Erdoğan hat seinen Meister gefunden

Erdoğan hat seinen Meister gefunden
Mit einem Wahlsieg in Istanbul ist der Oppositionelle Ekrem Imamoğlu endgültig zum großen Herausforderer des Präsidenten geworden. Doch wer ist der ehrgeizige und smarte Politiker?

„Hier ist die Hoffnung! Hier!“ Diese Worte schmetterte Ekrem Imamoğlu seinen begeisterten Anhängern entgegen – das war seine trotzige Reaktion vor fünf Jahren, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, heute 70, mit seiner AKP ihm gerade den Sieg bei der Istanbuler Bürgermeisterwahl aberkennen ließ. Doch der charismatische Oppositionspolitiker der CHP ließ nicht locker und gewann damals wenig später auch den zweiten Urnengang, und zwar noch eindeutiger.

Am vergangenen Sonntag wiederholte er dieses Kunststück. Dabei hatte Erdoğan die Rückeroberung der Bosporus-Metropole, in der er aufgewachsen und einst selbst Bürgermeister gewesen war, zur obersten Priorität erhoben. Doch er musste eine herbe Schlappe hinnehmen. Und das nicht nur in Istanbul, im ganzen Land rutschte seine AKP bei den Kommunalwahlen erstmals hinter die CHP (siehe unten). Diese witterte nun Morgenluft mit ihrem Strahlemann Ekrem Imamoğlu.

Krawatte weg, los geht’s

Der 52-Jährige gibt sich modern, redegewandt und – tiefenentspannt. Wenn er auf der Bühne bedächtig seine Krawatte abnimmt, wissen seine Fans: Jetzt legt er gleich los. Aber nicht so, wie man es in der Türkei von der AKP, aber auch anderen Parteien gewohnt ist, nämlich von oben herab oder gar beleidigend. Nein, der „Neue“ präsentiert sich inklusiv, alle einbindend. Das kommt an bei der Bevölkerung, die die jahrzehntelang geübte Praxis der Spaltung und Polarisierung offenbar satt hat.

Was Imamoğlu (der Name bedeutet „Sohn des Imams“) aber nicht daran hindert, sich mit Erdoğan anzulegen. „Diese Stadt (Istanbul)“, sagte er einmal, „gehört den 16 Millionen Einwohnern“, mehr noch „sie gehört den 86 Millionen Türkinnen und Türken – nicht dir.“ Gemeint war der Staatschef, der nach der Wahlschlappe vom Sonntag selbst von einem „Wendepunkt“ sprach.

Und dem nun endgültig ein mächtiger und ebenbürtiger Gegner für die Präsidentenwahl 2028 erwachsen sein dürfte (so Erdoğan nochmals antreten will). Denn wie die prägende Gestalt der türkischen Politik des vergangenen Vierteljahrhunderts beherrscht auch Imamoğlu die Kunst, das Publikum in seinen Bann zu ziehen.

Er spricht direkt mit ihm, erzählt Geschichten und ist spontan. Als den dreifachen Familienvater ein Mädchen einmal bittet, auf die Bühne kommen zu dürfen, gewährt er dies sofort – und gleich auch einem zweiten. Umgeben von den beiden formuliert der „Menschenfänger“: „Trau keinem Politiker, den die Kinder nicht mögen.“ Das sitzt, der Applaus ist tosend.

Erdoğan hat seinen Meister gefunden

Präsident Erdogan räumte Fehler ein und sprach von einem Wendepunkt

Er könnte den studierten Betriebswirt, der einst ein auf Köfte spezialisiertes Restaurant führte und das Bauunternehmen seiner Familie leitete, vom Rathaus in Istanbul bis in den Präsidentenpalast in Ankara tragen. Jetzt schon will er jedenfalls international wahrgenommnen werden. Mit seinem Team betreibt der smarte Politiker einen englischsprachigen Account auf X (vormals Twitter) und auch auf Instagram. Dort teilt Imamoğlu immer wieder Fotos von Besuchen ausländischer Vertreter – so, als ob er jetzt schon die gesamte Türkei verträte.

Drohendes Politikverbot

Dabei ist keineswegs gewiss, ob er seine Polit-Karriere zunächst überhaupt fortführen kann. Denn dem Shootingstar droht ein Politikverbot. Der Vorwurf: Beleidigung der Wahlkommission 2019. „Diejenigen, die das Ergebnis annulliert haben, sind Dummköpfe“, sagte er damals – und wurde deswegen Ende 2022 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Jetzt ist ein Berufungsgericht am Zug.

Auch Erdoğan war einst (1998) verurteilt und mit einem politischen Betätigungsverbot belegt worden – es ging um einen vermeintlichen Verstoß gegen die laizistische Ordnung der Türkei. Vier Jahre später fuhr die von ihm gegründete AKP einen fulminanten Wahlsieg ein – und galt danach der Mehrheit der Türken über viele Jahre hinweg als der große Hoffnungsträger. Am vergangenen Sonntag wandte sie sich aber einem neuen zu.

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