Das "Ende von Bergkarabach": Warum die Region trotzdem nicht zur Ruhe kommen dürfte

TOPSHOT-ARMENIA-AZERBAIJAN-CONFLICT
Fast 70.000 Armenier sind bisher geflüchtet. Beobachter warnen vor einem "gewalttätigen Präzedenzfall".

Die Bilder zeigen Menschen, die ihr Hab und Gut schnellstmöglich in den Kofferraum gestopft haben. Ein Mann hat einen Hühnerkäfig auf sein Autodach geschnallt. Eine Familie sitzt zusammengequetscht zu fünft auf dem Rücksitz eines Kleinlastwagens.

Die Menschen, die seit der Militäroffensive Aserbaidschans gegen Bergkarabach am 19. September über die armenisch-aserbaidschanische Grenze kommen, wissen nicht, wie ihre Zukunft aussieht. Mehr als die Hälfte der 120.000 in Bergkarabach lebenden Armenier – laut armenischer Regierung über 68.300 – sind bisher aus der Krisenregion geflohen. Luftaufnahmen zeigen kilometerlange Autoschlangen auf dem monatelang blockierten Latschin-Korridor in die 20.000-Einwohner-Grenzstadt Goris, in der sich auch Jürgen Högl, Einsatzleiter des Internationalen Roten Kreuzes in Armenien, befindet.

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Nagorno-Karabakh 'state' will cease to exist from January 1st

Ein armenischer Freiwilliger hilft ethnischen Armeniern, die aus der Region Bergkarabach fliehen, mit Benzin. 

"Die Kolleginnen und Kollegen in den Auffangzentren haben alle Hände voll zu tun. Die Kinder sind fertig, die alten Menschen brauchen medizinische Hilfe", schildert Högl in der ZiB2. Nicht nur für Goris, auch für Armenien selbst ist der Exodus aus Bergkarabach nur schwer zu bewältigen: In dem Land leben 2,8 Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. "Es wird für Armenien in den nächsten Jahren eine große Herausforderung sein, diese Menschen zu integrieren", so der Einsatzleiter.

Die internationale Hilfe ist groß. Allein das Internationale Rote Kreuz brachte in den vergangenen Tagen 70 Tonnen Nahrungsmitteln sowie 900 Tonnen medizinische Hilfsgüter in die Region.

Refugees from Nagorno-Karabakh arrive in Kornidzor

Flüchtlinge haben auf ihrem Autodach einen Käfig mit Hühnern festgeschnallt.

Bergkarabach wird aufgelöst

Am Donnerstag verkündeten Behörden in Bergkarabach die Auflösung der Region mit 1. Jänner 2024. Der nicht anerkannte Präsident der selbst ernannten Republik, Samvel Shahramanyan, soll ein entsprechendes Dekret unterzeichnet haben. Bergkarabach werde damit "aufhören zu existieren", so die armenische Regierung, die Aserbaidschan "ethnische Säuberung" vorwirft. Russland, eigentlich Schutzmacht Armeniens, wies diese Behauptung zurück: Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Armenier, die aus Berg-Karabach fliehen, hätten nichts zu befürchten.

Mittlerweile soll der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew die eroberte Region besucht haben. Bilder zeigen ihn in der Stadt Jabrayil. Es soll der erste Besuch seit der aserbaidschanischen Offensive sein.

Internationale Beobachter sprechen vom "Ende von Bergkarabach". Einen "gewalttätigen Präzedenzfall", der sich als Inspiration für andere erweisen könnte, nennt es Artin Dersimonian vom US-Think Tank Quincy Institute for Responsible Statecraft gegenüber dem nahöstlichen Nachrichtensender Al Jazeera.

Wirklich "zu Ende" ist der uralte Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan aber nicht: Anfang der Woche trafen sich Alijew und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan – die Türkei ist die Schutzmacht Aserbaidschans – in der aserbaidschanischen Enklave Nachitschewan, die von Armenien und dem Iran umschlossen wird. Thema des Treffens: ein Korridor durch Südarmenien, der Nachitschewan mit dem aserbaidschanischen Kernland und so die Türkei mit Baku verbinden soll.

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