Einlenken oder Eskalation? Lukaschenkos doppeltes Spiel
„Ja, vielleicht bin ich ein wenig zu lange geblieben“, räumte Alexander Lukaschenko am Dienstag überraschend ein. Das war’s dann aber auch schon. Von Dialog mit der Opposition, die seit Wochen mit Massenprotesten gegen seine augenscheinlich gefälschte Wiederwahl im August kämpft, will der Präsident Weißrusslands weiter nichts wissen. Denn was die Opposition anbiete (friedlicher Machtwechsel durch Dialog, Anm.), sei eine „Katastrophe“.
Vorgezogene Präsidentschaftswahlen seien zwar nicht ausgeschlossen, sagte der 66-jährige Machthaber gegenüber Medien aus dem befreundeten Russland, vorher wolle er aber eine nicht näher erläuterte „Verfassungsreform“. Ein Rücktritt komme nicht infrage. Immerhin sei nur er derzeit in der Lage, Weißrussland zu schützen, so Lukaschenko, der sich von den Demonstrationen gegen ihn „menschlich beleidigt“ fühlt.
Wo ist Maria Kolesnikowa?
Wie dieser „Schutz“ des Landes aussieht, erfährt die Bevölkerung seit Wochen am eigenen Leib. Die vermutliche Siegerin bei den Präsidentenwahlen, Swetlana Tichanowskaja, berichtete dem Europarat am Dienstag aus ihrem litauischen Exil über die brutale Niederschlagung der Proteste gegen Lukaschenko.
„Hunderte Menschen werden eingesperrt, vergewaltigt und geschlagen“, sagte sie. Beobachter in Minsk erzählen von Vermummten, die am helllichten Tag Jagd auf Demonstranten machen; Oppositionelle sind nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis mit blauen Flecken übersäht.
Pass zerrissen
Zuletzt sorgte das Verschwinden von Tichanowskajas Mitstreiterin Maria Kolesnikowa für Aufsehen. Die letzte der drei Oppositionsführerinnen, die noch in Weißrussland war, wurde laut Augenzeugen am Montag in Minsk von Vermummten in Zivil in ein Auto gezerrt – eine Vorgangsweise, die an die frühen Jahre Lukaschenkos erinnert.
Bereits Ende der 1990er verschwanden reihenweise Regimekritiker auf diese Art.
Was mit Kolesnikowa geschah, war am Dienstag weiter unklar. Berichte, sie sei in der Ukraine, wurden von Kiew dementiert. Später hieß es von staatlichen Stellen in Minsk, Kolesnikowa habe in Begleitung zweier Mitstreiter das Land Richtung Ukraine verlassen wollen, sei aber von weißrussischen Grenzschützern verhaftet worden.
Der Vize-Innenminister der Ukraine, Anton Geraschtschenko, schrieb dagegen bei Facebook, dass die Oppositionsführerin in die Ukraine ausgewiesen werden sollte, was „die mutige Frau durch ihre Handlungen unmöglich machte“.
Massenproteste in Weißrussland
"Nicht freiwillig"
Die Agentur Interfax Ukraine meldete unter Berufung auf die Regierung in Kiew, Kolesnikowa habe ihren Pass zerrissen, um die Ausweisung zu verhindern. Der Koordinierungsrat der weißrussischen Demokratiebewegung, dem Kolesnikowa angehört, teilte mit, dass die 38-Jährige das Land sicher nicht freiwillig verlassen wollte. Das bestätigte auch der Augenzeugen Anton Rodnenkow, ein weißrussischer Aktivist: Seine Mitstreiterin sollte gewaltsam in die Ukraine abgeschoben werden. Kolesnikowa sei „auf den Rücksitz eines Autos gezwungen“ worden, berichtete Rodnenkow am Dienstag in Kiew. Er war angeblich bei dem Vorfall anwesend. Kolesnikowa habe sich gewehrt und unter anderem ihrem Pass zerrissen, am Ende sei sie festgenommen worden.
Trotz aller Repressionen deutet nichts darauf hin, dass sich die Opposition einschüchtern lässt. „Geht Lukaschenko davon aus, dass, wenn er alle Mitglieder des Koordinierungsrates einsperren lässt, im Volk wieder die alte Liebe zu ihm entfacht wird?“, fragte etwa der Ehemann einer inhaftierten Oppositionellen in der Zeit.
Manöver mit Russland
Lukaschenko teilte am Dienstag mit, er wolle die Bindung an Russland weiter stärken – ist diese doch seine politische Lebensversicherung. Kremlchef Wladimir Putin hat seinem Verbündeten militärische Hilfe zugesichert, sollte er in Schwierigkeiten geraten.
Russischen Agenturberichten zufolge wird Lukaschenko in wenigen Tagen in Moskau erwartet.
Am Donnerstag startet zudem in Weißrussland ein gemeinsames, fünftägiges Manöver, an dem sich auch Serbien beteiligt und das gegenüber EU und NATO Entschlossenheit demonstrieren soll.
Am 14. September Tage beginnt dann im benachbarten Litauen, das sich immer wieder klar auf die Seite der weißrussischen Opposition stellt, ein elftägiges Manöver mit Soldaten u. a. aus den USA, Frankreich, Italien und Deutschland.
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