Die Estin ist es derzeit, die den strengen Ton um das Agieren gegen Russland vorgibt. „Komme nicht her, ich schieße. Denke gar nicht daran, herzukommen“: Mit diesen Worten und dieser Einstellung, so Kallas ein Tag zuvor in London, solle der Westen mit Russland umgehen. Die studierte Juristin fordert immer wieder, dass die Ukraine den Krieg gewinnen, der Westen sie dabei maximal unterstützen müsse. Wladimir Putin solle als Kriegsverbrecher verurteilt werden, ein Dialog mit ihm sei sinnlos.
Dies vertrat sie auch während des vergangenen EU-Gipfels vehement. Eine Spitze gegen den vielfachen Kremltelefonierer und französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron.
„Die eiserne Lady des Baltikums“ wird sie darum gerne genannt. Und wie einst Margret Thatcher sorgt sie sich derzeit darum, dass der Westen nicht zu weich gegenüber dem Kreml werde.
Gründe für diese Linie liegen in ihrer Familiengeschichte – die Mutter musste nach dem Krieg als sechs Monate altes Kind von „Klassenfeinden“ die Deportation nach Sibirien überstehen. In der Familie liegt auch die Neigung zur Politik. Seit 2018 leitet sie die liberale „Estnische Reformpartei“. Diese wurde 1994 von ihrem Vater Siim Kallas gegründet, der 2002 bis 2003 als Regierungschef wirkte.
Im Jänner 2021 löste die dreifache Mutter Jüri Ratas als Premierminister (wegen Korruptionsvorwürfe gegen dessen Partei „Zentrum“) ab. Nun ist ihr Amt selbst in Gefahr. In der vergangenen Woche kündigte sie die Koalition mit der eher linken Partei Zentrum auf. Dabei ging es um ein Sozialpaket für Familien, dessen vom Zentrum geforderte Höhe Kallas nicht mittragen wollte. Schließlich hatte die Koalition im März beschlossen, den Verteidigungshaushalt auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen. Von den NATO-Mitgliedern wird zwei Prozent-Beitrag am BIP verlangt.
Ob die Wirtschaftsliberale ihre strenge Regentschaft weiterführen kann, ist derzeit offen. Ihre Formation wie das Zentrum verhandeln nun mit anderen Parteien über eine Regierungskoalition. Dabei war die Zusammenarbeit mit dem Zentrum eine Notlösung für Kallas gewesen.
Denn diese Partei vertritt die russische Minderheit – 24 Prozent der Esten sehen laut nach Umfragen Russland nicht als Bedrohung, 22 Prozent haben eine positive Einstellung zu Wladimir Putin. Jens Mattern
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