Erdbeben: Kaum mehr Hoffnung auf Überlebende

Erdbeben: Kaum mehr Hoffnung auf Überlebende
Die Zahl der Toten lag bis Dienstag Früh bei mehr als 37.500, mehr als 80.000 Menschen wurden verletzt. Tausende werden weiter vermisst.

Mehr als eine Woche nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Hoffnung gering, weitere Überlebende zu finden.

"Die Rettungsphase, bei der Menschen lebend aus den Trümmern gezogen und bei der unter Trümmern Verstorbene gefunden werden, neigt sich dem Ende", sagte UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths während eines Besuchs im syrischen Aleppo am Montag.

Jetzt beginne die humanitäre Phase, um Betroffene mit Unterkünften, "psychosozial" sowie mit Lebensmitteln, Schulunterricht und "einem Sinn für die Zukunft" zu versorgen. Zur Verbesserung der humanitären Hilfe in schwer zugänglichen Erdbebengebieten Syriens will Präsident Bashar al-Assad Diplomaten zufolge zwei weitere Grenzübergänge in die Türkei öffnen.

Bab Al-Salam und Al Ra'ee sollten für drei Monate geöffnet werden, berichtete Griffiths dem UNO-Sicherheitsrat am Montag mehreren Diplomaten zufolge. Bisher können die Vereinten Nationen nur über einen Grenzübergang (Bab al-Hawa) Hilfe in Gebiete liefern, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Der Nordwesten Syriens wird von verschiedenen Rebellengruppen kontrolliert.

UNO-Generalsekretär António Guterres begrüßte die Entscheidung Assads: "Die Öffnung dieser Grenzübergänge - zusammen mit der Erleichterung des humanitären Zugangs, der Beschleunigung der Visagenehmigungen und der Erleichterung des Reisens zwischen den Drehkreuzen - wird es ermöglichen, dass mehr Hilfe schneller eintrifft."

37.500 Tote

Die Zahl der bestätigten Toten lag bis Dienstag Früh bei mehr als 37.500, mehr als 80.000 Menschen wurden verletzt. Tausende werden weiter vermisst. Helfer bargen noch am Montag einzelne lebende Verschüttete.

Überlebende, die jetzt noch gefunden werden, müssen Zugang zu Flüssigkeit gehabt haben - etwa zu Regenwasser, Schnee oder anderen Quellen. Normalerweise kann ein Mensch etwa 72 Stunden, also drei Tage, ohne Wasser auskommen, danach wird es lebensbedrohlich. Dieser Zeitraum ist bereits weit überschritten.

Unzählige Gebäude und Teile der Infrastruktur wurden zerstört. Ein Bericht des Türkischen Unternehmens- und Geschäftsverbands Türkonfed schätzt den Schaden nach den Beben auf etwa 84 Milliarden Dollar (rund 79 Milliarden Euro).

Die schweren Beben haben dabei nach Daten von Satelliten womöglich auch langfristige geologische Folgen. "In der Küstenstadt Iskenderun scheint es erhebliche Absenkungen gegeben zu haben, die zu Überschwemmungen geführt haben, während das Beben viele Hügel im ganzen Land einem ernsthaften Erdrutschrisiko ausgesetzt hat", hieß es von der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Der Sender NTV hatte in der vergangenen Woche berichtet, dass Gebäude in der türkischen Küstenstadt wegen überfluteter Straßen evakuiert werden mussten.

Syrien: Hilfe unzureichend

Auch mehr als eine Woche nach dem Erdbeben in der syrisch-türkischen Grenzregion ist die Situation im Bürgerkriegsland Syrien weiterhin kritisch. Andreas Knapp, Caritas-Generalsekretär für Auslandshilfe, reiste bereits am Freitag ins Krisengebiet nach Aleppo.

"Die Hilfe in Syrien ist angelaufen, aber noch unzureichend", berichtete er im Gespräch mit der APA. Es brauche nun "internationale Solidarität". "Wir können Syrien nicht alleine lassen", appellierte Knapp.

