden. Ein Ziel, das Erdogan ohnehin seit der Machtergreifung seiner AKP vor 14 Jahren verfolgt.

"Tabubrüche wie der jüngste des Parlamentspräsidenten haben System", erläutert Türkei-Experte Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP):"Erdogan lässt einfach austesten, wie weit man gehen kann."

Gesellschaft gespalten

Weiter als je zuvor, das macht die aktuelle Äußerung für Günay deutlich: "So offen den Laizismus in der Türkei zu hinterfragen, das hat die AKP seit sie regiert noch nicht gewagt." Dass Erdogan dabei seinen Parlamentspräsidenten vorschicke, sei wenig überraschend:"Die Partei hat er ohnehin in Geiselhaft."

Erdogans Politik habe die türkische Gesellschaft gänzlich gespalten. Die politische Mitte, die die AKP immer für sich zu gewinnen versuche, existiere nicht mehr:"Jetzt gibt es nur noch ein Motto für Erdogan und die AKP, die ohnehin in seiner Geiselhaft ist: Für uns oder gegen uns."

Das Ziel dieser Radikalisierung auf allen Linien sei weit weniger ideologisch, als es viele bei Erdogan vermuten würden:"Er ist durch und durch Populist und politischer Pragmatiker – und er will Maximierung seiner Macht mit allen Mitteln."

Auch die Islamisierung ist Teil dieser Strategie. Erdogan will die Türkei als führende Regional- und in Folge auch als Weltmacht etablieren. Dabei beruft er sich gezielt auf das Erbe der Osmanen und ihres den ganzen Nahen Osten umfassenden Reiches. "Er beansprucht die Führerschaft in der muslimischen Welt", erläutert der Türkei-Experte. Wie einst die Osmanen brauche Erdogan dafür eine zumindest formale Beziehung seiner Herrschaft zur Religion. Realpolitisch aber sei sein Kurs, "ein neuer Nationalismus mit imperialistischer Note."

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