Jetzt, nachdem bereits das halbe deutsche Kabinett die Ukraine bereist hat, soll auch der Kanzler so weit sein. Zwar bestätigt das Kanzleramt den Bericht der – in puncto Ukraine immer gut informierten – Bildzeitung nicht, ein Dementi gibt es aber auch nicht. Vor dem G-7-Gipfel, der am 26. Juni in Bayern beginnt, soll er mit Frankreichs Präsident Macron und Italiens Regierungschef Draghi nach Kiew aufbrechen, heißt es – möglicherweise sogar schon am Donnerstag.
Woher der Sinneswandel kommt, darüber wird freilich heftig spekuliert. Möglich scheint, dass Scholz abgewartet hat, um – Stichwort Fototermin – nicht mit leeren Händen zu kommen. Bisher zeigt man sich in Kiew nämlich enttäuscht über die viele Worte aus Berlin, denen noch keine Taten folgten.
Sieben Wochen ist es her, dass Scholz schwere Waffen – etwa Panzer, Raketenwerfer und Luftabwehrsysteme – zugesagt hat, geliefert wurde aber kaum etwas. Auch auf Kiewer Nachfragen soll sich die zuständige Ministerin Christine Lambrecht, Scholz’ Parteikollegin, nur „nebulös und ausweichend“ gezeigt haben, berichtet die Welt; auch die dringende Bitte nach einem Zeitplan für die Lieferungen habe sie abgeblockt. Möglich, dass das an massiven Logistikproblemen liegt: Laut Business Insider dürften sowohl Luftabwehrsysteme als auch Raketenwerfer erst in ein paar Monaten verfügbar sein.
Nur bei den Panzern gibt es Bewegung. Dass der Waffenproduzent Rheinmettall jetzt verlautbarte, die ersten von 100 versprochenen Marder-Schützenpanzer instand gesetzt zu haben, verschafft Scholz Luft: So könnte er seiner eigenen Vorgabe, nur mit „ganz konkreten Dingen“ anzureisen, gerecht werden. Dazu kommt, dass in den kommenden zwei Wochen die Entscheidung über den Kandidatenstatus der Ukraine ansteht. Scholz war darum vor Kurzem im Westbalkan, also in jenen Ländern, die schon viel länger auf einen EU-Beitritt warten als die Ukraine. Seine Mission: Ängste vor einem „Vordrängeln“ der Ukraine nehmen.
Das ist ihm dort recht gut gelungen. Ob er auch in Kiew wieder gutmachen kann, was in den letzten Wochen an Porzellan zerschlagen wurde? Beobachter haben da ihre Zweifel. Vor allem im Osten sieht man das Trio aus Scholz, Macron und Draghi eher problematisch, da sie militärisch eine deutlich zurückhaltendere Linie vertreten als die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Macron verspielte mit seiner Aussage, man dürfe Putin nicht wie die Deutschen 1918 „erniedrigen“, viel Vertrauen – Polens Präsident Duda meinte kürzlich entrüstet, er und Scholz sollten ihre Gespräche mit Putin endlich einstellen: „Hat jemand während des Zweiten Weltkrieges auf diese Weise mit Adolf Hitler gesprochen?“.
Dass kein Vertreter aus dem Osten bei der Reise dabei sei, irritiert auch im Baltikum. Toomas Hendrik Ilves, Estlands früherer Präsident, nannte die Nichteinbeziehung der Polen einen „dummen politischen Fehler“. Und unter ukrainischen Kommentatoren geht die Angst um, dass Scholz und Macron Kiew zu einem Tauschhandel überreden könnten: die Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft im Abtausch für Verhandlungen mit Moskau inklusive Gebietsabtretungen.
Im deutschen Kanzleramt wird all das freilich nicht kommentiert. Da heißt es wie gewohnt: Zur Ukraine „gibt es keinen neuen Stand.“
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