Erdoğan: Der Sultan in Sarajevo

Erdoğan: Der Sultan in Sarajevo
Hardcore-Fans hatten ihre Plätze schon Stunden vorher eingenommen und skandierten „Recep Tayyip Erdoğan, unser Führer“.

Europa sei der Türkei feindlich gesinnt. Doch wer auch immer sie spalten will, sei zum Scheitern verdammt. „Ich, so Präsident Recep Tayyip Erdoğan, „wende mich an meine Brüder in Europa. Steht auf! Eine Flagge, ein Staat, eine Heimat. Der rappelvolle Saal raste. Der Beifall schwoll zum Orkan, als Bakir Izetbegović, der zurzeit amtierende Vorsitzende des dreiköpfigen Staatspräsidiums – der kollektiven Führung von Bosnien/Herzegowina ans Mikrofon trat: „Gott selbst hat Euch diesen Mann geschickt“, rief er den etwa 15.000 Auslandstürken zu, die sich Sonntagabend in Sarajevo versammelt hatten, um ihrem Präsidenten für die vorgezogenen Wahlen im Juni den Rücken zu stärken.

Neben Gastarbeitern aus Westeuropa auch Vertreter der türkischen Minderheiten auf dem Balkan: aus Bulgarien, Mazedonien und dem Kosovo. Die 10.000 Türken, die derzeit in Bosnien arbeiten, waren ebenfalls prominent präsent. Die größte Abordnung kam mit etwa 5.000 Teilnehmern aus Deutschland, aus Österreich, nach Angaben der Polizei des Kantons Sarajevo waren es rund 1.300. Vor allem junge Männer entstiegen am Morgen den Bussen in Volksfest-Stimmung. Sie schwenkten große türkische Fahnen, viele trugen rote T-Shirts mit Stern und Halbmond, einige Fan-Schals mit der türkischen und der bosnischen Flagge.

„Es geht nicht um unsere Stimmen. Die hat Erdoğan“, sagt Irfan, ein 32-jähriger IT-Experte. Nachnamen und die Stadt, aus der er kommt, will er nicht gedruckt sehen. „Dass wir uns hier mit unseren Brüdern treffen, ist vor allem eine Ohrfeige für Europa“. Europa habe der Türkei die EU-Mitgliedschaft „wie dem Esel die Möhre hingehalten und immer wieder weggezogen.“ Das drohe jetzt auch Bosnien. Europa dürfe sich daher nicht wundern, wenn die Türkei sich nach anderen Partnern umtut. Nach Russland etwa. Das sei der Hauptgrund für die Verbote von Erdoğans Wahlkampfauftritten in Österreich oder in Deutschland.

ErdoğansLobbyist

Hardcore-Fans hatten ihre Plätze in der für die Olympischen Winterspiele 1984 erbauten Zetra-Halle schon Stunden vorher eingenommen, skandierten „Recep Tayyip Erdoğan, unser Führer“ oder „ Sultan Erdoğan“ und sangen ihm gewidmete Lieder.

Nach offizieller Darstellung war Erdoğan zum Arbeitsbesuch in Bosnien/Herzegowina eingeschwebt und nur Gast bei der 6. Ordentlichen Generalversammlung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD am Abend). Sie definiert sich als Zusammenschluss zur Förderung des politischen, sozialen und kulturellen Engagements der Türken in der Europäischen Union, gilt jedoch als Lobbyist von Erdoğan und dessen Gerechtigkeits- und Fortschrittspartei AKP.

Erdoğans-Wahlkampf-Showdown gefährde die Souveränität Bosniens, schädige dessen internationales Ansehen und vertiefe den Konflikt der Völker - muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben und katholische Kroaten - warnt Oppositionspolitiker Sadik Ahmetović. Enver Kazaz, Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Sarajevo, sieht das mit Blick auf die Bosnien-Wahlen im Oktober ähnlich. Erdoğans eigentliche Botschaft sei Unterstützung für Bosniaken-Führer Izetbegović.

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