"Eine Schande, Menschen nach Libyen zu schicken"
Vor ein paar Wochen noch stand er knöcheltief in Fäkalien, musste oft hilflos mitansehen, wie Frauen vergewaltigt und Männer sinnlos verprügelt wurden. Vor ein paar Wochen noch war der Arzt Tankred Stöbe für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in Flüchtlingslagern in Libyen – in jenen Lagern also, in denen viele EU-Politiker, darunter Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, Flüchtlinge unterbringen wollen.
"Nicht machbare Pläne"
Auch von den aktuellen Plänen, mit Hilfsgeldern, diese Lager rasch aufzurüsten, um die Menschen dann dort unterzubringen, hält der Arzt gar nichts: "In Libyen herrscht völliges Chaos, ich bin dort keiner einzigen vertrauenswürdigen politischen Gruppe begegnet." Es wäre unmöglich, auch nur grundlegende Sicherheit in den Lagern zu gewährleisten.
Europas Politiker würden ständig nur neue Kopien eines Planes herausposaunen, "der grundsätzlich nicht machbar und nicht verantwortbar ist". Nur um das Problem loszuwerden, würde man die Augen vor der Realität verschließen: "Viele der Flüchtlinge gehen allein deshalb aufs Meer, weil sie der Hölle in Libyen endlich entrinnen wollen." Ebenso illusorisch ist für Stöbe der Plan, mit der libyschen Küstenwache zusammenzuarbeiten, um die Boote der Schlepper zu stoppen. Der Arzt hat in seinen Einsätzen selbst die Bekanntschaft dieser Küstenwache gemacht, sein erschütterndes Resümee: "Das ist keine verlässliche Organisation. Dort herrschen Korruption und völlige Überforderung. Viele von denen arbeiten direkt mit den Schleppern zusammen."
Denn sie sind auch die einzigen, die die Flüchtlinge wieder zurücknehmen könnten – alle anderen nordafrikanischen Länder würden sich weigern, erklärt Gerald Knaus. Doch zuvor braucht es ein faires und schnelles Asylverfahren in Europa, "alles andere ist ein Rechtsverstoß", sagt der Experte.
Hoffnung gibt es kaum. Die meisten Flüchtlinge aus Westafrika würden in Europa kein Asyl bekommen, das hält sie aber nicht von ihrem Vorhaben ab. Knaus glaubt zu wissen, warum: "Im Vorjahr kamen 39.000 aus Menschen aus Nigeria nach Italien, 165 wurden zurückgeschickt, das hat keine Wirkung."
Konkrete Abkommen mit Herkunftsländer
Wie bringt man die Heimatländer nun zur Zusammenarbeit? Kürzungen der Entwicklungshilfe- oder EU-Gelder bringen nichts, die Überweisungen der Diaspora sind viel höher, erklärt Knaus. Vielmehr braucht es konkrete Abkommen: "Die Länder bekommen einen Stichtag, der sie verpflichtet ab Tag X ihre Bürger, die kein Asyl in der EU erhalten, zurückzunehmen. Im Gegenzug bieten ihnen die EU-Länder reguläre Migration und eine jährliche Quote für dieses Land an."
Das würde aus seiner Sicht viele Probleme lösen. "Die Schlepper verlieren ihr Geschäft, es würden viel weniger Menschen sterben und es gäbe keine Unterklasse von abgelehnten Asylwerbern, die in Europa ausgebeutet werden."
Für wie realistisch hält er eine Umsetzung dieser oder ähnlicher Pläne? "Je schneller wir konkret werden – und etwa der Außenminister erklärt, wie und in welche Länder die Menschen zurückgebracht werden – ohne Rechte zu verletzen –, desto schneller haben wir eine Lösung."
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