Entlang des Eisernen Vorhangs: 10.000 Kilometer mit dem Faltrad
Mehr als die Hälfte: Bei unserem Zusammentreffen im Grenzort Gmünd im Waldviertel hat er knapp 7.000 seiner 10.000 Kilometer abgespult. Gestartet war der Wiener Fotograf Mario Lang ganz oben, im norwegischen Grense Jakobselv an der Barentssee. Ankommen sollte er ganz unten, im bulgarischen Tsarevo am Schwarzen Meer.
Dazwischen liegen insgesamt 117 Reisetage entlang der heute noch imposanten Grenze zwischen den ehemaligen geopolitischen Blöcken, zwischen West und Ost. Der Ehrlichkeit halber muss man hinzufügen: Mario Lang hat seine Grenzerfahrungen nicht in einem durch gesammelt, sondern in vier zeitlich getrennten Etappen.
So viel Freiheit
Von Gmünd setzen wir in gefühlten 60 Sekunden nach České Velenice über. Und eine der wichtigsten Erfahrungen des Grenzen-Radlers wird sofort erlebbar: Was für eine Freiheit, die sich vor exakt 30 Jahren mit dem Fall des Eisernen Vorhangs aufgetan hat und die heute als ganz selbstverständlich gilt. Keine zeitraubenden Grenzkontrollen mehr, keine grimmigen Uniformierten, kein Reisepass. Nur die tschechischen Kronen sind geblieben. Aber egal, auf der anderen Seite der Grenze nimmt man gerne auch Euro.
Mehrfach wechselt der Iron-Curtain-Radweg durch südböhmische bzw. niederösterreichische Mischwälder. Auffallend sofort: Die tschechischen Radwege sind besser ausgeschildert.
So viel Landregen
Mario Lang hat sich an den Iron-Curtain-Radweg-Karten des österreichischen Esterbauer-Verlags orientiert. Diese wurden in Kooperation mit dem Berliner Europa-Abgeordneten Michael Cramer erstellt.
Fast ein halbes Jahrhundert lang war Europa zwischen Ost und West durch den Eisernen Vorhang getrennt. Die Grenze lief von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer. Der Iron Curtain Trail (EuroVelo 13) lädt Radfahrer ein, die Geschichte des Kontinents selbst zu erfahren. Er ist 10.400 km lang, führt durch 20 Länder, zu 14 UNESCO-Stätten und drei europäischen Meeren. Informationen unter eurovelo.com
Lang ist zunächst die Geraden an der finnisch-russischen Grenze hinuntergeradelt. Seine Erfahrung: „Die Finnen, die ich unterwegs getroffen habe, waren sehr gesprächig, aber nur in betrunkenem Zustand.“ Nach kurzen Abstechern nach Helsinki und St. Petersburg fuhr er weiter – immer in Sichtweite der Ostsee – durch Estland, Lettland, Litauen, Kaliningrad, Polen und Deutschland, wo er neben romantischen Momenten auch Auswüchse des Massentourismus und des Rechtspopulismus mitansehen musste.
Ständiger Landregen begleitete den Fotografen auf seinem weiteren Weg durch das grüne Band an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Dafür konnte er die weitgehend unberührte Natur in vollen Zügen genießen. Und am Abend saß er beim Bier mit ehemaligen DDR-Republiksflüchtlingen zusammen, die ihm ihre ganz persönliche Fluchtgeschichte anvertrauten. Auch heute Abend, auf dem Campingplatz in Reingers, baut er seine Behausung, die er bis zum Schwarzen Meer auf seinem Gepäckträger mit sich führt, im Regen auf. „Doch irgendwie gewöhnt man sich daran, dass durchnässte Schuhe und Socken wieder trocknen.“
Der KURIER-Redakteur muss das nicht. Er darf nach 24 Stunden im Dauerregen in den Zug steigen und am Abend wieder wohl genährt in seinem eigenen Bett einschlafen.
Autor Kramar zu Mauerfall und Wiedervereinigung
Der Iron-Curtain-Radweg hält indes noch einige Abenteuer parat. An der ungarisch-serbischen Grenze muss sich der 51-jährige Wiener Fotograf zunächst einmal daran gewöhnen: an die neuen Zäune in der Mitte Europas. Er hält sie mit seiner Kamera fest, und er stellt sich dabei die Frage: „Wissen die, die uns erklären, dass sie die Balkanroute geschlossen haben, eigentlich, wie sehr sie die eben erst gewonnene Freiheit Europas aufs Spiel setzen?“
Auffallend auch: Je weiter er in den Südosten gelangt, umso gastfreundlicher werden die Menschen und umso weniger Angst zeigen sie vor dem Fremden: Öfters schämt er sich für das eine oder andere Vorurteil rund um den Balkan.
Der fordert ihn und sein Faltrad nur topografisch heraus. Doch der Vorteil von so einem kleinen Rad ist auch, dass es zusammengeklappt in den kleinsten Kofferraum passt und somit jeder Passstraße gewachsen ist.
In seinem Blog notiert er eines Abends über seine Erlebnisse als Autostopper an der bulgarisch-mazedonischen Grenze: „Eine Familie lädt mich auf ihren gemeinsamen Ausflug ein, mit der Option auf eine Weiterfahrt nach Strumica. So komme ich auch noch in den Genuss des Berevo Sees.“
So viele Grenzen
Anstiege auf 2000 Meter Seehöhe sowie der unbarmherzige Gegenwind entlang der bulgarisch-türkischen Staatsgrenze schmecken dem Faltradfahrer weniger. Doch viele nette Begegnungen in abgelegenen Dörfern und kleinen Provinzstädten können ihn zwischendurch immer wieder aufmuntern.
Was den Wiener Fotografen auf seiner Reise begeistert: „Egal ob Christen oder Moslems, ehemalige Ostler oder Westler, so viele Menschen haben mir ihre Gastfreundschaft angeboten.“
Im Ziel nimmt Mario Lang kein Bad in der Menge, dafür eines im Schwarzen Meer.
Da war noch nicht Schluss mit der Grenzerfahrung: Inzwischen ist er auch den Berliner Mauerradweg abgefahren, und die Grenze zwischen Irland und Nordirland.
Seine Impressionen kann man auf seinem Blog ansehen: www.vorhangauf.international.
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