 

"Vor allem die Sammelunterkünfte sind heillos überfüllt. Die Angst der Menschen ist weiter groß", sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Nachbar in Not und Generalsekretär für Internationale Programme der Caritas Österreich. In der Nacht ist es bitterkalt in Aleppo. Die Notunterkünfte sind überfüllt, viele Menschen harren auf der Straße aus. Es brauche dringend mehr Quartiere für die obdachlos gewordene Bevölkerung, sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Nachbar in Not.

Zu viel Essen, keine Sanitäranlagen

Derzeit gebe es bei den Hilfsmaßnahmen Defizite in der Koordination. "So gibt es in Notunterkünften beispielsweise fast zu viel Essen, dafür in den öffentlichen Gebäuden und Schulen aber nur die Schultoiletten, hier fehlen Sanitäranlagen", berichtete Knapp. So konnten sich die Überlebenden seit Tagen auch nicht waschen. "Die Menschen erreichen das Ende ihrer Belastbarkeit", sagte der Caritas-Generalsekretär. Die Hilfsmaßnahmen seien nun in einer kritischen Phase, "es muss besser koordinierte Hilfe kommen".

 Rund 200.000 Menschen wurden in Aleppo durch das Beben vor acht Tagen obdachlos. Viele Menschen warten weiter darauf, in ihre zum Teil zerstörten Häuser zurückkehren zu dürfen. Die Behörden untersuchen eigenen Angaben zufolge jeden Tag Dutzende Gebäude auf Einsturzgefahr. Der Plan sei, dass rund 100 Teams, bestehend aus einem Regierungsmitarbeiter und einem Ingenieur, die Häuser statisch überprüfen, berichtete Knapp. "Es gibt eine Art Ampelsystem. Rot heißt zu gefährlich, diese Häuser müssen abgerissen werden", sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Nachbar in Not.

Zahlreiche Gebäude, die das Erdbeben noch nicht zum Einsturz gebracht hat, lässt die Stadt wegen starker Zerstörungen nun abtragen. Werden die Gebäude mit der Farbe gelb - für gefährlich - bewertet, müssen sie statisch genauer untersucht werden. Bei grün dürfen die Menschen wieder in die Gebäude. Die Bevölkerung wartet nun darauf, dass ihr Zuhause inspiziert wird. Ein Ende dieses Prozesses würde "ein bisschen Entspannung schaffen und den Menschen Klarheit geben", sagte Knapp.
 

Jedes dritte Gebäude zerstört

Laut UNO wurde in Aleppo jedes dritte Gebäude durch die Erdbeben zerstört. Viele Gebäude in der Stadt sind schon vom seit zwölf Jahren andauernden Krieg beschädigt gewesen. "Insbesondere im Ostteil von Aleppo, das auch stark bombardiert worden war, sind viele Gebäude zerstört", sagte Knapp. Die Bevölkerung habe bereits multiple Krisen durchgemacht. Jene Menschen, die bereits vor dem schweren Erdbeben in halbzerstörten Gegenden gewohnt haben "trifft es jetzt wieder besonders hart, das tut weh", schilderte der Caritas-Generalsekretär.

Der Tiroler kennt das Bürgerkriegsland, er hat 2017 bis 2018 bereits die UNICEF-Wasserprogramme in Syrien geleitet. Dadurch war er quasi vorgewarnt. Das Leid und die Probleme der Bevölkerung das erste Mal zu sehen, wäre "sehr harter Tobak gewesen".

Aleppo steht unter Kontrolle der Regierungstruppen von Machthaber Bashar al-Assad. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO beträgt die Opferzahl durch das schwere Erdbeben in Syrien mindestens 5.900.

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat schätzt, dass in ganz Syrien bis zu 5,3 Millionen Menschen durch das Beben obdachlos geworden sind.

Am frühen Morgen des 6. Februar hatte das erste Beben der Stärke 7,7 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert, Stunden später folgte ein zweites Beben der Stärke 7,6. Seitdem gab es mehr als 2.400 Nachbeben.

In der Türkei sind zehn Provinzen betroffen - dort gilt inzwischen ein dreimonatiger Ausnahmezustand. Mehr als Hunderttausend Freiwillige reisten in die Erdbebenregion, um zu helfen. Einige von ihnen kehrten mittlerweile in ihre Heimat zurück.

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